Die Fortsetzung einer isländischen Krimi-Trilogie von Ragnar Jónasson, bei btb
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – INSEL liest sich wie von alleine. Denn jetzt kennen wir ja die zerrissene, kurz vor ihrem 50. Geburtstag stehende Kommissarin Hulda Hermannsdóttir vom ersten Band der HULDA-Trilogie, DUNKEL, https://weltexpresso.de/index.php/buecher/19352-dunkel schon näher. Wir haben sie dort in völliger Abgeschiedenheit eingesperrt von einem Mörder verlassen. DUNKEL eben.
Doch wer glaubt, jetzt ginge es weiter, denn ihre Lage war absolut hoffnungslos, der irrt, denn die Geschichte von Hulda spinnt sich rückwärts. Darum liest man so leicht, denn wir sind als Leser längst weiter, als es die Hauptperson Hulda in ihrem eigenen Leben und ihrer Polizeikarriere ist. Gut, manchmal muß man doch innehalten und sich, Hulda und das Buch befragen, wo und wann man gerade ist. So beginnt der Prolog mit 1988, der endet: „Nein. Aber es war irgendwie komisch, Papa...“ und Teil Eins spielt 1987...
In Teil Zwei heißt es „Zehn Jahre später, 1997“. Da hat sich die Tochter von Hulda längst umgebracht und auch der Ehemann ist schon tot. Wir wissen aber noch aus dem ersten Band, daß sich Hulda weiterhin mit beiden innerlich beschäftigt, nur ist es jetzt erst ein paar Jahre her, daß die beiden tot sind, also alles noch frisch, zusätzlich ist noch ihre Mutter gestorben, Hulda ist völlig allein auf der Welt. Sehr einsichtig, daß sie sich so intensiv wie nie zuvor fragt, wer eigentlich ihr Vater ist. Ein US-Amerikaner, Soldat, der Robert hieß und den ihre Mutter Anna ziehen ließ, ja ihm niemals vom gemeinsamen Kind sprach, denn er war in Georgia verheiratet. Schon immer wollte Hulda ihn aufspüren, jetzt, kurz vor ihrem 50. Geburtstag tut sie es, für sie selbst genauso überraschend wie für den Mann und den Leser. Kurzentschlossen fliegt sie in die USA, nach Georgia, nachdem sie herausbekommen hat, daß zwei Roberts damals in Island stationiert waren.
Der eine begrüßt sie sehr freundlich und speist sie mit hervorragendem Kuchen ab, den seine Frau gebacken hat, der er seit 50 Jahren die Treue hält. Er kann es nicht sein. Und er hilft ihr zudem, den zweiten Robert ausfindig zu machen. Doch der ist schon tot, an seinem Grab kommt Hulda zur Ruhe und weiß, hier ist ein Lebensfaden zu Ende. Doch der Leser ahnt, vielleicht nicht jeder Leser, doch jede Leserin, vermuten wir mal...
Doch jetzt zum eigentlichen Geschehen, einem Mordfall, der zusätzlich einen vergangenen Mordfall als Fehlurteil entlarven wird. Und nur, weil Hulda das Ermitteln nicht aufgegeben hat. Seltsame Situation. Es gibt eine Fünfergruppe, eine Freundesgruppe drei Frauen: Katla, Klara, Alexandra und Dragur und Benedikt. Es gab sie, muß es richtigerweise heißen, denn 1987 ist Katla ermordet worden. Und in Gedenken an alte Tage, wollen die vier zehn Jahre später gemeinsam in das einsamste Haus Islands fahren, in eine Hütte, die nur schwer zu erreichen ist. Sie haben das Gefühl, sie müßten einander wiedersehen und eben auch gemeinsam an Katla denken.
Das ist so stringent durcherzählt, daß sich das VonselberLesen einstellt, weil man – außer, daß man aufmerken muß, in welchen Jahrzehnten man sich befindet – sofort alles versteht und dabei bleibt, selbst dann, wenn Hulda wieder in ihre Selbstanklagen verfällt. Außerdem, das kam im ersten Buch nicht so zum Tragen, ist sie ganz schön ehrgeizig. Ihr fällt auf, daß andere leichter Karriere machten als sie und da es finanziell in ihrem Leben durch den Tod von Tochter und Ehemann nur abwärts ging, wohnt sie äußerst bescheiden gegenüber dem Haus, das sie damals bewohnte und wonach sie Sehnsucht hat. Und dann ist da LYDUR, der Kollege, der an ihr vorbeizog und Chef wurde, wo sie eigentlich dran war. Aber vor zehn Jahren hatte er einen Mordfall so schnell und spektakulär aufgeklärt, - durch den Selbstmord des von ihm überführten Täters – der Vater des Mädchen! Wie furchtbar, noch in der Gefängniszelle, was ein Gerichtsverfahren unnötig machte - , daß er als neue Wunderwaffe der Kriminalpolizei den Posten bekam, der eigentlich Hulda zustand....
Das ist nicht neu, wie fitte junge Männer an Frauen vorbeiziehen, aber es ist diesmal besonders deutlich. Keinem außer Hulda ist aufgefallen, daß bei dem Kerl etwas nicht stimmt. Der Leser merkt es bald, denn der Polizeibeamte, dessen Aussage den Vater damals belastete, wurde von LYDUR dazu erpreßt. Man ahnt es längst, daß es der Vater nicht war, aber virulent wird das erst, als die Vier zur weit abgelegenen Insel aufbrechen. Das ist spannend geschrieben und auch die Landschaftsbeschreibungen führen einen Island vor Augen. Klar, daß es wieder einen Mord geben wird. Wieder eine Frau, die zu Füßen einer hohen Klippe am Meer liegt. Ein Unfall denken alle, doch dann findet die Pathologin die Würgespuren am Hals....
Und jetzt wird dieser Krimi zu einem, der je enger der Verdächtigenkreis wird, desto stärker vom Leser selbst fordert, eine Meinung zu gewinnen. Jeder wird der Reihe nach verdächtigt und am Schluß stellt sich heraus, daß endlich der Zusammenhang mit dem Mord vor zehn Jahren beweisbar ist. Und auch der Mörder von Katla ein anderer ist, als ihr eigener Vater. Man muß noch hinzufügen, daß mit Dragur der Bruder von Katla, also der Sohn des damals vermuteten Mörders besonders involviert ist, der damals als einziger renitent gegen die Inhaftierung seiner Vaters protestierte. Eine Rolle spielt zudem, wer sich vor zehn Jahren als Paar verstand, ach was, ein Liebespaar war.
Warum man das Geschehen so intensiv verfolgt, hat auch damit zu tun, daß sich beide Fälle, das tote Mädchen und die tote junge Frau, nicht als bös geplante Morde herausstellen, sondern doch eher als tragische Unglücksfälle, die jedoch einen Schuldigen haben. Lesen Sie selbst. Man empfindet die Wärme von isländischen Menschen genauso wie die Kälte Islands.
Ich bin nun gespannt auf den dritten Band, denn das Ende vom ersten läßt einen nicht los, während der zweite eine runde, in sich geschlossene Geschichte erzählt hat.
Foto:
Cover
Info:
DEUTSCHE ERSTAUSGABE
Aus dem Englischen von Kristian Lutze
Originaltitel: Drungi
Originalverlag: Bjartur Veröld
Paperback , Klappenbroschur, 382 Seiten, 13,5 x 20,6 cm, 1 s/w Abbildung
ISBN: 978-3-442-75861-6
Erschienen am 13. Juli 2020
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