c schoner sterbenDer Bücherzettel für den Winter 2019 ist da, Teil 1/2

Thomas Scheben

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Mit einiger Verspätung, inzwischen dafür umso reichhaltiger, wird die Mainmetropole zum Schauplatz von Kriminalromanen, in denen Literaturwissenschaftler den Gesellschaftsroman unserer Tage erblicken. In der Wissenschaft regt die stadtplanerische und architektonische Vorreiterrolle in der Moderne Studien an, und ebenso kündet der Büchermarkt davon, dass die bewegte Vergangenheit der Stadt Romanstoffe bietet, während sich ihre Gegenwart durch Kinderaugen neu entdecken lässt.

Eine Auswahl zum Verschenken und Selberlesen stellt der vorweihnachtliche Bücherzettel vor.


Der Kunstbanause und das magische Eichhörnchen

Ein Mann sitzt am Eisernen Steg mit einem Loch in der Stirn. Soweit so gut, ein üblicher Krimi-Einstieg. Aber wieso wurde sein Golden Retriever auf dieselbe Weise in den Hundehimmel befördert? Schnell findet Privatdetektiv Jürgen McBride eine Verbindung zwischen dem Ableben des Kunstexperten und dem Diebstahl einer ziemlich wertvollen und ebenso seltsamen Zeichnung von Joseph Beuys, die er wiederbeschaffen soll.

Schon die Sprache des Ermittlers aus der Ich-Perspektive verrät, wohin der Autor seine Leser entführen will: In eine Welt ziemlich schräger Typen aus der Kunst- und Esoterikszene der Mainmetropole, in der auch ein paar wüste Schläger, natürlich aus Offenbach, ihr Unwesen treiben dürfen. Dass die osteuropäischen Prügelknaben ausgerechnet Vitali und Wladimir heißen, ist ebenso wenig Zufall wie der Name des unvermeidlichen, mit dem Detektiv teils konkurrierenden, teils kooperierenden Kriminalkommissars Erik Odecker, der an den langjährigen Darsteller des „Alten“ im ZDF erinnert: Das Buch ist eine köstliche Parodie auf so ziemlich alle Klischees des Krimi-Genres. Durch slapstick-reife Kampf- und Liebesszenen voller Situationskomik, immer neue Anspielungen auf Frankfurter Typen und Sujets einschließlich der alkoholgeschwängerten Philosophie am Wasserhäuschen ermittelt sich McBride schließlich zu einer Lösung des Falls voran.

Wer an einem grauen Wintertag bei der Lektüre mal herzhaft lachen will, Vergnügen am Entschlüsseln der zahlreichen Anspielungen hat und sich dabei vielleicht noch an alte Krimiserien oder die Chico-Pipa-Romane von Carlo Manzoni erinnert, wird mit diesem Buch ein paar Stunden ungetrübten Lesespaß verbringen.

Leo Heller: Schöner sterben in Bembeltown, GmeinerVerlag 2019, 256 S., 15 Euro


Die Schlapphüte mit der roten Hand

Ein ehemaliger Fremdenlegionär fristet in Frankfurt ein zurückgezogenes Dasein am Rande der Wirtschaftswundergesellschaft der 50er Jahre. Nicht nur er schleppt noch die Traumata von Fronterlebnissen, Bombennächten und Fluchterfahrungen des Zweiten Weltkrieges mit sich herum. Auch er hat den Start in den Aufschwung nicht geschafft. Dieser spülte nicht nur legale Profiteure nach oben. Und als zunächst in anderen Städten, dann auch in Frankfurt Geschäftemacher der anrüchigen Art bei Bombenanschlägen ums Leben kommen, wird klar, dass auch die deutsche Nachkriegsrepublik sich nicht aus den Weltläuften verabschieden konnte.

Zwar sind Handlung und Personen des Romans erfunden. Sie spielen aber vor dem realen Hintergrund eines weitgehend vergessenen Kapitels deutsch-französischer Geschichte. In den 50er Jahre tobte in Algerien ein auf beiden Seiten mit äußerster Härte geführter Krieg der Befreiungsbewegung FLN und der französischen Armee, der nicht auf Nordafrika beschränkt blieb. Der französische Geheimdienst betrieb eine Terrororganisation namens „Rote Hand“, die Waffenlieferanten des FLN auch in Deutschland bedrohte, im Weigerungsfalle – auch in Frankfurt – ermordete und ihre Schiffe versenkte, eines auch im Hamburger Hafen. Keiner dieser Täter wurde jemals vor Gericht gestellt, da die deutsche Justiz alle Versuche einer Aufklärung hintertrieb, um die deutsch-französische Aussöhnung nicht zu gefährden.

