Bildschirmfoto 2020 03 25 um 22.18.27Serie: DIE KRIMIBESTENLISTE im März 2020 , Teil 2

Elisabeth Römer

Hamburg (Weltexpresso) – Höchste Zeit also, die Märzliste der Krimibesten vorzustellen, auch wenn die neuen Titel erst im April richtig besprochen werden. Aber vorstellen kann man sie schon mal und wenn ein Autor mit einem Titel ganz neu direkt auf Platz 1 vorstößt, ist das immer etwas Besonderes. Nun ist Jan Costin Wagner kein Unbekannter, sondern ein ganz spezieller deutscher Autor, der für seine Leidenschaft für Finnland - Hintergrund ist, daß es das Herkunftsland seiner Frau ist - bekannt ist. Dort spielten auch seine sieben Kimmo-Joentaa-Krimis. 

Aber der neue Kriminalroman spielt nicht nur in Deutschland, sondern da unten in der Rhein-Main-Region, wo ja gleich zwei Landeshauptstädte nur durch den Rhein getrennt, nebeneinander liegen. Und die Hessens, Wiesbaden ist gleichzeitig eine fast provinzielle im Vergleich zur Metropole Frankfurt, die nicht nur von der Größe her fast dreimal so viele Einwohner hat, sondern mit dem Flughafen und den vielen Banken eine interantionale Ausrichtung hat, so daß sowohl literarische wie auch filmische Krimis sehr viel eher dort spielen. Aber es gibt eine wichtige Ausnahme, das sind die wirklich exzeptionellen TATORTE, die Ulrich Tukur in Wiesbaden zeigen. Also Wiesbaden. Und - weil es modern ist? - hat es mit Kindern zu tun. Und zwar gleich doppelt: es geht um Kindesentführung und Kindesmißbrauch. Harte Themen. Es sind zwei Ermittler Ben Neven und Christian Sandner. Einer von beiden, es ist Ben, ist selber pädophil, was nicht bekannt ist und was er unter der Decke (haha) hält, denn er will das Verbrechen aufklären. Ach so, daß er verheiratet ist und selbst ein Kind hat, kommt dazu. Also eine schwarz-weiß Malerei kann man dem Autor bei so viel Differenzierungen kaum vorwerfen. 

Das ist zudem kein Kriminalroman, der den Leser auf die Suche nach dem Täter schickt. Denn sehr schnell lernen wir ihn kennen, einen Serientäter, der nicht nur das Kind im Rhein-Main-Gebiet, sondern auch einen afghanischen Jungen in Innsbruck verschleppt. Beim nächsten Mal mehr!

Was den Leser, die Leserin zudem immer besonders interessieren, sind die Veränderungen gegenüber der vormonatlichen Liste. Diesmal ist die Hälfte ausgetauscht! Allerhand, daß bei den neuen gleich drei Romane deutsche Titel sind. Genau so erstaunlich, das die beiden übrigen ein italienischer und ein französischer Krimi sind. Ich kann mich an keinen Krimibestenliste erinnern, in der bei den neuen kein englisch-amerikanisch-australisch-südafrikanischer Krimi dabei waren. Das finden wir gut!!! Aber weniger gut, daß alle fünf neuen Autoren männlich sind. Hätten nicht vom letzten Mal vier Frauen überlebt: Attica Locke, Nicci French, Liz Moore und Sarah Schulman, sähe die Liste sehr eindimensional aus.

Auf DIE JUNGEN BESTIEN von Davide Lono, Rowohlt Verlag, gleich auf Platz 3, freuen wir uns schon, auch wenn das Thema: es werden zehn Skelette an der Bahnstrecke Mailand - Turin aufgefunden, hart ist. Es geht um Turin 1974 und eine Vergangenheit, die nicht vergeht. Denn nichts ist vergessen. NEU auf der Liste ist auch auf Platz 6 VERDAMMTE LIEBE AMSTERDAM von Frank Göhre bei Culturbooks. Schorsch sucht den Mörder seines Bruders.... Auch Xavier-Marie Bonnot ist kein Unbekannter auf der Krimibestenliste. DER ERSTE MENSCH aus dem Unionsverlag spielt in Marseilles. Man darf sich auf ein völlig ungewöhnliches Thema einstellen. Wirklich etwas ganz Besonderes: ein Geschwisterpaar macht Arbeitsteilung. Er ist ein schizophrener Mörder und sie eine Anthropologin, die beide wahnhaft die Urmenschen als die Eliten ansehen, denen die Menschheit dann nur noch als Abstieg diente. Kein Wunder, daß der marseillanische Autor auf solch ein Thema kommt, denn im Bereich von Marseilles  liegt die berühmte Höhle von Lascaux, mit den frühen menschlichen Höhlenzeichnungen, mindestens 20 000 Jahre alt. Das bleibt ein ständiges Thema, wie die Frühmenschen agierten und wie der Ermittler Commandant Michel de Palma damit umgeht. 

