die toten vom paßAuf die Schnelle: Gute Sachbuchliteratur, gebraucht, Teil 61

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wenn Sie das Buch gelesen haben, schlafen Sie schlecht! Denn anders als die Kriminalromane, die fiktiv die Grausamkeiten von Leben vorführen, geht es hier um die Wirklichkeit. In der Nacht vom 1. auf den 2. Februar 1959 starb eine als Skifahrer und Wanderer perfekt ausgebildete sowjetische Gruppe von neun Menschen, sieben Männern, zwei Frauen, die einer vom Sportverein des Polytechnischen Instituts des Urals (kurz UPI) veranstalteten Route folgten und beruflich alle im Bereich der Technikwissenschaften beschäftigt waren.

Das mehr als Ungewöhnliche an diesem Unglück ist, daß bis heute die Ursachen des Todes von neun Menschen nicht aufgeklärt ist. Denn, was man erst einmal im Nördlichen Ural annehmen würde, daß Eis und Schneeeinbrüche Todesursache seien, ist als primäre Erklärung hinfällig. Das haben die Obduktionen der Leichen ergeben, die endlich nach erfolglosen Suchtrupps, dann doch gefunden wurden, wie auch ihr Zelt mit den persönlichen Unterlagen wie Fotografien und Tagebücher, die unbeschadet waren.

In seinem letzten Tagebucheintrag, der auf den 31. Januar 1959 datiert ist, schrieb Djatlow, der Führer war und nachdem im Nachhinein der Paß, wo die Gruppe starb, genannt wurde: „Langsam entfernen wir uns von der Auspija. Ein sanfter Anstieg. Die Fichten werden von einem schütteren Birkenwald abgelöst. Dann die Waldgrenze. Harschschnee. Kahle Gegend. Wir müssen ein Nachtlager suchen. Wir steigen südwärts ab – ins Auspijatal. Das ist wohl die schneereichste Stelle. Erschöpft errichten wir das Nachtlager. Es gibt wenig Brennholz. Das Feuer machen wir auf Holzstämmen, keiner hat Lust, eine Grube zu graben. Abendessen im Zelt. Hier ist es warm ...“

Tatsächlich sind sie im Auspijatal angekommen, wo sie ca. 100 m vom Flussufer entfernt einen Vorratsspeicher für Lebensmittel und Ausrüstung, der für den Rückweg gedacht war, anlegten, der von den Suchtrupps unangetastet gefunden wurde.

Bildschirmfoto 2021 02 12 um 20.11.57Wir wollen die neun Toten zumindest als Namen nennen und auch darauf hinweisen, daß ein Zehnter nach einigen Tagen, in der Nacht vom 27. auf den 28. Januar 1959 so krank wurde, daß er aufgab und zurückkam. Auch das geht einem menschlich nahe, die Überlegung, wie so jemandem zu Mute ist, wenn er als einziger dieser Gruppe überlebt hat. Wie man den Geburtsdaten entnehmen kann, war nur Semjon Solotarew älter, alle anderen waren gut zwanzig Jahre alt.



Ein Unbekannter, der aufgrund der immer wieder durch neue Todestheorien und der Öffnung der meisten Archive nach dem Ende der Sowjetunion motiviert war, anhand der Fotos und Tagebuchnotizen die rekonstruierbare Tour und die für ihn schlüssigen Todesursachen in diesem Buch zusammenzutragen, hat dies bis 2012 recherchiert und unter dem Pseudonym Aleksej Rakitin 2014 herausgegeben, was 2018 ins Deutsche übersetzt wurde. Er konnte damals noch nicht wissen, daß im Sommer 2018 inoffizielle Recherchen in Gang kamen, die zum 60. Jahrestag des Unglücks am 1.2. 2019 zur Wiederaufnahme der offiziellen Ermittlungen führten. Dabei stellte man fest, daß aus den Unterlagen Papiere verschwunden waren. Allerdings sind die nicht in Breite durchgeführt worden, weil Staatsanwalt Andrei Kurjakow die meisten Erklärungsversuche: Überfall vom indigenen Volk der Mansen (ein finnisch-ugrisches Volk, das die dortige Gegend aufgrund von Mythen Berg des Todes nennt), vom Schneemenschen Yeti, über Verstrahlungen, über Ufos (echt! und nicht mal unwahrscheinlich) ...) ablehnte und sich von Anfang an auf eine Naturkatastrophe festlegte, die immer schon als Schneebrett eine der Erklärungsversuche war. Ohne neue Erkenntnisse wurde das Verfahren im Juli 2020 abgeschlossen.

FORTSETZUNG FOLGT

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Info:
Aleksej Rakitin, Die Toten vom Djatlow-Pass. Eines der letzten Geheimnisse des Kalten Krieges, btb-Verlag 2018
ISBN 978 3 442 71604 3