dreysse industriekulturDer Bücherzettel für den Winter 2019 ist da, Teil 2/2

Thomas Scheben

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Funktionalität, Ästhetik und Geschichte industrieller Architektur. Beim Gedanken an den Wirtschaftsstandort Frankfurt nebst Umgebung denken die meisten Zeitgenossen zunächst einmal an Finanzdienstleistungen, Kommunikation und Logistik, weniger daran, dass die Region lange Standort mit Industrieunternehmen von weltweiter Ausstrahlung war und in manchen Bereichen auch heute noch ist. Trotz Kriegszerstörungen und Strukturwandel sind noch zahlreiche architektonische Zeugnisse dieser Epoche erhalten.

Einer Idee aus dem Ruhrgebiet folgend, wurde Anfang des Jahrtausends eine Route der Industriekultur etabliert, die sich wie ein Band in Ost-West-Richtung von Aschaffenburg bis Bingen durch die Region, und deren Kernstück in Frankfurt und Offenbach zieht, welche wiederum der großformatige Bild-Text-Band in den Fokus rückt. Er folgt damit indes keiner geographischen, sondern einer thematischen Anordnung. Ein kurzer Abriss der Industriegeschichte berücksichtigt neben den architektonischen auch soziale, rechtliche, stadtplanerische und ökonomische Implikationen. Frankfurt als Transportknoten, Städtebau, Architektur und Konstruktion, Energieerzeugung, Wasserver- und –entsorgung, Wohnwelten von Arbeitern und Industriekapitänen sowie schließlich die vielfältigen Umnutzungen bilden die Schwerpunkte der einzelnen Kapitel.

Der Text bereitet das umfangreiche Wissen über die regionale Industriegeschichte in knapper und lesbarer Form auf und wird von den großflächigen Bildern begleitet, die in Totalen und Detailaufnahmen überraschende Perspektiven bieten. Und damit man gleich auf Entdeckungsreise gehen kann, ergibt der Schutzumschlag auseinandergefaltet eine Stadtkarte von Frankfurt und Offenbach mit Einzeichnung der Objektadressen und Adressangaben.

DW Dreysse/Peter Lieser/Matthias Matzak: Industriekultur in Frankfurt und Offenbach, Henrich Editionen 2019, 202 S., 28 Euro



Die Welt ist kein Schäferspiel

Im Zentrum von Internationalität und Globalisierung eröffnen sich Chancen, es kann bisweilen aber auch recht ungemütlich werden. Das galt auch schon in der Zeit des Siebenjährigen Krieges, als der Kaiser als Stadtherr Frankfurt seinen französischen Verbündeten als Basis zum Kampf gegen Preußens Friedrich und seine britischen Finanziers überlassen hatte. Was in der deutschen Geschichtsschreibung als Krieg um die Provinz Schlesien firmiert, war tatsächlich so etwas wie ein Erster Weltkrieg, in dem Frankreich und England um die Herrschaft über die Weltmeere, in Amerika und Asien rangen.

Vor diesem Hintergrund gerät der Spross einer aufstrebenden Frankfurter Kaufmannsfamilie zunächst in eine Rauferei mit einem Fürstlich-Isenburgischen Beamtensohn und dann in eine Liebesgeschichte mit der Tochter eines etablierten Patriziergeschlechts. Schon bald stolpern Protagonisten und Leser in ein Geflecht diplomatischer Intrigen, Spionage und Stadtpolitik inmitten der Konflikte einer sich modernisierenden Stadtgesellschaft an der Schwelle zum Industriezeitalter, wo der Grad zwischen Erfolg und Untergang arg schmal ist.

Neben dem Vergnügen, einer spannenden Geschichte zu folgen und ganz nebenbei ein akribisch recherchiertes Kapitel Frankfurter Stadtgeschichte nebst dem Lokalkolorit der Goethezeit anschaulich und farbig kennenzulernen, nimmt Haverkampf immer die Perspektive seiner gerade agierenden Figur ein und lässt den Leser auf diese Weise die Welt durch die Sichtweise und Interessen unterschiedlicher sozialer und beruflicher Milieus betrachten. Dass dem dabei immer ironisch-distanzierten Autor die Schilderungen kleinkarierter kommunalpolitischer Frankfurter Ratsintrigen besonders amüsant aus der Feder geflossen sind, verwundert nicht – war er doch selbst als langjähriger Bau- und Planungsdezernent der Mainmetropole Teil dieses erlauchten Gremiums.

