Ein neuer biografischer Roman über den jungen Friedrich Engels
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Am 28. November 1820, vor 200 Jahren, wurde Friedrich Engels in Barmen (heute ein Stadtteil von Wuppertal) geboren.
Das ist für den Frankfurter Schriftsteller Vougar Aslanov, der aus Aserbaidschan stammt, Anlass, sich vor allem mit dem Gymnasiasten, Kaufmannslehrling und geistreichen Bonvivant Engels ausführlich zu befassen. Dessen Familie, eine Dynastie von Textilfabrikanten im pietistisch geprägten Tal der Wupper, hatte ihm den Weg zu Karriere und Reichtum vorgezeichnet. Doch der junge Engels wollte lieber Philosoph werden und den Armen zu ihren Rechten verhelfen. Aslanov berichtet detailreich und unterhaltsam über einen Ausbruch und dem sich daraus ergebenden Aufbruch zu neuen Ufern, die später die Welt verändern sollten.
Johann Caspar Engels, ein Textil-Unternehmer aus Barmen, entscheidet sich in den 1770er Jahren, das von ihm gegründetes Geschäft seinem Sohn, der ebenfalls Johann Caspar Engels heißt, zu übergeben. Der Sohn erweitert das Geschäft und firmiert fortan als „Engels und Söhne“. Die Leitung des Textilunternehmens bestimmt zunächst ausschließlich seinen Lebensinhalt. Erst im Alter von knapp vierzig Jahren heiratet er. Bei der Wahl der Auserkorenen scheint nicht nur das Herz, sondern auch das kaufmännische Kalkül gesprochen zu haben. Denn sie ist die Tochter des Bürgermeisters von Ruhrort, der auch das Amt des königlichen Zoll- und Lizenzeinnehmers ausübt. Er verspricht sich davon eine politische Unterstützung seiner Geschäftstätigkeit.
Johann Caspar schickt den ältesten Sohn Friedrich Engels nach Frankfurt in die Tuchhandlung von Johann Friedrich Eckard, damit er das Gewerbe von der Pike auf lernen kann. Nach der Ausbildung geht Friedrich nach Hamm, wo er die Familie des Gymnasiumdirektors van Haar kennenlernt und schon bald dessen Tochter heiratet. Friedrich, der sich für Literatur und Kunst interessiert und die evangelische Kirche in Barmen finanziell unterstützt, wird später Teilhaber der Firma „Engels und Söhne“ und erweist sich als talentierter und erfolgreicher Geschäftsmann. In den 1830er Jahren gründet er mit einem Partner die Textil-Firma „Ermen & Engels“ in Engelskirchen. In seinem ältesten Sohn, der am 28. November 1820 geboren wird und der auch den Vornamen Friedrich erhält, sieht er nicht nur den natürlichen Nachfolger. Er soll dem Familienunternehmen zu besserer Geltung und zu internationaler Anerkennung verhelfen.
Friedrich jun. interessiert sich jedoch vor allem für Literatur, Geschichte und Philosophie. Diese Vorlieben scheint er von seiner Mutter und noch mehr vom Großvater aus Hamm geerbt zu haben. Der alte van Haar eröffnet ihm Zugänge zur antiken Literatur und zu den alten Philosophen. Und er vermittelt ihm, dass auch die moderne deutsche Philosophie noch immer um jene Fragen ringt, die bereits die Antike beschäftigte. Fast automatisch wächst sein Interesse an Griechisch und Latein sowie an der Geschichte der alten Reiche. Der römische Senator Cola di Rienzo, ein Volkstribun des 14. Jahrhunderts, begeistert ihn. Er hatte eine Revolution des Volkes gegen den herrschenden Adel inszeniert und eine Republik nach dem Vorbild des untergegangenen Römischen Reichs ausgerufen. Friedrich Engels jun. zeigt sich davon fasziniert. Gerade einmal sechzehn Jahre alt, schreibt er ein Theaterstück, dem er den Titel „Cola di Rienzo“ gibt.
Doch trotz seiner Leidenschaft für die Geisteswissenschaften soll er nach dem Willen des Vaters den Besuch des Elberfelder Gymnasiums beenden, um sich frühzeitig in den Beruf des Kaufmanns einzufinden. Nach wenigen Monaten praktischer Mitarbeit in der väterlichen Firma in Barmen, schickt dieser den Achtzehnjährigen nach Bremen, damit er eine regelgerechte kaufmännische Ausbildung absolvieren kann.
