Cover Seghers Der Solist"Der Solist" von Jan Seghers: Premierenlesung im Digitalen Literaturhaus

Hanswerner Kruse

Berlin (Weltexpresso) - Am 26. Januar 2021 erscheint der „Der Solist“ von Jan Seghers, sein drei Jahre lang erwarteter Roman, der eher eine kleine Novelle geworden ist.


Auf dem Weg zum Sondereinsatz in Berlin fährt der coole Frankfurter Kommissar Neuhaus bei seiner Mutter vorbei. Die kannte er früher nur vom Telefon, weil sie jahrelang als RAF-Terroristin inhaftiert war und immer so tat, als telefoniere sie aus Afrika mit ihm. Einen Autobahnstau umfährt er durch die Wetterau und erlebt in „Onkel Toms Hütte“, dem Imbiss der dunkelhäutigen Miriam, übelsten Rassismus. Später in der Hauptstadt wird der erfolgreiche Kriminalist und interner Ermittler distanziert von der „Sondereinheit Terrorabwehr“ (SETA) empfangen, die nach dem Attentat des Terroristen Anis Amri auf einen Weihnachtsmarkt gegründet wurde.

Der eigensinnige Neuhaus kommt im Laufe der Zeit lediglich mit der deutsch-türkischen Kollegin Grabowski gut klar. Wie der Maulwurf Grabowski im gleichnamigen Kinderbuch ist sie stark kurzsichtig. Mitten in Berlin geschehen brutale Morde mit terroristischen Motiven, die Neuhaus und Grabowski aufklären sollen. Bei ihren gefährlichen Ermittlungen tun sich ständig neue, unfassbare forensische und politische Abgründe auf! Mehr wird hier von der kurzen Geschichte nicht verraten. Am Ende fährt der Kommissar nach Frankfurt zurück und hält noch einmal in der Wetterau an, doch Miriams Hütte ist abgebrannt...

Jan Seghers aktuelles Buch ist eine illusionslose Novelle aus einer düsteren Welt. Auf nur 240 Seiten geißelt er muslimischen Antisemitismus, aggressive Araber, geduldeten Rechtsradikalismus, Schwulenhass, vertuschte Polizeigewalt, kriminalistische Schlamperei und nicht zuletzt das „Kalifat des Veganismus“ der Hipster. Eigentlich will sich der „Solist“ aus allem heraushalten und nur seine Arbeit machen, doch immer wieder übermannt ihn die Wut: „Ich bin weder schwul, noch bin ich Jude. Aber die Zeiten wären besser, wenn man die Schwulen und die Juden wenigstens in Ruhe ließe.“

Neuhaus’ Episode in Berlin ist zwar fiktiv, basiert aber auf den Taten des Terroristen Amri. Doch zunächst ist Seghers Krimi eine Enttäuschung! Es ist mit seinen sechs Frankfurter Romanen (etwa „Ein allzu schönes Mädchen“ oder „Die Braut im Schnee“) um den Kommissar Robert Marthaler nicht vergleichbar. „Marthaler macht Pause“, meint der Autor, „Neuhaus ist anders, jünger, gelenkiger, ein Solist, der aus dem Koffer lebt.“

In den Marthaler-Büchern erzählt der Schreiber weit ausholend, sehr detailliert und quasi in aller Ruhe dessen Geschichten. Die Biografien und persönlichen Beziehungen der Beteiligten werden sorgsam in diversen Handlungssträngen ausgebreitet. Im Vergleich wirkt die Novelle geradezu schnodderig und - mit Verlaub - wie hingerotzt. Der Protagonist hat noch nicht einmal einen Vornamen. Der Verlag sagt nicht, ob das Buch die Fingerübung für eine neue Serie sein soll. Seghers erklärt lediglich: „Gespannt bin ich übrigens auf den Moment, wenn Neuhaus und Marthaler aufeinandertreffen, was nicht ganz unwahrscheinlich ist.“

Warum unterscheidet sich das Buch literarisch so stark? Dazu meint der Autor: „ Das kann kaum anders sein. Denn Berlin hat einen anderen Rhythmus als Frankfurt. Alles ist lauter, schneller, rauer (...) Das kann für die Art des Erzählens nicht folgenlos bleiben.“

So lässt er, beispielweise, die von Rassisten belästigte Miriam sagen: „Hier werden Neger noch Neger genannt. Nicht mal die weibliche Form scheinen sie zu kennen.“ Radikal und ohne Selbstzensur seziert Seghers viele sprachliche und gesellschaftliche Tabus und schert sich nicht um zeitgenössische politische Korrektheit. Deshalb ist „Der Solist“ letztlich doch eine interessante und spannende Lektüre.

Der Frankfurter Schriftsteller Matthias Altenburg...
...begann 2004 - unter dem Pseudonym Jan Seghers - Krimis zu schreiben und sagt über dieses Genre: „Na, jedenfalls erzähle ich Geschichten, in denen es auch um Verbrechen geht. Und wenn am Anfang ein Mord geschieht, so hat man gleich ein Rätsel, das die Leser bei der Stange hält. Wenn ich dann noch einen Ermittler
als Hauptfigur wähle, habe ich mit diesem die Möglichkeit, in jedes Milieu einer Stadt einzutauchen. Ein Vorstandschef, der eine Tänzerin als Geliebte hatte, kann das Opfer sein. Ein Obdachloser findet die Leiche. Dann kommt ein verbeamteter Polizist hinzu, der die Sache aufklären soll. Schon habe ich vier ganz unterschiedliche Milieus, über die ich erzählen kann, die ohne das Verbrechen kaum einen Berührungspunkt hätten. Der Kriminalroman ist für Autoren ein praktisches Genre.“


wpo Seghers Jan C Gaby Gerster 011Premierenlesung im Digitalen Literaturhaus Frankfurt am Main Livestream – Jan Seghers: „Der Solist“ Moderation: Alf Mentzer (Hessischer Rundfunk)

Dienstag 26. Januar 2021 um 19.30 Uhr

Streamingticket: 5 Euro bei
https://literaturhaus-frankfurt.reservix.de/p/reservix/group/356151

Cover und Interview mit Jan Seghers: 
Rowolth-Verlag

Autorenfotos: 
© Gaby Gerster Rowolth-Verlag

Info:
Jan Seghers "Der Solist", Roman, Originalausgabe, 240 Seiten, 20 Euro