hasbunSerie: Auf die Schnelle: Gute Unterhaltungsliteratur, gebraucht, Teil 3

Lena Lustig

München (Weltexpresso) – Meine Frankfurter Kollegin sagte ja schon,  es folgt ein Roman aus dem Spanischen, was aber nicht heißt, aus Spanien. Das ist mit dem Spanischen ähnlich wie dem Englischen, daß es von vielen Ländern, vielen Völkern gesprochen wird. Wissen Sie übrigens von wie vielen und wieviele es bei Englisch sind? Eine der beliebten Quizfragen. Also Englisch sprechen 1 132 Millionen Menschen und Spanisch immerhin 572 Millionen, obwohl in Spanien nur rund 47 Millionen Menschen leben. Und jetzt kommt der eigentliche Unterschied.


Während sich das Englische in den Ländern wie USA, Kanada, Australien, Süd Afrika sehr weiter (oder auch zurück) entwickelt hatte, ist das Hochspanisch irgendwie sehr ähnlich geblieben, so daß man nicht sagt, eine 'Übersetzung aus dem bolivianischen Spanisch, sondern nur aus dem Spanischen. Nur im Sprechen erkennt man die Unterschiede fast sofort, am Slang, aber auch an der Wortwahl.

Was Hasbún angeht, ist das noch viel toller. Er ist nämlich palästinensischer Herkunft, in Bolivien geboren, schreibt auch auf Spanisch, hatte spgar in Bolivien und Chile studiert, dann aber in New York gearbeitet, wurde dort promoviert, lebte in Toronto und jetzt in Texas, dessen Gouverneur ja gerade den Wahnsinn betrieben hat und vier andere US-Bundesstaaten vor dem Obersten Gerichtshof verklagen will, weil diese sich abhängig machende Strohpuppe trotz sieben Millionen weniger bei den Wählerstimmen und trotz der Wahlmännerzahl von 306 für Joe Biden gerichtlich den eindeutigen Verlierer Trump zum Sieger erklären lassen will.

Die Affekte von Rodrigo Hasbún

Was das mit dem Buch zu tun hat? Nur eines. Seit dem Wahlkampf und den anschließenden Wahlen zum Präsidenten der USA 2020 sehe ich jeden Amerikaner und jedes Buch, das in Amerika spielt, auf andere Weise. Wie gut, daß DIE AFFEKTE nicht in den USA spielen, aber die ganzen Bemerkungen hatten schon einen Hintergrund. Denn es ist der naziverseuchte Hans Ertl, dem es im Nachkriegsmünchen nicht mehr gefällt, weil auch denjenigen, die wie er doch nur den Nazigrößen wie Rommel und vor allem der berühmt-berüchtigten Regisseurin Leni Riefenstahl gedient hatte, eine unpolitische Aufgabe, wie er betont. Das sehen seine Mitbürger anders. Also geht er ausgerechnet  dorthin, wo sich auch die vor den Nazis Geflohenen in Sicherheit bringen konnten, Süd-Amerika, konkret Bolivien. Das ist 1948 und als er mit einer Farm ein Auskommen hat, läßt er seine Frau und drei Töchter 1953 nachkommen. Es gibt leider keine Filme, wo die aus den unterschiedlichen  Gründen ausgewanderten Deutschen aufeinandertreffen. Beide Auswanderungsgruppen wollen am neuen Ort nicht unbedingt sichtbar machen, woher sie kommen, schon gar nicht, aus welchen Gründen sie nach Bolivien kamen. 

