Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Kennen Sie das auch: Kaum lesen Sie zu einem bestimmten Thema ein Buch, kommt Ihnen der Inhalt morgens in der Zeitung, mittags bei mitgehörten U-Bahngesprächen, abends im Fernsehen erneut unter. So ging es mir mit den durch ihre Männer mißhandelten Frauen.
Als mich jemand darauf aufmerksam machte und anfrug, ob ich nicht dieses Buch besprechen könnte, erwiderte ich spontan per Mail: „Eigentlich scheue ich dieses Thema wie der Teufel...das berühmte Weihwasser, genauso wie Pädophilie - und zwar deshalb, weil ich selbst nie nie nie mit so was zu tun hatte (im Gegensatz zu Metoo). Andererseits habe ich im weiteren Umfeld genau von häuslicher Gewalt gerade wieder etwas mitbekommen und finde deshalb, ich persönlich muß mich dem stellen und darüber berichten. Es fällt mir wie gesagt schwer, Krimis zu besprechen fällt leichter, aber wenn Sie schon so schreiben, kann ich kaum anders als JA sagen, bitte das Buch schicken und ich mache die Besprechung dann auch schnell!!!
Das mit dem ‚schnell‘ relativierte sich, denn ich habe Antje Joels Buch von 335 Seiten wirklich Wort für Wort durchgelesen, weil ich nicht fassen konnte, was ich las und mich seitdem frage, gehe ich denn blind durch die Welt? Habe ich bei betroffenen Frauen nicht die blauen und gelben Hautflecken als Folge von Gewalt gesehen? Nein, habe ich nicht, wohl aber immer wieder Frauen, die geduckt und verschämt in der U-Bahn sitzen. Passiv. In sich gekehrt. Das langt aber nicht, sich keine Gedanken zu machen. So sind die Spitze des Eisbergs die Morde an Frauen, von denen Antje Joel schreibt: "Von den 313 Frauen, die 2011 in Deutschland ermordet wurden, starb fast jede zweite durch die Hand ihres Partners oder Expartners."(7) Aber auch die "gewöhnliche" Gewalt, welch scharfer Titel, wenn aus dieser eine "gewöhnliche" Geschichte wird, also eine, die von Gewohnheiten handelt, der Gewohnheit, Frauen zu schlagen. Die Autorin zitiert das Bundeskriminalamt, demnach beinahe jede zweite Frau seit ihrem 16. Lebensjahr eine Form körperlicher und/oder sexueller Gewalt erlebt. Stimmt, dann muß man von "Gewohnheiten" sprechen und nicht von Minderheiten!
Wenn es nicht seltsam klänge, würde ich als Erstes hervorheben wollen, dieses Prügel-Buch ist hervorragend geschrieben: „Dies ist die Geschichte, wie mich ein Mann – und später ein zweiter – über Jahre erniedrigte. Mit Blicken, mit Worten, mit Fäusten. Er war nicht irgendein Mann. Er war, wie man so sagt, meiner...eine ganz gewöhnliche Geschichte häuslicher Gewalt, wie sie sich täglich in deutschen Familien abspielt.“
Daß die mir zuvor unbekannte Autorin bei großen und angesehenen Zeitungen veröffentlich hat, glaube ich sofort, denn ihr zu folgen, macht Spaß - wenn man vom Thema absieht. Und ich würde auch zustimmen, wenn jemand vorschlüge, diese Buch zur Pflichtlektüre von jungen Mädchen zu machen oder auch Beigabe zu jeder Eheschließung, wie in manchen Ländern die BIBEL und in unseren Breiten einst Hitlers MEIN KAMPF. Ach ja, vielleicht sollte man es auch in den Hotels neben die Bibel ans Bett legen. Wichtig ist auf jeden Fall, daß dies nicht nur ein Buch für Frauen ist, denn es muß ja auch den Männern auffallen, wer unter ihnen seine Frauen oder auch Kinder schlägt.
Auch diejenigen Frauen, die keiner körperlichen Gewalt ausgesetzt sind, kennen zumindest diese als Drohgebärde und immer wieder ist auch von psychischer Gewalt die Rede, die ja strafverschärfend dazukommt. Das Problem bleibt nur, ob man durch Aufklärung diesen Frauen helfen kann und solchen Männern das Prügeln verbieten kann, oder ob diese Frauen den Weg der persönlichen Erfahrung und Gegenwehr durchlaufen müssen, um sich aus dem Geflecht von psychischer und sozialer Abhängigkeit zu befreien. Und da sind dann ja noch die Kinder! Kinder stabilisieren leider eine solche Beziehung, statt daß sie die Frauen frühzeitiger ihr Psycho-Gefängnis wahrnehmen und sprengen lassen. Den Kindern den Vater nehmen, ‚nur‘ weil er die eigene Frau schlägt?