Als fünfte Neuerung ist auf Platz 10 Richard Lorenz plaziert. HINTER DEN GESICHTERN, erschienen bei Luzifer, kommt  übersinnlich daher. Richtig unheimlich wird es einem, wenn es um zweite Gesichter geht, die aber nicht helfen, denn auch hier kehrt die schlimme Vergangenheit zurück. Und nicht das unbekannte Grauen ist das schrecklichste, sondern das bekannte, das seit der Kindheit bekannte. Muß einen ganz schön durchschütteln. Das dann also das nächste Mal!!


DIE KRIMIBESTENLISTE FÜR MÄRZ 2020

1(-)
Jan Costin Wagner
Sommer bei Nacht
Galiani, 314 Seiten, 20 Euro

Wiesbaden, Innsbruck. Der kleine Jannis ist weg, der kleine Dawit auch. Entführt von Marko, hinter dem noch einer steckt. Das wissen die Ermittler lange nicht, die haben eigene Probleme. Einsam ist der eine, pädophil der andere. Mit dabei: ein Teddybär, ein Campingplatz, viel Angst, viel Schuld.


2(2)
Attica Locke
Heaven, My Home
Aus dem Englischen von Susanna Mende.
Polar, 322 Seiten, 22 Euro

„Hopetown“, Osttexas. Ein neunjähriger Bengel ist verschwunden, Blacks und Native Americans verteidigen ihre Heimat am Lake Caddo, Trump ist gewählt. Darren, schwarz, Texas Ranger, konstruiert Beweise gegen die „Arische Bruderschaft“, will seinen Leuten helfen, seinen Job behalten, das Richtige tun.


3(–)
Davide Longo
Die jungen Bestien
Aus dem Italienischen von Barbara Kleiner.
Rowohlt, 412 Seiten, 22 Euro

Turin 1974, 2008. Zehn Skelette werden an der Bahnstrecke Mailand–Turin gefunden, Opfer der „bleiernen Jahre“ des Terrors. Commissario Arcadipane, sein Mentor Bramard und Hackerin Isa bohren in alten Wunden. Eine Generation später sind sie kaum vernarbt. Misstrauen, Trauer, Härte, schmale Auswege.


4(3)
Nicci French
Was sie nicht wusste
Aus dem Englischen von Birgit Moosmüller.
Bertelsmann, 446 Seiten, 16 Euro

London. Neve hat mit Künstlermann ohne Job, Kindern und Beruf genug am Hut, da kommt ihr die Affäre mit dem Chef wie die große Freiheit vor. Bis sie ihn tot im Stelldichein findet, die Spuren von Mord und Affäre beseitigt und abhaut. Gut gemachtes Hohelied auf die toughe Durchschnittsfrau.


5(10)
Liz Moore
Long Bright River
Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus
Timmermann. C.H. Beck, 414 Seiten, 24 Euro

Philadelphia. Kacey nimmt Drogen, Mickey ist Polizistin, im Stadtteil geht ein Frauenmörder um. Das ist der Rahmen für den Schwesternkampf, hier die alleinerziehende Mutter, rechtschaffen und pflichtbewusst, da die unbeherrschte Abhängige. Drum herum Opioid-Katastrophe. Wem ist noch zu trauen?


6(-)
Frank Göhre
Verdammte Liebe Amsterdam
Culturbooks, 158 Seiten, 15 Euro

Köln, Hamburg, Amsterdam. Ein gebrochener Schwur, eine alte Liebe, ein unvergessener Totschlag: Background für Schorschs Suche nach den Mördern seines Bruders und nach einer Jugendlichen, die nach Holland abgehauen ist. Unterhalb der Spießerlatte: schwarze Romantik, rauhes Leben. Das kann nur Göhre.