Während nun der Integrationsprozß der Familie geschildert wird, indem der Vater später auch in Bolivien als Filmemacher reüssiert , wobei ihm Tochter Monika assistiert, die auch ansonsten besondere Aufmerksamkeit genießt, vermißt ein deutscher Leser deren Auseinandersetzung mit dem Vater, will sagen: ihre Befragung, was er im Dritten Reich gemacht hat. Denn das war zumindest in der Bundesrepublik eine drängende Frage der neuen Generation. Monika, Jahrgang 1937, hat jedoch in Bolivien ganz andere Fragestellungen. Wissen Sie noch, wann die Kubanische Revolution war? Richtig. Anfang der Fünfziger Jahre am  26. Juli 1953  und offiziell beendet am 1. Jan. 1959. Doch in Bolivien geht es nicht um Fidel Castro, sondern um Che Guevara, der sich nicht auf Kuba beschränkte, auch dort inzwischen wenig Einfluß hatte, sondern der, wenn nicht die Weltrevolution, so doch die unterdrückten, auf neue, wirtschaftliche Weise kolonialisiserten Völker befreien. In Bolivien tat das not und im bolivianischen Higuera wurde Che Guevara getötet, ermordet. Er fiel im Kampf hieß es, offiziell was gelogen war, denn er wurde zwar von der bolivianischen Armee gefangen, aber dann wurde er auf Geheiß des Staatspräsidenten ermordet. In Bolivien gab es keine Todesstrafe, weshalb man den gefangenen Guervara mehr fürchtete als den toten.  

Im Roman kümmert sich Ertl erst um sein persönliches Fortkommen, er muß ja die Familie ernähren und sucht spektakuläre Anlässe, wie es die Suche nach der verlorenen Inkastadt Paititi ist, die zu einer extremen Anspannung für die ganze Familie führt und Monika den Weg weist, der aber schließlich woanders hinführt, als der Vater beabsichtigt. Darum war Che Guevara wichtig, weil die Jugend in Bolivien, wie in Deutschland die Studentenbewegung, aus noch sehr viel mehr Gründen gegen die betonierten Verhältnisse dopponierte.  Der Roman schildert das Aufbegehren und die Radikalisierung von Monika. Was er aber nicht schildert, ist für einen deutschen Leser sehr viel interessanter. Denn Monika Ertl soll am 1. April 1971 Konsul Roberto Quintanilla Pereira im bolivianischen Generalkonsul in Hamburg erschossen haben, übrigens mit einer Pistole aus dem Besitz des italienischen Verlegers Giangiacomo Feltrinelli. Das war kein Stellvertretermord, sondern gezielt, denn dieser Konsul soll der gewesen sein, der Guevara die Hände hat abschlagen lassen, damit man ihn auch nach der Beseitigung der Leiche als tot identifizieren kann.

Und dann gibt es zu Monika Ertl, die in Bolivien als La Gringa eine wichtige Figur im Widerstand wurde, noch eine wichtige Information, denn sie wollte 1972 zusammen mit Régis Debray den ehemaligen SS-Chef von Lyon Klaus Barbie entführen, der unter dem falschen Namen „Klaus Altmann“ in Bolivien lebte und völlig ungefährdet für das bolivianische Innenministerium arbeitete. Man wollte einerseits aufzeigen, daß die alten Schergen auch die neuen sind und daß die politischen Spitzen mit den politischen Verbrechern von gestern zusammenarbeiten. Ertl wollte Barbie nicht umbringen, sondern vor Gericht stellen. Man weiß bis heute nicht, ob nicht der westdeutsche Geheimdienst, für den - unglaublich! - der NS-Verbrecher Barbie seit 1966 arbeitete, die Finger mit in der Ermordung der Monika Ertl hatte, Auf jeden Fall schrieb er Berichte über sie nach Bonn. 

Am 12. Mai 1973 wurde Ertl von bolivianischen Sicherheitskräften erschossen. Sie merken schon die Absicht und sind hoffentlich nicht verstimmt. Fazit: Man darf dem Autor nicht vorwerfen, daß er ein anderes Buch geschrieben hat, als unsereinen so richtig interessiert. Aber es hat ja auch sein Gutes, wenn sein Roman der Anlaß ist, sich Monika Ertls zu erinnern und - wenn die Akten frei sind - in deutschen Geheimdienstakten nachzuforschen. 

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Info:
Rodrigo Habun, Die Affekte, Suhrkamp Verlag 2017
ISBN 978 3 518 42764 4