coverdonersSerie: Auf die Schnelle: Gute Unterhaltungsliteratur, gebraucht, Teil 20

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Gerade war er für ein großes Fernsehpublikum in der ARD  zu sehen, der 2018 herausgekommene Film WERK OHNE AUTOR vom, mit DAS LEBEN DER ANDEREN oscarprämierten Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck, den Deutschland mit dem neuen Film erneut nach Hollywood schickte, das ihm aber diesmal den Oscar versagte, dafür den Film aber international zu den einspielstärksten Filmen und vor allem zu dem Film machte, der im Ausland enthusiastische Kritiken erhielt, während die Filmkritik in Deutschland sehr unterschiedliche ausfiel.

Das nun ist in Deutschland nichts Neues. Den Künstlern, die im Ausland große Erfolge haben, wird gerne mißgünstig hinterhergeblickt. Seien es Schauspieler oder Regisseure. Oder auch Schriftsteller, wie beispielsweise der damals in Wien lebende Daniel Kehlmann, der 2005 mit DIE VERMESSUNG DER WELT das Buch seines Lebens schrieb, das sofort mit unzähligen Übersetzungen zum internationalen Bestseller wurde mit dem Verkauf von sechs Millionen Bücher im Nu, der aber aus stragtegischer Absicht  eines Jurymitglieds in der Jury des erstmalig ausgetragenen Deutschen Buchpreises 2005 keine Mehrheit fand; stattdessen wurde mit  ES GEHT UNS GUT  ein halbseidenes Familienepos aus Vorarlberg prämiert, von Arno Geiger, der erst später die Romane schrieb, für die man ihn ätte hauszeichnen könnte. Das nur als Beispiel, wie schwierig es schilling als richt3rfür Deutsche sein kann, internationale Erfolge zu haben, was zuvörderst für das Filmgeschäft gilt. Aber nicht nur. 

Es ist eine gute Übung der letzten Jahre, das Buch zum Film herauszugeben, wobei dies eine neuere Einrichtung ist, weil sich Bücher über erfolgreiche Filme - das müssen nicht 'gute' Filme sein, aber Filme, die in der deutschen Öffentlichtkeit eine besondere Rolle spielen oder von den Einspielergebnissen her einfach zum Weitermachen und Weiterkaufen  einladen - halt einfach gut verkaufen. Darum werden sie verlegt, aber die Motivatin der Macher der welte4xpressoBücher liegt meist im Interesse, den Film auch danach noch weiterzuspinnen. Denn mit dem Schnitt eines Films ist ja nur das, was der Zuschauer sieht, erfaßt, das meiste vom Material liegt noch unbearbeitet und mit dem Nichtausgewählten könnte man ein neues Thema anschneiden, so wie es gerade mit dem Neuschnitt von IRREVERSIBLE geschah, dem Skandalfilm von 2002 von Gaspar Noé, der in diesem Jahr seinen Film so umschnitt, daß das Ende der Anfang ist - für mich wurde erst durch diese Reihefolge, die der natürlichen folgt, ein richtiger, ein verständlicher Film daraus. 

All diese Gedanken kann man sich bei dem vorliegenden Buch sparen, denn hier geht es - und der Käufer will meist genau das - nur um die Konkretisierung der Filmaufnahmen, indem allen Szenen die wirklichen Umstände des Dritten Reiches und danach unterlegt werden. Wer den Filminhalt immer noch nicht kennt, dem sei der Klappentext empfohlen, demnach es heißt: "Inspiriert von wahren Begebenheiten erzählt WERK OHNE AUTOR die Geschichte des Kunststudenten Kurt Barnert (Tom Schilling), der sich in seine Kommilitonin Ellie Seeband (Paula Beer) verliebt. Doch Ellies Vater, der gefeierte Medizinprofessor Carl Seeband (Sebastian Koch), sieht in dem Schwiegersohn in spe alles, was er haßt und verachtet. Er setzt seine ganze Kraft daran, die Beziehung zu zerstören...was jedoch keiner von ihnen weiß, ist, daß ihre Schicksale bereits eng miteinander verknüpft sind, werk ohnedurch ein schweres Verbrechen, das Seeband Jahrzehnte zuvor beging."

Und genauso fängt das Buch an. Es werden alle Rollen mit Namen und kurzem Lebenslauf und mit dem Bild der Schauspieler abgebildet, das verdeutlicht noch einmal die Anfangsszenen der Familie, von der man ja erst später weiß, daß es die Familie Barnert ist. Hier wird auch das Verwandschaftsverhältnis des kleinen Kurt Barnert zu seiner Tante Elisabeth deutlich, eine Schwester seiner Mutter. Fast ein Psychogramm sind manche Personenbeschreibungen wie bei Ellie (Elisabeth) Seeband, wobei uns auch erst jetzt auffällt, daß die Vornamen der geliebten und umgebrachten Tante diesselben sind wie die seiner Liebe und späteren Ehefrau.  Über sie, die zarte, angepaßte, ja harmoniebedürftige junge Frau wird gesagt: "Wenn sie aber in der Mitte der Nacht geweckt und gefragt würde, wer und was sie sei, würde sie vermutlich nicht ihren Namen nennen, sondern sagen: 'Professor Seebands Tochter'".