Aber er schlägt nicht nur die Frau, was schon langt, im Notfall auch die Kinder. Und ein Kind, das sieht, daß die eigene Mutter vom eigenen Vater geschlagen wird und daraufhin schluchzt, weint und schreit, mit welchem Vertrauen in die Welt soll so ein Kind aufwachsen. Es wird also umgekehrt ein Schuh daraus. Man darf kein Kind solchen Verhältnissen aussetzen, erst recht nicht, wenn sie selbst Opfer sind. Zu bekannt sind die Folgen, wie oft nämlich Männer, die als Kinder geschlagen wurden und in solchen Verhältnissen aufwachsen, dann selbst Schläger werden.
Ich habe an dieses Buch, an die Autorin so viele Fragen. Es ist schwer, sich eine so eloquente Frau als Opfer eines gewalttätigen Mannes vorzustellen (doch, sicher reizt eine solche Frau einen Schläger ganz besonders, ihr das Maul zu verbieten, in dem er einfach draufschlägt), aber eben schwer zu verstehen, weshalb sie bei einem solchen Mann bleibt, wobei sie die Erste ist, die von der Opferrolle wegkommen will und genau diesen Mechanismus von Nähe und Gewalt, was wir herkömmlich Liebe nennen, beschreibt.
Denn ihre beiden Männer – ja, es sind zwei, sie hat zweimal hintereinander den äußerlich unähnlichen, aber gleichen Schlägertyp geehelicht -, verfügen über äußerliche Attraktivität, auch öffentliche Liebenswürdigkeit, also keine primitiven Kerle, wie sie häufig betont, und sie hat insgesamt sechs Kinder geboren, daneben Karriere gemacht, und sich dann endlich nach Jahrzehnten aus sozialer, psychischer Abhängigkeit befreien können. Aus materieller mußte sie sich nicht befreien, denn daß sie die jeweiligen Männer auch noch hauptsächlich finanzierte, sie selbst also arbeiten ging, während die Männer zu Hause ihren Frust pflegten, setzt der häuslichen Gewaltsituation die berühmte Krone auf. Ihre Verstrickung, ihren Niedergang, ihre Hoffnung auf Besserung des jeweiligen Mannes, das alles bereitet Antje Joel vor uns aus und da sie eine clevere Journalistin ist und sicher auch, damit dieses Buch über eine schreckliche Selbsterfahrung hinausgeht, macht sie formal etwas, was geeignet ist, bis zum Schluß das Interesse der Leserinnen zu fesseln. Sie fängt mit ihrem eigenen Leben an, denn das ist und bleibt ja auch der Hintergrund für ihr Buch. Aber sie unterbricht ihre Lebens- und Leidensgeschichte – sie würde sagen, ihre Dummheit – mit anderen Fallgeschichten oder auch mit statistischem Material, das die Häufigkeit und die Schwere von männlicher Gewalt beweist.
Fortsetzung folgt
Foto:
Cover
Info:
Antje Joel
"PRÜGEL - Eine ganz gewöhnliche Geschichte häuslicher Gewalt"
Rowohlt 2020 (rororo)
256 Seiten, 12 Euro
Erscheint am 28. Januar
Blicke, Worte, Fäuste.
Jeden Tag versucht allein in Deutschland ein Mann seine Partnerin zu ermorden, jeden zweiten Tag ist einer erfolgreich. Jede dritte Frau erfährt Gewalt durch ihren Partner. So auch Antje Joel. Mit 16 lernt sie ihren späteren Mann kennen. Er schlägt sie nach wenigen Monaten. Ihre Eltern sagen, was sie von vielen Seiten hören wird: "Selbst schuld!" Sie empfindet es auch so und kehrt zu ihm zurück. Wieder und wieder. Antje Joel erzählt, was Frauen in Gewaltbeziehungen treibt und sie darin gefangen hält. Und wie sie sich schließlich doch befreit hat.
ANTJE JOEL
geboren 1966, arbeitet seit 1994 als freie Journalistin und Autorin. Ihre Texte erschienen unter anderem in der Süddeutschen Zeitung, der Brigitte, im Tagesspiegel und im Spiegel. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter der Axel-Springer-Preis und der Egon-Erwin Kisch-Preis.
Daß die mir zuvor unbekannte Autorin bei großen und angesehenen Zeitungen veröffentlich hat, glaube ich sofort, denn ihr zu folgen, macht Spaß - wenn man vom Thema absieht. Und ich würde auch zustimmen, wenn jemand vorschlüge, diese Buch zur Pflichtlektüre von jungen Mädchen zu machen oder auch Beigabe zu jeder Eheschließung, wie in manchen Ländern die BIBEL und in unseren Breiten einst Hitlers MEIN KAMPF. Ach ja, vielleicht sollte man es auch in den Hotels neben die Bibel ans Bett legen. Wichtig ist auf jeden Fall, daß dies nicht nur ein Buch für Frauen ist, denn es muß ja auch den Männern auffallen, wer unter ihnen seine Frauen oder auch Kinder schlägt.
