Deutscher Buchpreis 2020, Sechserliste, Teil 14
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – „Falsche Fragen, richtige Antworten“ mußte man unwillkürlich denken, als mit Anne Weber und ihrem ANNETTE, EIN HELDINNENEPOS die letzte von vier der insgesamt sechs Nominierten zum Deutschen Buchpreis an diesem Sonntagnachmittag Rede und Antwort stand. Sie zog sich klug aus der Affäre, die ja keine war, nur eine ungeschickte Fragerin vorführte.
Die Grundstimmung im großen Saal des Frankfurter Literaturhauses, das nach Coronabedingungen vereinzelt besetzt war, war schon deshalb blendend, weil die Anwesenden der als Stream gesendeten Livesendung richtig dankbar waren, daß vor ihnen leibhaftige Autorinnen und ein Autor eine Moderatorin und ein Moderator saßen und man das Verfertigen von Gedanken und die Gespräche über die Bücher optisch und akustisch erleben durfte. Das wollen wir mit der Besprechung der jeweiligen Bücher ausführlicher darstellen. Hier ein kurzer Abriß der Veranstaltung.
Zeitplan:
15.00 – 15.05 h: Begrüßung: Hauke Hückstädt (Literaturhaus Frankfurt)
15.05 – 15.30 h: Dorothee Elmiger: Aus der Zuckerfabrik
Moderation: Christoph Schröder (freier Kritiker)
15:35 – 16:00 h: Deniz Ohde: Streulicht
Moderation: Miriam Zeh (Deutschlandfunk)
16:05 –16:30 h: Bov Bjerg: Serpentinen
Moderation: Christoph Schröder (freier Kritiker)
16.35 – 17.00 h: Anne Weber: Annette, ein Heldinnenepos
Moderation: Miriam Zeh (Deutschlandfunk)
Hausherr Hauke Hückstädt (Foto links) begrüßte und entschuldigte die beiden Nominierten, die nicht gekommen waren, gratulierte allen, die von über 200 Romanen es mit ihren Büchern auf die Zwanzigerliste geschafft hatten, für ihn ein Ritterschlag. Und beim Vorstellen müssen wir uns immer an die eigene Nase fassen, daß nicht Autorinnen und Autoren vorgestellt werden, sondern daß der Deutsche Buchpreis ein Preis für den besten Roman darstellt, also die Bücher vorgestellt werden, über deren Zustandekommen, den Gehalt und Schreibfinessen die Autoren dann auf die Fragen der Moderatoren hin Auskunft geben. Das ging locker mit Fragen von Christoph Schröder los, der AUS DER ZUCKERFABRIK von Dorothee Elmiger (Foto rechts) als ein Werk ansprach, das keiner herkömmlichen Gattung entspreche und keinen Plot habe. Dem stimmte die Autorin zu und auch die Anwesenden konnten durch deren Lesung verstehen, was gemeint war. Wenn man das Buch gelesen hatte, konnte man konstatieren, daß mit den Seiten 238 ff sogar noch das Zusammenhängendste vorgelesen worden war. Die Schweizerin Elmiger steht auch auf der Lister der letzten Fünf des Schweizer Buchpreises und ihr Buch ist eine ständige Spurensuche für die Leser.
Deniz Ohde (Foto links) wählte für ihre Lesung den Anfang, in dem die Eltern beschrieben werden. Daß sich in ihrem Leben viel verändert habe, mutmaßte Miriam Zeh, denn STREULICHT ist ein Debüt. Ja und nein, aber das ganze Jahr 2020 sei außergewöhnlich. Ihr sei ein außerordentlich stimmiges Porträt der 80er und 90er Jahre gelungen, ob nicht die Geschichte, eine Bildungsbiographie, genauso beispielsweise im Jahr 2010 stattfinden könne. Nein, denn da kenne sie sich nicht aus. Auch die seltsame Frage nach einer sozialen Scham konnte und wollte die Autorin nicht bedienen, natürlich spiele die soziale Herkunft eine Hauptrolle, aber die Erzählerin schäme sich nicht, sondern sei ratlos, weil sie die Codes nicht verstehe.
Mit Bov Bjerg (Foto rechts) hatte Christoph Schröder einen erfahrenen Autor (Auerhaus) als Gegenüber, der seinen Lesepart vom Anfang des 2. Kapitels von SERPENTINEN temperamentvoll vortrug. Dabei fiel auf, daß die düstere Geschichte – ein Vater, dessen Vater und Großvater sich umgebracht hatten, reflektiert über seinen Selbstmord, bei dem er potentiell seinen Sohn mitnehmen will – einen fast heiteren, auf jeden Fall sarkastischen Ton habe, den der Autor bewußt und kunstvoll einsetzt. Außerdem ist der Roman eine Liebeserklärung an die Schwäbische Alb, wo der Autor aufwuchs.
Miriam Zeh mag keine Heldengeschichten und ließ darum das HELDINNENEPOS lange liegen, warum sie diese literarische Form gewählt habe, konnte ihr Anne Weber (Foto links)n direkt beantworten. Wäre ihr Held ein Mann, hätte sie daraus nie ein Heldenepos gemacht, aber Frauen ...Ihre Heldin ist eine 1923 geborene Französin, die widerständig gegenüber den Nazis in der Resistance war, auch im Algerienkrieg. Weber beschreibt ihr Leben, das sie selbst in einer Autobiographie niederschrieb, als ihre Sicht darauf, nicht als Biographie. Auf die so peinliche wie falsche Frage, ob wir Heldinnen oder Geschichten über Heldinnen brauchen, um uns besser zu fühlen, gab sie die adäquate Antwort, daß dies bei ihr das Gegenteil bewirke, daß sie sich schlechter fühle. Beifall.
Mehr demnächst.
Fotos:
die Vier auf den Stufen des Literaturhauses
und während ihrer Auftritte
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