Hans Haverkampf: Die Schwarze Kutsche, Axel-Dielmann-Verlag, 296 S., 22 Euro


Architektur und Design aus Frankfurt in die Welt – und zurück

Nach einigen Startversuchen im späten 19. Jahrhundert begann nach dem Ersten Weltkrieg eine Phase des Aufbruchs, mit dem Städteplaner, Architekten und Designer zunächst auf soziale, wirtschaftliche und infrastrukturelle Herausforderungen reagierten, dann aber bald den Anspruch erhoben, mit ihren umfassenden Konzepten den „Neuen Menschen“ überhaupt erst zu schaffen. Dabei wurde das Neue Frankfurt alsbald ebenso zum Begriff wie das Bauhaus; Frankfurt wurde innerhalb weniger Jahre zu einer Kapitale der Moderne. Weltwirtschaftskrise und NS-Diktatur, die diese Art der Modernisierung vehement ablehnte, setzten diesem grundlegenden Stadtumbau ein Ende.

Schon während dieses Prozesses hatten sich die Leitfiguren um Ernst May, Martin Elsaesser, Ferdinand Krämer und Margarete Schütte-Lihotzky, die der Autor als Protagonisten auftreten lässt, durch Publikationen und Kongresse international vernetzt. Viele von ihnen nutzten ihr Renommee, um im Ausland neue Betätigungsfelder zu finden. Bekannt ist das Wirken Ernst Mays in Stalins UdSSR, aber auch in der türkischen Entwicklungsdiktatur Mustafa Kemal Atatürks und an verschiedenen Stellen des britischen Kolonialreiches sowie in den USA waren Frankfurter Modernisierer für öffentliche wie auch private Auftraggeber tätig. Als der Wiederaufbau der kriegszerstörten deutschen Städte in Schwung kam, kehrten viele von ihnen in der Hoffnung zurück, ihre ursprünglichen Projekte, nun jedoch angereichert durch ihre internationalen Erfahrungen, wiederaufnehmen zu können.

Weder sollte man sich von dem wissenschaftlichen Titel noch dem gleichartigen Anspruch dieser ursprünglich als Doktorarbeit abgefassten Studie abschrecken lassen. Dem Autor ist etwas gelungen, was in der deutschen Fachliteratur leider noch immer Seltenheitswert hat: Ein elegant geschriebenes, kurzweilig zu lesendes Werk über ein Kapitel Frankfurter Kulturgeschichte, dessen Ausstrahlung bis heute das Stadtbild mitbestimmt, und dessen Wirkung weltweit zu besichtigen ist.

C. Julius Reinsberg: Das Neue Frankfurt: Exil und Remigration. Eine Großstadtutopie als kulturelles Transfergut, Societäts-Verlag 2019, 336 S., 30 Euro


Ein Mädchen im Main

Wenn pubertierende Vierzehnjährige sich in ihre eigene, vor den Erwachsenen abgeschottete Welt zurückziehen, überhaupt ein etwas seltsames Verhalten an den Tag legen, so ist das ziemlich normal, Liebeskummer oft eine nahe liegende Diagnose. Nicht mehr normal ist es, wenn die beste Schulfreundin verschwindet und bald darauf tot aus dem Main geborgen wird.

Psychotherapeutin Jona Hagen, die ihrer Nichte Melanie in dieser Situation helfen will, stößt bald auf Ungereimtheiten. Da die Polizei den Fall aufgrund eines Abschiedsbriefs schnell als Selbstmord abgelegt hat und ohne neue Indizien keine Veranlassung für weitere Ermittlungen sieht, beginnt sie selbst mit Nachforschungen.

Erzählt wird die Geschichte im Wechsel aus zwei unterschiedlichen Perspektiven, zum einen aus der Sicht der jugendlichen Melanie, zum anderen durch den Blick der Therapeutin, die das Gewirr aus Eifersüchteleien, Teenie-Intrigen, Clique, Familie und Träumen von einer Show-Karriere aufzudröseln versucht.

Ganz beiläufig illustriert der bis zum Ende spannende Krimi auch, welche desaströsen Folgen das Eingreifen Erwachsener in diese verletzliche Jugendwelt nach sich ziehen kann.

Sonja Rudorf: Stromaufwärts. Jona Hagens neuer Fall, Societäts-Verlag 2019, 320 S, 14 Euro

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