u1 978 3 498 00222 0Neues von Woody Allen (2): „Ganz nebenbei" - die Biografie

Hanswerner Kruse

Hamburg (Weltexpresso) - Woody Allens Autobiografie „Ganz nebenbei“ beginnt so, wie er manchmal im „Stadtneurotiker“ aus dem Film tritt, sich direkt an das Publikum wendet und munter draufloswitzelt: Schnodderig, assoziativ und bildhaft wie im Kino lässt er uns an seinem Leben teilnehmen. Seine Eltern „passten zusammen wie Hannah Arendt und ein Gangsterboss“, schreibt er. „Sie waren uneins über alles außer Hitler und meine Schulzeugnisse. Aber trotz aller Wortgemetzel blieben sie siebzig Jahre verheiratet - um den anderen zu ärgern vermute ich.“

In seiner „Autobiografie eines misanthropischen, ungebildeten Gangster-Fans, eines kulturlosen Eigenbrötlers“ erzählt er, wie seine ältere Cousine Rita ihn bereits mit fünf Jahren ins Kino schleppte und er alles sah, was Hollywood hervorbrachte: „Man kauft eine Karte, tritt ein, und plötzlich sind Sonne und Hitze verschwunden, man befindet sich in einer Parallelwelt.“ Später changieren viele seiner Filme ebenfalls zwischen Traum und Realität („den Klauen meiner Erzfeindin der Wirklichkeit“). Weitere Träume weckte auch ein Ausflug mit dem Vater rüber nach Manhattan. Oft schwänzte er danach die Schule, um seinen „antisemitischen Lehrerinnen“ zu entkommen. Er trieb sich am Broadway herum, sah „Champagner-Komödien“ im Kino oder erlebte Zauberer und Comedians: „Zurück in Brooklyn, träumte ich von einem Leben in der Stadt jenseits des Flusses.“

Diese Fantasie erfüllte er sich, als er mit dem Schreiben von Gags und Witzen für bekannte Komiker im Laufe der Zeit richtig viel Geld verdiente. Wir lesen von seinen folgenden, zunächst nicht so berauschenden Bühnenauftritten, dann wie sein erstes Drehbuch für „Was gibt’s Neues, Pussy“ vermasselt wurde. Später verfolgen wir seine aufregende Entwicklung zum erfolgreichen Regisseur, Drehbuchautor und Schauspieler, die keineswegs immer gradlinig verlief und von ihm mit zahlreichen Abschweifungen erzählt wird: Komisch, selbstkritisch und fast immer sehr unterhaltsam. Außerdem gewürzt mit Überlegungen zum Filmemachen („Das ist kein Hexenwerk“) und Erfolg („Halfen die Oscars gegen meinen Haarausfall?“) oder zu Frauengeschichten („Ich habe nie Privates und Beruf vermischt“)

Gelegentlich nerven die zahlreichen, in seinem Buch auftretenden und längst vergessenen Komiker, Kinoleute und Musiker. Spannend und interessant sind dagegen die Schilderungen sämtlicher Werke, in die er als Autor, Regisseur oder Akteur verwickelt war. Auch wenn viele biografische Episoden oder skurrile Beobachtungen in diesen Streifen auftauchen, sind es immer Spielfilme; selbst bei einer (scheinbaren) Dokumentation wie „Zelig“. Seine unterhaltsame, meist sehr lesenswerte Lebensgeschichte macht große Lust darauf, Filme von Woody Allen wiederzusehen.

Dramatisch wird es ab Seite 245, als Allen die Schauspielerin Mia Farrow kennenlernt, mit der er dann zwölf Jahre lang liiert war. Die wohl von vielen Lesern gesuchten „Stellen“ umfassen, sachlich bis wütend notiert, höchstens 50 Seiten. Betroffen schreibt der Autor über die sowieso schwierige Beziehung, die Tragödie der Trennung und Farrows Missbrauchsvorwürfe. Erstaunlich respektvoll erzählt er jedoch danach über die gemeinsamen Filme und ihre, von ihm bewunderte Schauspielkunst.

Zwei Jahrzehnte lang schuf er noch viele großartige Filme und lebte in Ruhe mit Soon-Yi zusammen, der Adoptivtochter Farrows, die einst der Trennungsgrund war. Doch dann fegte noch einmal ein Shitstorm von Verdächtigungen über ihn hinweg. Aber sein liebevolles Fazit ist eindeutig:
„Ich habe einen hohen Preis dafür gezahlt, dass ich Soon-Yi liebe. Den war’s allemal wert!“

Info:
Woody Allen: „Ganz nebenbei“ Autobiografie, Rowohlt-Verlag 2020, gebunden, 448 Seiten, 25 Euro
Auch als E-Book und Hörbuch erhältlich.