Doch zwischen Kontor und Tuchballen dichtet Friedrich weiter, zeichnet sogar und träumt davon, Schriftsteller zu werden. Neben der Lehre arbeitet er als Korrespondent für mehrere Zeitungen, darunter für den „Telegraf für Deutschland“. Die Ungerechtigkeit in der Gesellschaft ist sein Hauptthema. In der Handels- und Hafenstadt Bremen findet er dafür diverse Belege. Sein im „Telegraf“ erschienener Beitrag „Briefe aus dem Wuppertal“, in dem er sich über Kapitalisten und Geistliche lustig macht, löst in Barmen und Elberfeld erhebliche Verärgerung aus.
Der junge Friedrich Engels entwickelt zwei Thesen, die später zu den Grundüberzeugungen der Sozialisten werden:
1. Die Gesellschaft sei getrennt in Reiche und Arme, die sich als unversöhnliche Klassen gegenüberstünden.
Die Tagelöhner und Handwerker tränken Branntwein oder läsen in der Bibel, statt sich ihre Menschenrechte zu erkämpfen. Sein Freund Karl Marx wird später schreiben, dass Religion das Opium des Volkes sei.
Nach dem Abschluss der kaufmännischen Ausbildung meldet sich Friedrich zum freiwilligen einjährigen Militärdienst nach Berlin. Dort hofft er, die Philosophie-Vorlesungen an der Universität besuchen zu können. Da er aber kein entsprechendes vorheriges Studium nachweisen kann, stellt ihn das Militär nicht stundenweise frei. Dennoch gelingt es ihm, Kontakt zu den Junghegelianern aufzunehmen, die sich auch als Linkshegelianer bezeichnen. Zu ihnen gehören. David Friedrich Strauß, Ludwig Feuerbach, Bruno und Edgar Bauer, Arnold Ruge, Moses Hess und Karl Friedrich Köppen. Sie treffen sich im so genannten Doktorklub. Auch Karl Marx zählt zum erweiterten Kreis.
Den lernt er jedoch erst im November 1842 kennen, kurz bevor er für zwei Jahre nach Manchester zieht. In der dortigen Spinnerei von „Ermen & Engels“ soll er sich zusätzliche Kenntnisse über das Textilgewerbe aneignen. Die unmittelbare Begegnung mit dem Elend der arbeitenden Klasse in England war ein endgültiger Anlass, sich restlos der Sache der Armen und Entrechteten anzunehmen. 1845 veröffentlicht er seine Eindrücke als Buch („Die Lage der arbeitenden Klasse in England“).
Vougar Aslanov legt das Schwergewicht seines Engels-Romans auf den jungen Engels. Das ermöglicht dem Leser, die spätere Wandlung zum erklärten Sozialisten als die Entwicklungsgeschichte eines Menschen zu begreifen, der Anteil nahm an den Widrigkeiten seiner Epoche und nach Antworten suchte.
Vougar Aslanov wurde 1964 in Goranboy, Aserbaidschanische SSR, geboren. Nach dem Schulabschluss studierte er von 1982 bis 1983 und dann von 1985 bis 1990 Literaturwissenschaften an der Universität Baku. Von 1983 bis 1985 war er Soldat der Sowjetarmee. Ab 1990 war er für mehrere Zeitungen in Baku tätig. 1995 gründete er die Literaturzeitschrift „Kompas“, 1996 die Informationsagentur „Samt“. In den 1990er Jahren wurden in Baku mehrere Prosabücher von ihm veröffentlicht. Seit 1998 lebt er in Deutschland. Er studierte zunächst Slawische Philologie, anschließend Theater- und Filmwissenschaft an den Universitäten Mainz, Gießen und Frankfurt am Main.
Seit 2000 ist Aslanov als freier Schriftsteller und Publizist tätig. Er veröffentlichte u. a. in Zeitungen (darunter „Frankfurter Neue Presse“, „Frankfurter Rundschau“, „Neues Deutschland“, „taz“, „Salzburger Nachrichten“, „Thüringer Allgemeine“, „Volksstimme“, „Schweriner Volkszeitung“ und Kulturzeitschriften (z.B. „Zeitschrift für internationale Perspektiven“, „Driesch“). 2007 veröffentlichte der Wostok Verlag den Erzählband „Auf den Baumwollfeldern“, 2012 den Roman „Die verspätete Kolonne“.
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Vorläufiges Umschlagbild
© PRO LESEN e.V.
Info:
Vougar Aslanov liest am 22. Oktober im Bibliothekszentrum Frankfurt-Sachsenhausen aus seinem derzeit nur als Manuskript vorliegendem Roman (die Veröffentlichung als Buch ist für das Frühjahr 2021 geplant). Die Lesung beginnt um 19:00 Uhr, der Eintritt ist frei. Wegen des eingeschränkten Platzangebots ist eine vorherige Anmeldung notwendig (E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!).