7(-)
Xavier-Marie Bonnot
Der erste Mensch
Aus dem Französischen von Gerhard Meier.
Unionsverlag, 348 Seiten, 19 Euro

Marseille. Waren Urmenschen die wahren Menschen? Davon sind der schizophrene Mörder Thomas Autran und seine Schwester, eine Anthropologin, bis zum Wahn überzeugt. Prähistorie und Psychologie, Magie und Mord – Bonnots Rezept funktioniert auch im vierten Krimi um „Baron“ Michel de Palma prima.


8(6)
Robert E. Dunn
Dead Man’s Badge
Aus dem Englischen von Philipp Seedorf.
Luzifer, 356 Seiten, 14,95 Euro

Texas. Longview Moody, Geldkurier eines Drogenkartells, entkommt seiner Hinrichtung und gibt hinfort als sein Bruder Paris Tindall den Polizeichef im Grenzort „Lansdale“. Der fest in den Klauen der DEA und eines anderen Kartells ist. Longview weiß, wie man solche Leute zurechtstößt. Rasanter Thriller.


9(1)
Sarah Schulman
Trüb
Aus dem Englischen von Else Laudan.
Ariadne im Argument Verlag, 270 Seiten, 20 Euro

New York 2017. Suchtkranke verstehen was von Sucht. Maggie Terry nutzt ihre zweite Chance. Als Privatermittlerin eines Anwalts quält sich die Expolizistin, nach dem Entzug geschüttelt von Flashbacks und Versuchungen, ermittelnd zurück ins Soziale. Vereinsamt, verraten, in einer kranken Stadt.

10(–)
Richard Lorenz
Hinter den Gesichtern
Luzifer, 294 Seiten, 13,95 Euro

Nahe München. Als Kind hatte sie das zweite Gesicht, jetzt hätte es Krankenschwester Lisbeth dringend nötig – wie vor 30 Jahren ist ein Mörder in der Kleinstadt. Kehrt die mühselig verdrängte Vergangenheit schlimmer wieder? Angst wird Horror, Erinnerung Qual. „Wir haben nicht nur eine Geschichte.“ Stark.


Die Krimibestenliste, wo kann man sie lesen, wer erstellt sie, wo wird sie veröffentlicht?

WO? außerhalb von WELTEXPRESSO
Die Krimibestenliste auf Deutschlandfunk Kultur
www.deutschlandfunkkultur.de

Die Krimibestenliste am ersten Sonntag des Monats: www.faz.net
Die zehn besten Kriminalromane des Monats März 2020 sind allerdings nur noch über online verfügbar. In der Vergangenheit veröffentlichte die FAS, die Sonntagszeitung der FAZ, an jedem ersten Sonntag im Monat die jeweilige Liste. Leider gibt es die Liste seit 2020 nur noch im Internet. Ob die FAZ und FAS wissen, welche Einbuße sie damit bei Krimilesern erfahren?

An jedem ersten Sonntag des Monats geben 19 Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Die Krimibestenliste ist eine Kooperation der Frankfurter Allgemeinen mit Deutschlandfunk Kultur.

Die Jury:
Tobias Gohlis, Sprecher der Jury | Volker Albers, „Hamburger
Abendblatt“ | Andreas Ammer, „Druckfrisch“, BR | Gunter Blank,
„Rolling Stone“ | Thekla Dannenberg, „Perlentaucher“ | Hanspeter
Eggenberger, „Tages-Anzeiger“ | Fritz Göttler, „Süddeutsche Zeitung“ |
Jutta Günther, „Radio Bremen Zwei“ | Sonja Hartl, „Zeilenkino“,
„Culturmag“, „Deutschlandfunk Kultur“ | Hannes Hintermeier, „Frankfurter
Allgemeine Zeitung“ | Peter Körte, „Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung“ | Alf Mayer, „Culturmag“, „Strandgut“ | Kolja Mensing,
„Deutschlandfunk Kultur“ | Marcus Müntefering, „Der Spiegel“ | Ulrich
Noller, „Deutschlandfunk Kultur“, „Deutschlandfunk“, SWR, WDR | Frank
Rumpel, SWR | Ingeborg Sperl, „Der Standard“ | Sylvia Staude,
„Frankfurter Rundschau“ | Jochen Vogt, „NRZ“, „WAZ“

Foto:
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