... was Ost und West aus einem Kinderbuch lernten
Klaus Jürgen Schmidt
Nienburg/Weser (Weltexpresso) – Nach dem Anschluss der DDR an die BRD – oder sollte man besser sagen: nach der Vereinnahmung der DDR durch die BRD – hatte sich mal ein Wahlplakat von Ost nach West verirrt. Darauf der Spruch: „Gregor und sein Trupp“. Als einst aus der DDR „Weggemachter“ konnte ich Westlern Nachhilfe geben. Gemeint sei der Bezug zum Titel eines Buches, das in der DDR zur Schul-Lektüre gehört habe, und der Gregor (Gysi) habe seinen PDS-Trupp gemeint.
„Timur und sein Trupp“ ist ein Buch des sowjetischen Autors Arkadi Gaidar, dessen Handlung auch nach dem Verschwinden der DDR in Ost und West auf ganz unterschiedliche Weise Interesse erregt.
In der DDR gehörte das Buch wie gesagt zu den Klassikern der Jugendliteratur und war Vorbild für die Timurbewegung, der ich selber als Junger Pionier gerne gefolgt war. (Mehr darüber ist zu erfahren durch einen Klick unten auf den Link, der zu meinen persönlichen DDR-Erfahrungen führt.)
Die Handlung spielt 1939 in einem Vorort von Moskau. Viele Männer sind zur Roten Armee eingezogen, die im japanisch-sowjetischen Grenzkonflikt kämpft. Frauen und Kinder sind zu Hause auf sich allein gestellt. Der 14-jährige Timur hat seine Freunde wie eine Partisanentruppe organisiert. Die Jungs schwärmen aus und schauen in den Häusern, wer Hilfe braucht. Im Buch heißt es dazu: „Wir sind keine Horde, wir sind keine Bande, wir machen der Heimat bestimmt keine Schande! Wir wollen nur helfen, in allen Sachen, als Jungkommunisten uns nützlich machen.“
Arkadi Petrowitsch Gaidar war bei ostdeutschen Kindern so populär wie bei westdeutschen vielleicht Antoine de Saint-Exupéry. Und so wie heute „Der Kleine Prinz“ in keinem Bücherregal eines Waldorf-Schülers fehlen dürfte, war „Timur“ ein Klassiker der sozialistischen Jugendliteratur. Anders aber als der blonde Außerirdische ist Timur eine ganz und gar irdische, bodenständige Gestalt: ein 14-Jähriger, der die langweilige Moskauer Vorstadt-Siedlung aufmischt, dunkles Haar, ein blaues ärmelloses Hemd mit einem roten Stern auf der Brust. Wie Kundschafter schwärmen die Steppkes aus und berichten anschließend, was sie in den Häusern erspähten: Wo wird Hilfe gebraucht?
In Weimar gab es schon zu DDR-Zeiten eine inzwischen legendäre Musik-Band namens „Timur und sein Trupp“, die seit über 30 Jahren zusammenspielt und im Sommer 2011 ihr Comeback hatte. Auf „thueringen 24.de“ erzählt Gründungsmitglied Holm Kirsten von einem seiner Kumpels: „Burki, war von Anbeginn ein wichtiger Mann für uns. Sein kreatives, aber vor allem sein technisches Verständnis ermöglichte der Band schon zu DDR-Zeiten mit allerlei selbst gebautem Equipment zu arbeiten, das es sonst nicht gegeben hätte. Aus Fahrradteilen und alten West-Kassettenrekordern hat er Mikrophone gebaut, seine selbstgebastelten Effektgeräte 'Tretminen' gaben ihnen ein spezielles Soundprofil – was es nicht gab, wurde einfach selbst gemacht. Burki konnte aus einem Hamsterkäfig ein 8-Kanal-Mischpult bauen wenn er wollte“.
Aber es gab – auch schon zu DDR-Zeiten – junge Menschen, die den Auftrag von Timur und seinem Trupp als Verpflichtung sahen, nach dem Neonazi-Überfall auf ein Rockkonzert in der Ost-Berliner Zionskirche, im November 1987, die erste unabhängige DDR-Antifa-Gruppe zu gründen.
In Potsdam hatte sich in den 80-ger Jahren eine heterogene Szene etabliert. Die Cliquen von Naziskins, Fußballfans in deren Umfeld und unpolitische Skinheads begannen ab 1987 vermehrt ihre Platzansprüche in Klubs und Kneipen durch Übergriffe z.B. auf Punks „anzumelden“ und durchzusetzen. Zudem zeichnete sich eine räumliche Aufteilung des Stadtgebietes durch die verschiedenen Szenen ab. Nach dem Überfall auf die Berliner Zionskirche kam es auch im benachbarten Potsdam vermehrt zu Aktivitäten von Naziskins. Aufgrund von Gerüchten, dass diese in Jugendklubs „einfallen“ würden, entschlossen sich AktivistInnen gegen die größer werdende Szene zu mobilisieren. Daraus entstanden ist eine umfangreiche, auf aktuellem Stand gehaltene und im Internet abrufbare Dokumentation faschistischer Entwicklungen im Osten Deutschlands. www.antifa-nazis-ddr.de/author/dietmar/
Und im Westen der Republik? Da entstand das Konzept für einen Kinospielfilm von Daniel Boehme, zusammen mit einem Projekt, das von den Machern so beschrieben wird:
„Der Film soll am Ende aber nicht nur Vorbild sein und Jugendliche zum Nachahmen anregen, sondern wird selbst im Rahmen eines Sommerferien-Projekts realisiert. Die Kinder und Jugendlichen spielen dabei nicht nur mit, sondern übernehmen tatsächlich auch viele Aufgaben hinter der Kamera, vorbereitet durch zahlreiche Workshops. Reinschnuppern, Mitmachen, Engagieren! 'Timur und sein Trupp' behandelt Themen wie Solidarität und Soziales Engagement als Alternativen zur Perspektivlosigkeit der heutigen Jugend. Film UND Projekt sollen Mut machen, an sich selbst zu glauben und etwas zu verändern!“
Ob die dafür benötigte Finanzierung durch Crowdfunding gesichert ist, kann nachgefragt werden auf der Website von: https://timur-trupp.de/
Grafik: KJS-Bibliothek
© Klaus Jürgen Schmidt
Info: www.radiobridge.net/DDR-Teil1.html
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