Und dann kann man den Film nachlesen. Es ist das ganze Drehbuch mit der Museumsszene vom Anfang, die für uns Heutige sehr komisch ist, mit welchen pejorativen Ausdrücken die Nazis die Kunst bezeichneten, die heute hochgeehrt und teuer ist. Unwillkürlich denkt man, ja auch der weltbekannte Künstler Gerhard Richter, an dessen werk ohne autor1Lebenslauf sich der Film orientiert, wäre bei den Nazis ein 'entarteter' Künstler gewesen und hätte Malverbot erhalten. Ja, auch in der Folge kommen uns die direkten Reden und die Handlungsbeschreibungen wie das Drehbuch vor. Später aber an der Ostfront und den verschiedenen Kliniken wird mehr zu diesen geschrieben.  Wiir durchlaufen mit den vielen Worten den ganzen Film, wobei immer wieder Fotos aus dem Film den Text auflockern und auch die Atmosphäre, die gerade in dieser Szene herrscht, deutlich machen. 

Das ist für alle diejenigen, denen der Film etwas bedeutet, eigentlich ein Buch, das sie haben müssen. Darüberhinaus sind aber die Interviews die eigentlichen Schmankerln. 
Erst wird der Regisseur interviewt mit den Hauptfragen, was ihm Kunst bedeutet und wie er mit ihr in Berührung kam (schließlich war es beim fünfjährigen Kurt das Anfangserlebnis im Berliner Museum mit seiner Tante). Doch, ihm bedeutet die Kunst viel, das merkt man und dann die Begegnung mit Richter: "Der Monat, den ich in Vorbereitung auf diesen Film mit Gerhard Richter verbringen durfte, erst bei ihm in Köln und dann an den Orten seiner Kindheit in Dresden, waren für mch wie künstlerische Exerzitien." Das hätte man nicht erwartet, daß Donnersmarck auf zwei Wegen zu Richters Lebensweg kam. Das war einmal dessen künstlerisches Werk, das von Ulrich Mühe angefangen, bei so vielen seiner Freunde und Kollegen hing; das war ein andermal, als ihn Jürgen Schreiber interviewte, von dem er einen so bleibenden Eindruck hatte, daß er sich dessen Biographie über Richter, vor allem aber den Zeitungsartikel besorgte, in dem Schreiber zum ersten Mal über Richters sadistischen Schwiegervater und dessen Nazverbrechen recherchiert hatte...."WERK OHNE AUTOR ist aber kein Schlüsselroman, in dem ich nur die Namen verändert hätte. Ich habe mir bei der Zeichnung der Figuren Freiheiten genommen. Der Film soll nicht dokumentarisch sein..."

koch in werkAbschließend wird noch ein Gespräch von Thomas Demand und Alexander Kluge über den Film wiedergegeben, wo es anfänglich darum geht, wie präzise der Film die Entstehung der Kunst von Richter und anderen nachvollziehen kann, die den Bildern, den Fotografien nicht mehr trauen durften, sich als Maler zurücknahmen und Abstand herstellten, als Werk ohne Autor. Alexander Kluge erwidert: "Ja - scheinbar ohne Autor. Aber dennoch ist der Autor natürlich da. Wir haben aus der Zeit der Romantik eine falsche Vorstellung ererbt. Ein großer Künstler muß in der Nietzsche-Nachfolge mindestens verrückt sein. Es ist ja auch sehr berufsspezifisch, sich ein Ohr abzubeißen...So ist Kurt Barnert im Grunde ein Echo seiner Zeit - genauer gesagt: dreier Epochen...Mir ist zudem Folgendes aufgefallen: Kurt ist ja eine fiktive Figur, in der vieles verdichtet wird. Und auch eine ganze Reihe von Frauen ist in einer Frau zusammengefaßt. Das darf der Spielfilm."

Man möchte das ganze Gespräch wiedergeben, weil es aufweist, wie gut es Donnersmarck gelingt, Kunst und Kunstschaffen zum Thema zu machen, wobei sich Thomas Demand so äußert: "Ich habe nie gesehen, daß im Film plausibel wie hier dargestellt wird, wie Kunst entsteht und was sie bedeuten kann.", was Kluge bestätigt: "So ist es...".

Demand: "Das ist ja auch das Gute an WERK OHNE AUTOR: Kurt Barnert ist eben nicht Richter. Wenn man über Herrn Richter im Zusammenhang mit dem Film diskutieren würde - was ja vermutlich unvermeidlich ist -, dann verkürzt man die Möglichkeiten des Films. Richter ist ein Exempel, und ich glaube, er begreift sich in diesem Zusammenhang auch so, als exemplarisch, ohne jemand anderes darzustellen." Daraufhin Kluge: "Man bekommt bei diesem Film Lust an der Erlebnisfähigkeit des Menschen, an der Sinnlichkeit des Menschen..."

Foto:
Cover

Info:
Florian Henckel von Donnersmarck,
Werk ohne Autor, Filmbuch, Suhrkamp Verlag 2019
ISBN 978 3 518 46915 6

Info:
Bisherige Berichterstattung in WELTEXPRESSO über den Film
https://weltexpresso.de/index.php/kino/14073-werk-ohne-autor-interview-mit-sebastian-koch_544
https://weltexpresso.de/index.php/kino/14082-werk-ohne-autor-ii_544
https://weltexpresso.de/index.php/kino/13966-werk-ohne-autor-auf-kinotour_544