droemer knaur„Die Wahrheit und nicht als die Wahrheit. Der Ex-FBI-Direktor über die Unterwanderung des amerikanischen Justizsystems“, James Comey bei Droemer, Teil 3/3

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – „Als Präsident setzte Donald Trump beim Lügen neue Maßstäbe. Er log nicht nur häufiger und leugnete mehr Dinge als jede andere Führungspersönlichkeit in unserer Geschichte, er und sein Anhänger taten zudem etwas hochgradig Gefährliches. Sie beschädigten unser Verständnis von Wahrheit: daß es sie gibt und daß man sie finden kann.“

Obwohl unter der Überschrift LÜGNER es zeitlich in der Karriere von Comey vorangeht, streut er hin und wieder die Gegenwart ein. Das ist einerseits geschickt und andererseits nicht unsinnig, denn die gegenwärtige Spaltung der amerikanischen Gesellschaft zieht sich schon jahrzehntelang auch durch die amerikanische Justiz. Für Deutsche deshalb interessant, weil in Deutschland die Justiz als drittes Standbein der Demokratie einfach den Parteiinteressen ferner liegt.

Von den Fällen her geht es weiterhin um Drogen, Raub, auch Fälle, wie versuchter Betrug als Raub angezeigt und die Neuaufstellung der Mafia, die eigentlich zerschlagen war, aber sich ab 1975 wieder als Cosa Nostra organisierte. Diese Mafia Geschichten sind die spannendsten. Und beim Lesen überlegt man sich, ob es überhaupt bei uns solche Bücher gibt, klar, von Politikern schon, aber von Staatsanwälten, Richtern, Verteidigern oder von den Straftätern selbst oder angeblichen Straftätern über ihre berufliche Wirklichkeit? Erst einmal NEIN, aber in letzter Zeit werden durch den Strafverteidiger Ferdinand von Schirach juristische Fragen in die Öffentlichkeit, auf Theaterbühnen und ins Fernsehen gebracht. Und seit Jahrzehnten haben nachmittägliche Gerichtssendungen im Fernsehen einen großen Zulauf. Aber verfaßt von den täglichen Handlungsträgern in den Gerichten und Ministerien ist das bei uns Fehlanzeige. Liest man Comeys Darstellung der Entwicklung des Justizsystems mit den Falldarstellungen, findet man das schade, daß dies bei uns nicht weiter festgehalten wird.

Halt, fällt einem dann ein, es gibt ja den sonntäglichen TATORT und den POLIZEIRUF, also eigentlich genug Kriminalität, aber auch wenn diese Sendungen die Wirklichkeit nachbilden, sind die von Comey geschilderten Fälle eben doch stärkerer Nachweis der Realität. Denn es geht darum, wie es mit den von der Polizei ermittelten Täter im Strafvollzug weitergeht. Solche Fälle waren in New York so knüppeldick, daß Comey nach sechs Jahren New York verließ und sich in Virginia als freiberuflicher Strafverteidiger, also auf der Gegenseite, niederließ. Die allerdings ist richtig amüsant. Zumindest, wenn es um den Baron geht. „Der Baron war nicht nur von königlich deutscher Abstammung, sondern auch Nachkomme einer europäischen Bankiersfamilie, deren Geschichte Jahrhunderte zurückreichte. Der über viele Generationen vererbte Erfolg der Familie wurde lediglich vom Krieg in Deutschland unterbrochen, als der Baron sich gezwungen sah, vor den Nazis zu fliehen, und sich unter Gefahr für Leib und Leben italienischen Widerstandskämpfern anschloß, die ein Attentat auf Hitler planten.“

Es geht weiter mit seinen amerikanischen wirtschaftlichen Erfolgen, die ihn zu einem der wichtigsten Berater der amerikanischen Regierungen beförderten. Er wurde insbesondere von Ronald Reagan in den innersten Zirkel befördert, wurde Mitglied des Nationalen Republikanischen Senatsausschuß – und war am Ende ein Betrüger. Seine Firma war eine Scheinfirma. Er hatte Einlagen als Zinsen für andere ausgezahlt, so daß sich seine Förderer über Bares freuten, - aber es war alles auf Betrug aufgebaut. Die europäischen Verbindungen waren Schall und Rauch. Wie so jemand in den USA Jahrzehnte unter dem Radar zu einer einflußreichen Persönlichkeit werden kann, ist schon einigermaßen irre. Doch bei dieser Geschichte ist Comey nicht mehr Strafverteidiger, sondern längst wieder in der Staatsanwaltschaft von Virginia und hat insbesondere mit Verstößen gegen die Waffengesetzgebung zu tun. So geht es mit interessanten Fällen weiter, die das Lesen zu einer anregenden Lektüre machen, weil der Autor zwar die Fälle einzeln bringt, aber immer auch in Analysen zusammenfaßt, die die gesellschaftliche Wirklichkeit durch die Urteile der Justiz erklären.

Es geht um die massiv gesteigerten Tötungsdelikte in Virginia „Wir versuchten die härteren Strafen anzuwenden, die nach Bundesrecht zur Verfügung standen, um Drogendealer und andere Verbrecher vom tragen ihrer Waffen buchstäblich abzuschrecken. Die Schußwaffe war praktisch zu einem Kleidungsstück geworden in Richmond, die Kriminellen trugen sie genauso selbstverständlich wie Socken und Schuhe. Vor dem, was die Ankläger und Gerichte vor Ort ihren androhen konnten, hatte sie keine Angst.“ Mit der Schußwut der Verbrecher verlassen wir dieses spannende Buch vor dem Zeitpunkt, der eigentlich das Spannendste wird: der 11. September 2001 in New York, wohin Comey als nun neuer Bundesanwalt für Manhattan nach New York zurückkehrt und von der er im Jahr 2003 unter den Republikanern Stellvertretender Justizminister wurde.

Die Lektüre wird noch anregender und am Ende geht es um Interna aus der Ära Trump, mit der wir den ersten Teil bestritten. Hoffentlich Schnee von gestern. Und sicher werden wir von Comey noch hören, obwohl eine gewisse politische Schwäche dem Juristen weiter in unseren Augen anhängt. Hatten wir zu Beginn den Autor für blauäugig bezeichnet, wenn er Biden und den Demokraten Zurückhaltung in der Verfolgung der Sauereien und Verbrechen – sind ja zwei unterschiedliche Strafbestände – rät, so kann eine Leserin bei der brisanten politischen Szenerie der USA einfach nicht verstehen, daß sich Comey, der unter Obama, also den Demokraten, 2013 Direktor des FBI wurde, 2016 entschloß, gar nicht zur Wahl Trump-Clinton zu gehen, aber immerhin zufrieden war, daß seine Frau Hillary Clinton gewählt hatte.

Warten wir also auch auf Bücher von Frauen im Bereich der Justiz und der Politik.

Foto:
©droemer-knaur.de

Info:
James Comey, Die Wahrheit und nicht als die Wahrheit. Der FBI-Direktor über die Unterwanderung des amerikanischen Justizsystems, Droemer, gebunden mit Schutzumschlag. Aus dem amerikanischen Englisch von Pieke Biermann, Elisabeth Liebl, Karl Heinz Siber, Karsten Singelmann, Dr. Hella Reese, Christiane Bernhardt, Gisela Fichtl, Stephan Kleiner, Monika Köpfer
ISBN: 978-3-426-27855-0