Auch wenn Ex-Legionär und Algerienkämpfer Streich wenig Probleme damit hat, den Profiteuren dieses schmutzigen Krieges, noch dazu für gutes Geld, auf die Pelle zu rücken, gerät er in eine zusehends unübersichtliche Gemengelage zwischen französischen Attentätern, deutscher Polizei, alten Kameraden und Freunden, in der er sich schließlich für eine Seite entscheiden muss. Präzise Charakterzeichnungen, minutiöse Actionszenen, solide recherchierte Hintergründe und reportagehafte Milieuschilderungen verbinden sich mit einer bis zur letzten Seite spannenden Handlung und bieten eine spannende Lektüre zwischen Agententhriller und historischem Roman, den man bis zum fulminanten Finale auf der Rennbahn nicht aus der Hand legen möchte.

Jürgen Heimbach: Die Rote Hand, weissbooks 2019, 330 S., 22 Euro


Frankfurt durch Kinderaugen neu entdecken

„Mamaaa, Papaa, was machen wir heute?“ Diese bei allen Eltern gefürchtete Kinderfrage, gestellt vorzugsweise an Wochenenden und Ferientagen, hat durch den Führer zu Frankfurter Orten für Kinder viel von ihrem Schrecken verloren. Die Autorin, eine in Frankfurt beheimatete HR-Journalistin, hat eine Fülle von Aktivitäten in und um Frankfurt zusammengetragen, worin nicht nur „Eingeplackte“ und Gelegenheitsfrankfurter aus dem Umland, sondern auch Ureinwohner der Mainmetropole jede Menge Anregungen finden.

Da Kinder nun einmal gern spielen, finden sich zahlreiche Hinweise auf originelle Spielplätze, und weil Tiere und Natur nicht nur auf der Hitliste mindestens gleichrangig stehen, auch zahlreiche Angebote für Begegnungen mit Natur und Tieren: Wie man Klassiker wie den Stadtwald, die Parkanlagen oder die Schwanheimer Düne mit Kinderaugen neu entdecken, wo man Tieren begegnen, das Gärtnern lernen oder einen Badesee mit Streichelkarpfen entdecken und einem frei spazierengehenden Pferd begegnen oder beim Spielen mit Flüchtlingskindern anderen Kulturen begegnen kann. Und die Antwort „ooch, wie laaangweilig“ beim Vorschlag eines Museumsbesuchs werden sich angesichts der zahlreichen Kinderprogramme der städtischen Museen schnell in ein „darf ich da morgen wieder hin?“ verwandeln.

Zu jedem dieser Orte bietet der Band eine Seite mit Erläuterungen sowie eine weitere mit einer oder mehreren Photographien und den wichtigsten Strukturdaten des Angebotes wie Öffnungszeiten, Anfahrtswege und Eignung für besondere Altersgruppen – wobei nicht eigens erwähnt wird, dass an vielen dieser Stationen nicht nur die lieben Kleinen, sondern auch die Großen ihren Spaß haben und die eine oder andere Entdeckung machen können.

Julia Tzschätzsch: 111 Kinderorte in Frankfurt, die man gesehen haben muss, Emons Verlag 2019, 240 S., 16,95 Euro


Mit dem Adler auf Mörderjagd

Oktober 2018: Während oben auf dem Rasen die Frankfurter Eintracht Düsseldorf mit 7:1 vom Platz fegt, bringt tief im Bauch des Stadions ein Ordner zwei Frauen um und verletzt einen zufälligen Zeugen schwer. Diesem, einem Sportreporter und ehemaligem Eintracht-Hooligan, kommen Tatumstände und Verhalten des Mörders indes ziemlich seltsam vor; noch seltsamer wird es, als der Täter selbst kurz darauf umgebracht wird. Zusammen mit einer Pressesprecherin des Vereins, die zur gleichen Zeit Drohbriefe im Zusammenhang mit dem 2002 knapp abgewendeten Lizenzentzug erhält, nimmt er die Spur auf, zumal die Polizei die Verbrechen allzu schnell ad acta legt.

Bald kommen weitere Personen ins Spiel, Verbindungen werden sichtbar, tragen aber mehr zur weiteren Verwirrung als zur Aufklärung bei, während der Journalist immer tiefer in seine Vergangenheit als Hooligan zurückgeht, und die Pressedame zunehmend von Misstrauen in die Vereinsleitung erfüllt wird – und sich zu diesen beiden Ich-Erzählern bald eine weitere Person gesellt, die noch mehr zu wissen scheint, als weitere Verbrechen geschehen und die beiden unfreiwilligen Ermittler schließlich selbst ins Visier des Täters geraten.

Den Autoren, Tochter und Vater, dieser selbst als ehemaliger Sportjournalist und Eintracht-Sprecher mit der Szene bestens vertraut, gelingt nicht nur ein spannender Krimi mit einem überraschenden Ende. Das Buch vermittelt auch Einblicke in die verschworene Parallelwelt des Fußballs von der Belletage des Vorstandes bis in die Subkultur der knallharten Fanszene, die beide eine Loyalität zum Verein verinnerlicht haben, die bisweilen über Recht und Gesetz gestellt wird – manchmal soweit, dass man immer tiefer im Sumpf versinkt und schließlich darin untergeht.

Ulrich und Dana Müller-Braun: Das Auge des Adlers. Eintracht Frankfurt-Krimi, Societäts-Verlag 2019, 384 S., 15 Euro

Fortsetzung folgt

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