Bildschirmfoto 2020 01 27 um 04.47.43Gespräche mit Holocaust-Überlebenden in Deutschland, Österreich und Israel, Fotos von Konrad Rufus Müller

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ohne die Filmpremiere am Vorabend des 75. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee – ich gewöhne mir an, dies immer in einem Zusammenhang sprachlich wiederzugeben, weil bei uns sehr gerne der russische Einsatz für unsere heutige Freiheit vergessen wird – den der Zentralrat der Juden im Deutschen Filminstitut und Filmmuseum Frankfurt ausgerichtet hat, ohne diese Filmpremiere hätte ich diesen Band mit den eindrucksvollen Porträts von Menschen, die die Nazis für den Tod vorgesehen hatten, die aber dann sogar Hitler überlebten und immer noch leben!

Bildschirmfoto 2020 01 27 um 04.48.39Unabhängig vom Film, der die Entstehung dieses Fotobandes in den drei Ländern wiedergibt, hat dieser Band aus dem Böhlau Verlag seine eigene Bedeutung, die sich sofort erschließt, wenn man nur einige der schwarz-weißen Porträts betrachtet. Den Kennern sagt allein der Name des Fotografen nicht nur etwas, sondern schon alles. Konrad Rufus Müller ist ein besonders renommierter Porträtfotograf, der berühmt für seine Kanzlerbilder ist, die er alle von Adenauer bis Merkel abgebildet hat. Die Bilder hängen in Berlin im Bundeskanzleramt, aber auch im Haus der Geschichte in Bonn.

Bildschirmfoto 2020 01 27 um 04.48.52Ja, es stimmt. Konrad Rufus Müller ist ein hervorragender Fotograf. Schließlich geht es beim Endergebnis, den Porträts im Fotoband, nicht darum, wie nett oder wie erfahren der Fotograf ist, sondern nur darum, was einem der Blick in die Augen dieser Überlebender bedeutet. Dazu gleich mehr.

Zuerst muß ein Versäumnis nachgeholt werden. Zwar sind für mich die Fotos die Wucht, die den Fotoband ausmachen, aber das Buch hat zwei Verfasser. Alexandra Föderl-Schmid ist nicht nur spiritus rector des gesamten Vorhabens, sondern ist diejenige, die die 24 Personen aus Israel, Österreich und Deutschland aufgetan hat, die im Band porträtiert sind. Daß Heribert Prantl, bis vor kurzem Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung, im Gespräch mit den beiden Autoren unter dem Tenor EIN POLITISCHES TESTAMENT, EINE AUFRÜTTELNDE BOTSCHAFT AN DIE GESELLSCHAFT“ die UNFASSBAREN WUNDER einleitet, versteht man dann noch besser, wenn man weiß, daß Alexandra Föderl-Schmid Korrespondentin der SZ ist, selbst aber zuvor die Redaktion des STANDARD in Wien geleitet hatte.

Prantl geht auch gleich in die Vollen und fragt, ob der Pessimismus, der die Aussage von Charlotte Knobloch durchzieht, heute Präsidentin der Israelischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und immer als offen und zuversichtlich bekannt gewesen, ob dieser Pessimismus auch für die übrigen Porträtierten gelte. Föderl-Schmid antwortet: „Ja, fast alle blicken pessimistisch in die Zukunft....Sie haben unterschiedliche Perspektiven, abhängig von dem Land in dem sie leben. Aber alle registrieren sehr genau, worüber berichtet wird: immer mehr antisemitische Vorfälle in Deutschland und die Regierungsbeteiligung der FPÖ in Österreich. Das löst bei den Überlebenden der Shoah vieles aus.“

Bildschirmfoto 2020 01 27 um 04.48.18Fotograf Müller kommt aus einem Elternhaus, das antifaschistisch geprägt war: Meine früheste Erfahrung, was die Judenvernichtung angeht, war, daß mir mein Vater ein Buch geschenkt hat, das 1947 erscheinen ist: „Der SS-Staat“. Da war ich acht Jahre alt.“ Seltsam, daß Heribert Prantl, der ansonsten sehr flexibel auf die Aussagen der beiden Autoren eingeht, auch den Hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer rühmt, diese Steilvorlage liegen läßt. Denn „Der SS-Staat“ war die heldenhafte Tat von Eugen Kogon, mit denen der jahrelange Häftling vom KZ Buchenwald dessen System, das für alle KZs galt, analytisch niederschrieb. Ein Buch, das vielen Jugendlichen die Augen über die SS-Struktur innerhalb der Nazis als Kommandozentrale öffnete. Ihn hat das Buch ein Leben lang begleitet.

Für Konrad Rufus Müller war auf jeden Fall klar, daß er, als er ein Porträt von Alexandra Föderl-Schmid über eine Holocaust-Überlebende las, ihr den Vorschlag zu diesem gemeinsamen Fotoband machen wird. Die 25 Portraitierten, werden mit Namen, Geburtsdatum, KZ-Aufenthalt und Ort des Weiterlebens vorgestellt. Mit einem großgeschriebenem Zitat kommen die Portraitierten inhaltlich zu Wort. Föderl-Schmid faßt ihre Interviews jeweils auf mehreren Seiten zusammen. Die Schicksale sind völlig unterschiedlich und können hier nicht zusammengefaßt werden, sie eint, den SS-Schergen entkommen zu sein. UInd immer wieder: Hitler überlebt zu haben.

Bildschirmfoto 2020 01 27 um 04.48.04Aber wie gesagt, das eigentliche Ereignis sind die Fotografien. Im Film erläutert der Fotograf, daß er die Personen nach draußen schauen läßt, damit sich bei den Aufnahmen das Licht in den Augen spiegelt. Und genau dies macht die alten Gesichter so lebendig – und traurig. Prantl fragt nach der Traurigkeit in den Gesichtern. Müller antwortet: „Ja, ich bin ein Hautfotograf. Der Mensch hat mindestens zwei Möglichkeiten der expressiven Ansprache: sein Gesicht und seine Hände. Schmerz, Trauer, Freude. Das vermittelt er mit seinem Gesicht.“

Wie schade, daß einige, ganz wenige, im Halb- oder Zweidrittelprofil dargestellt sind und wir ihnen nicht in die Augen blicken können. Denn das Wunderbare an den Augen, die uns ansehen, ist, daß wir zurückblicken können mit allem Interesse an jedem einzelnen, der die KZs überlebt hat, was für nicht wenige verbunden war und ist damit, über die an ihnen verübten Grausam- und Greultaten nicht sprechen zu wollen, nicht sprechen zu können. Daß sich dies im hohen Alter ändert, haben auch wiederum nicht wenige erfahren, weshalb auch nicht nur die Fotos so wichtig sind, wie ich es unmittelbar empfand, sondern auch ihre Geschichten, die sie zum Teil erst nach 75 Jahren erzählen können.

Mit einem Wort: ein Buch fürs Leben. 

Fotos:
Cover und Aufnahmen von Konrad Rufus Müller
Giselle Cycowicz,
Ivan Bergida, der seine Großeltern mitsamt Familie zeigt,
Marko Feingold, geb. 1913
Malwina Braun
Titel und letztes Foto: 

© Böhlau Verlag

Info:
Alexandra Föderl-Schmid, Konrad Rufus Müller, Unfaßbare Wunder. Gespräche mit Holocaust-Überlebenden in Deutschland, Österreich und Israel, Böhlau Verlag 2019