Ruud Koopmans Das verfallene Haus des Islam. Die religiösen Ursachen von Unfreiheit, Stagnation und Gewalt, Teil 1/2
Elvira Grözinger
Berlin (Weltexpresso) - „There is something rotten in the state of Danmark” (Etwas ist faul im Staate Dänemark”), lautet eines der berühmtesten und nach wie vor aktuellen Zitate derWeltliteratur, nämlich aus William Shakespeares Hamlet. Diese Worte kommen einem in den Sinn, wenn man das kürzlich erschienene wichtige Buch von Ruud Koopmans über den desolaten Zustand des Islam in der Gegenwart liest.
Der Autor, niederländischer Sozialwissenschaftler, Jahrgang 1961, lehrt seit 2013 als Professor für Soziologie und Migrationsforschung am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt Universität in Berlin. Wiewohl mit einer türkischen Muslimin verheiratet, ist er nach seinen am Wissenschaftszentrum Berlin für Soziologie (WZB) durchgeführten Studien zur Migration und Integration insbesondere der Muslimischen Migranten dem Islam gegenüber objektiv geblieben. Seine Einschätzung der Flüchtlingspolitik Angela Merkels als „absolute Fehlleistung“ wurde durch die Ergebnisse der empirischen Forschung zu Fundamentalismus und Fremdenfeindlichkeit unter Muslimen und Christen bestätigt, wonach ein erheblicher Teil der in Europa lebender Muslime fundamentalistische Auffassungen hegen.
Das vorliegende Buch ist eine überarbeitete deutsche Fassung des 2019 in Amsterdam erschienen Werks, das ein breites Echo auslöste und kontroverse Reaktionen hervorrief. Während Koopmans Kritiker ihm vorwarfen, einen „ordinären Rassismus“ zu vertreten, weil er den Multikulturalismus nicht gut findet und die muslimischen Frauen als die am schlechtesten ausgebildete und integrierte Gruppe darstellt, loben ihn andere, darunter Islamkritiker, als einen vorbildlichen Aufklärer über das Wesen und die Fehler des Islam, welche die gegenwärtige schwere Krise dieser Religion und ihrer Anhänger seit 1970 verursacht haben. Er selbst sagt eingangs: „Dieses Buch ist islamkritisch, aber nicht islamfeindlich. Jeder, der nicht zwischen Kritik an einer Religion – oder besser gesagt, an ihrer derzeit dominierenden Interpretation – und Rassismus unterscheiden kann, sollte dieses Buch beiseitelegen. Dasselbe gilt für diejenigen, die glauben, dass der desolate Zustand, in dem sich die islamische Welt befindet, auf unveränderliche Merkmale des Islam zurückzuführen ist. Wie bei anderen Religionen gibt es auch bei den heiligen Schriften des Islam viele Auslegungsmöglichkeiten. [...] Nicht der Islam, sondern seine fundamentalistische Interpretation ist die Wurzel der Krise, in die die islamische Welt in den letzten fünfzig Jahren immer tiefer gesunken ist“. (S. 9)
Nun, Koopmans ist weder Orientalist, noch Religionswissenschaftler und auch kein Historiker, sondern ein moderner Soziologe, was seine Stärke ist und die gelegentlichen Fehlmeinungen und Defizite bezüglich der obengenannten Disziplinen erklärt. Der Autor, in einer charismatischen Pfingstgemeinde aufgewachsen, die „eine tiefe Liebe zum Staat Israel“ pflegte und gemäß der neutestamentlichen Offenbarung einen apokalyptischen Kampf zwischen Gut und Böse in Jerusalem erwarte, was seiner Meinung auffallende Ähnlichkeiten mit der Gedankenwelt der Djihadisten aufweist.