Auch diejenigen Frauen, die keiner körperlichen Gewalt ausgesetzt sind, kennen zumindest diese als Drohgebärde und immer wieder ist auch von psychischer Gewalt die Rede, die ja strafverschärfend dazukommt. Das Problem bleibt nur, ob man durch Aufklärung diesen Frauen helfen kann und solchen Männern das Prügeln verbieten kann, oder ob diese Frauen den Weg der persönlichen Erfahrung und Gegenwehr durchlaufen müssen, um sich aus dem Geflecht von psychischer und sozialer Abhängigkeit zu befreien. Und da sind dann ja noch die Kinder! Kinder stabilisieren leider eine solche Beziehung, statt daß sie die Frauen frühzeitiger ihr Psycho-Gefängnis wahrnehmen und sprengen lassen. Den Kindern den Vater nehmen, ‚nur‘ weil er die eigene Frau schlägt?
Aber er schlägt nicht nur die Frau, was schon langt, im Notfall auch die Kinder. Und ein Kind, das sieht, daß die eigene Mutter vom eigenen Vater geschlagen wird und daraufhin schluchzt, weint und schreit, mit welchem Vertrauen in die Welt soll so ein Kind aufwachsen. Es wird also umgekehrt ein Schuh daraus. Man darf kein Kind solchen Verhältnissen aussetzen, erst recht nicht, wenn sie selbst Opfer sind. Zu bekannt sind die Folgen, wie oft nämlich Männer, die als Kinder geschlagen wurden und in solchen Verhältnissen aufwachsen, dann selbst Schläger werden.
Ich habe an dieses Buch, an die Autorin so viele Fragen. Es ist schwer, sich eine so eloquente Frau als Opfer eines gewalttätigen Mannes vorzustellen (doch, sicher reizt eine solche Frau einen Schläger ganz besonders, ihr das Maul zu verbieten, in dem er einfach draufschlägt), aber eben schwer zu verstehen, weshalb sie bei einem solchen Mann bleibt, wobei sie die Erste ist, die von der Opferrolle wegkommen will und genau diesen Mechanismus von Nähe und Gewalt, was wir herkömmlich Liebe nennen, beschreibt.
Denn ihre beiden Männer – ja, es sind zwei, sie hat zweimal hintereinander den äußerlich unähnlichen, aber gleichen Schlägertyp geehelicht -, verfügen über äußerliche Attraktivität, auch öffentliche Liebenswürdigkeit, also keine primitiven Kerle, wie sie häufig betont, und sie hat insgesamt sechs Kinder geboren, daneben Karriere gemacht, und sich dann endlich nach Jahrzehnten aus sozialer, psychischer Abhängigkeit befreien können. Aus materieller mußte sie sich nicht befreien, denn daß sie die jeweiligen Männer auch noch hauptsächlich finanzierte, sie selbst also arbeiten ging, während die Männer zu Hause ihren Frust pflegten, setzt der häuslichen Gewaltsituation die berühmte Krone auf. Ihre Verstrickung, ihren Niedergang, ihre Hoffnung auf Besserung des jeweiligen Mannes, das alles bereitet Antje Joel vor uns aus und da sie eine clevere Journalistin ist und sicher auch, damit dieses Buch über eine schreckliche Selbsterfahrung hinausgeht, macht sie formal etwas, was geeignet ist, bis zum Schluß das Interesse der Leserinnen zu fesseln. Sie fängt mit ihrem eigenen Leben an, denn das ist und bleibt ja auch der Hintergrund für ihr Buch. Aber sie unterbricht ihre Lebens- und Leidensgeschichte – sie würde sagen, ihre Dummheit – mit anderen Fallgeschichten oder auch mit statistischem Material, das die Häufigkeit und die Schwere von männlicher Gewalt beweist.
Fortsetzung folgt
Foto:
Cover
Info:
Antje Joel
"PRÜGEL - Eine ganz gewöhnliche Geschichte häuslicher Gewalt"
Rowohlt 2020 (rororo)
256 Seiten, 12 Euro
Erscheint am 28. Januar
Blicke, Worte, Fäuste.
Jeden Tag versucht allein in Deutschland ein Mann seine Partnerin zu ermorden, jeden zweiten Tag ist einer erfolgreich. Jede dritte Frau erfährt Gewalt durch ihren Partner. So auch Antje Joel. Mit 16 lernt sie ihren späteren Mann kennen. Er schlägt sie nach wenigen Monaten. Ihre Eltern sagen, was sie von vielen Seiten hören wird: "Selbst schuld!" Sie empfindet es auch so und kehrt zu ihm zurück. Wieder und wieder. Antje Joel erzählt, was Frauen in Gewaltbeziehungen treibt und sie darin gefangen hält. Und wie sie sich schließlich doch befreit hat.
ANTJE JOEL
geboren 1966, arbeitet seit 1994 als freie Journalistin und Autorin. Ihre Texte erschienen unter anderem in der Süddeutschen Zeitung, der Brigitte, im Tagesspiegel und im Spiegel. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter der Axel-Springer-Preis und der Egon-Erwin Kisch-Preis.