Ich stimme darin mit seinem Urteil und der empirisch gewonnenen Erkenntnis überein, dass viele der Hindernisse für eine erfolgreiche Integration muslimischer Migranten mit der Religion zusammenhängen. Für seine Thesen zieht er die Beispiele mehrerer islamischer Länder heran, in denen der religiöse Fanatismus und die Intoleranz vor vierzig Jahren weniger ausgeprägt waren als heute: „Kulturell und religiös gesehen waren Städte wie Istanbul, Kairo und Karatschi fortschrittlicher, toleranter, weltoffener.“ Ich kann nur sagen, dass mein Aufenthalt in Istanbul im Jahre 1968 diesen Eindruck nicht bestätigt. Ich war eine der ganz wenigen Frauen auf den Straßen und trotz der Anwesenheit meines Ehemannes an meiner Seite, haben sich die auf den Straßen herumtreibenden Männer, sagen wir, „orientalisch“ verhalten. In Izmir, das habe ich auch auf Fotos festgehalten, war ich - etwa auf dem Markt – die einzige Frau ohne Kopftuch. Die Frauen in Persien konnten unter dem Schah genau so wie im Libanon früher westlich gekleidet und frei von religiösen Zwängen leben, was sich seit der Etablierung der islamischen Republik Iran am 1. April 1979 radikal geändert hat. Mit dem Zufluss von Muslimen und der wachsenden Islamisierung des Libanons und der kleiner werdenden christlichen Bevölkerung hat sich auch das Gesicht dieses krisengeschüttelten Landes verändert und radikalisiert.
Koopmans „vielleicht stärkstes Motiv, dieses Buch zu schreiben, ist das große Desinteresse an der erschütternden Unterdrückung von religiösen Minderheiten, Glaubensabtrünnigen und Atheisten, Frauen und Homosexuellen in der islamischen Welt, die manchmal auch einfach geleugnet wird [...] Es bleibt erstaunlich still, wenn es um die Solidarität mit den Opfern der islamischen Apartheid geht, die in den meisten islamischen Ländern Frauen im Namen der Scharia zu Bürgern zweiter Klasse degradiert, minderjährige Mädchen in Ehen zwingt, Männern erlaubt, mehrere Frauen zu heiraten und sich per SMS von ihnen zu scheiden [....]. Religiöse Minderheiten wie Christen, Jesiden und Atheisten aber auch islamische Minderheiten wie die Ahmadiya werden in Islamischen Ländern verfolgt“. Koopmans vergisst hier leider zu erwähnen, dass seit der Vertreibung der Juden aus den muslimischen Ländern nach der Gründung des Staates Israel, die Juden - bis auf Marokko und den Iran - zwar als Religionsgemeinschaft geduldet werden, ansonsten jedoch eine sehr fragile und gefährdete Existenz führen.
Bezüglich des frühen, angeblich so toleranten, Islam hat Koopmans leider überholte Vorstellungen, die durch die Forschung längst korrigiert wurden. Das vorgeblich goldene Zeitalter des Islam nach den Eroberungen, das dem Autor sowohl militärisch und wirtschaftlich als auch bezüglich der Wissenschaften, dem Westen nicht nur ebenbürtig, sondern auch als diesen überlegen erscheinen lässt, beruht auf dieser irrigen Sicht der Geschichte. Befremdlich klingt außerdem Koopmans lakonische Bejahung der islamischen Unterwerfungspolitik, die ja das Wesen des Islams ausmacht. Dem bis heute andauernden Judenhass und der Verfolgung der Christen kann ich persönlich nichts abgewinnen, trotz der Ansicht des Verfassers: “In seinen früheren Tagen brachte der Islam eine Reihe von Vorteilen mit sich, die ihn positiv vom damaligen christlichen Westen unterschieden. Durch die Bekehrung zum Islam konnten unterworfene Völker gleichberechtigte Bürger werden. Christen und Juden hatten zwar einen Status zweiter Klasse aber genossen immerhin wichtige Rechte und Freiheiten, von denen Muslime und Juden in der christlichen Welt nur träumen konnten [...]“ Dass der von Koopmans als so „tolerant“ gepriesene Islam den Juden und Christen einen Tribut nach ihrem Gutdünken abverlangte, wodurch diese zu geduldeten „Dhimmis“ wurden, was sie dennoch nicht vor Verfolgung schützte, scheint dem Autor nicht erwähnenswert.
Fortsetzung folgt
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Info:
Ruud Koopmans Das verfallene Haus des Islam. Die religiösen Ursachen von Unfreiheit, Stagnation und Gewalt, C.H.Beck 2020
ISBN 978-3-406-74924-7