Auf die Schnelle: Sehr gute Kulturliteratur, gebraucht, Teil 73
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Der US-Amerikaner Stephen Greenblatt, Professor für Englische und Amerikanische Literatur und Sprache an der Harvard Universität, gehört zu den Heroen, die kulturelle Themen, insbesondere die der Renaissance, auf eine Weise in Worte fassen können, die das allgemeine Publikum genauso erreicht, wie die Wissenschaft daran keine Kritik anbringt. Ihm gelingt also ein Spagat, für den er allgemein bewundert wird und wofür er ständig Preise, einschließlich des Pulitzerpreises.
DIE GESCHICHTE VON ADAM UND EVA. Der mächtigste Mythos der Menschheit von Stephen Greenblatt
Das nur vorweggestellt. Natürlich muß sich eine solche Lobpreisung an jedem neuen Buch beweisen. Mit diesem Sujet von Adam und Eva geht Greenblatt – mich hat übrigens immer dieser Name mit der Mischung aus Deutsch und Englisch fasziniert, er heißt also eigentlich Grünblatt? Aber über eine deutschjüdische Herkunft erfährt man nichts - einerseits bis zur Entstehung der Welt laut unseren monotheistischen Überlieferungen zurück, und hält andererseits eins der ewigen Themen, die täglich neu konstituiert werden, von Schuld und Unschuld, von Mann und Frau und von Gott, ach ja der Natur in Form des Baumes und der Schlange auch.
Wenn ich solche dickeren Bücher anfange, blättere ich immer erst und suche nach Bildern. Zudem ist der Schöpfungs- und Die Vertreibung aus dem Paradies-Mythos konstitutionell mit den Gemälden, Zeichnungen und Stichen verbunden, die versucht haben, die ersten beiden Menschen in der Art ihrer eigenen Zeit auf Leinwänden, Papier , Kupfer oder in Skulpturen zu verewigen. Und so finden sich auch die grundlegenden Darstellungen von Dürer 1504 bis Beckmann 1917, erschütternd menschlich Rembrandt 1638 und während wir noch van Eyck vermissen, kommt er schon in den Blick im zweiten Block, der eigentlich der erste ist, weil wir von hinten her blättern, sein Adam und seine Eva stehen in den Lünetten des Genter Altars von 1432 und haben die bildlichen Vorstellungen der Renaissance – und unsere - beeinflußt. In diesem Bildblock beginnt es mit den Anfängen bildlicher Darstellung, wobei die Fresken aus den Katakomben in Rom aus dem 3. Jahrhundert Adam und Eva im Stil der Spätantike zeigen. Eingegangen wird auch auf den Trend des Mittelalters, das Kreuz, an das Jesus Christus geschlagen ist, auf dem Kopf Adams ruhen zu lassen, wie überhaupt Adam einen leichten Vorsprung in den Darstellungen hat, also auch alleine abgebildet wird. Eva wohl nicht. Das wundert einen ja nun nicht.
Der Text hat 14 Kapitel und einen Prolog sowie Epilog. Interessant der Anhang, woran man den Wissenschaftler erkennt, was für den wirklich interessierten Leser ein Faß aufmacht. Da gibt es erst einmal A. GESAMMELTE INTERPRETATIONEN, worunter zu verstehen ist, daß Greenblatt in eigenen Worten wiedergibt, was in Quellen steht, die nicht zu den uns sowieso bekannten gehören. Das beginnt mit der Genesis Raba um 150-100 vor Chr., anderes von kappadokischen Vätern, Gregor von Nyssa, u.a. wie Hildegard von Bingen, Martin Luther, Johannes Calvin. Wirklich bereichernd.
Das gilt auch für des Anhangs zweiter Teil B. EINIGE SCHÖPFUNGSGESCHICHTE. Unglaublich, wenn man hier liest, wie sich auf der ganzen Welt eigene Versionen herausgebildet haben, aus Ägypten, Griechenland, Rom, Nordamerika,Melanesien, Sibirien, Zimbabwe, Togo, Feuerland.
Im Prolog wird die uns allen bekannte Version erzählt: Gott schuf Adam und Eva, nackt und ohne Scham in einen Garten der Lüste, von deren Früchten, auch denen der Bäumen sie alles essen dürften bis auf die vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen. Würden sie davon essen, seien sie des Todes. Eine Schlange verwickelte Eva in ein Gespräch und pflanzte ihr ein, der Genuß von diesem Baum würde nicht zum Tod, sondern zur Erkenntnis führen, ja dazu, daß sie Götter würden. Eva aß die verbotene Frucht, gab Adam und dies öffnete ihnen tatsächlich die Augen: sie waren nackt. Mit Feigenblättern bedeckten sie ihre nun erst erkannte Blöße. Gott reagierte: die Schlange sollte nur noch auf dem Bauch kriechen und Staub fressen, alle Frauen sollten ihre Kinder unter Schmerzen gebären, alle Männer sollten unter Schweiß und Mühen die Nahrung für die Familie erarbeiten. Und Gott warf sie aus dem Gottesgarten, dem blühenden Paradies auf die nackte Erde, die bearbeitet werden mußte, wobei der Mensch sterblich wurde und darum erneut zu Staub. So erzählt es die Genesis und so ist uns ins kulturelle Gedächtnis geschrieben.
Erst einmal wundert sich der Autor, wie diese Geschichte, die die meisten nur einmal gehört hatten, so tief im Gedächtnis aller ruht und zu irritierenden Bildern führte, wie, als Lucy als älteste Frau der Welt entdeckt in den Darstellungen mit dem nächstalten Mann wie Adam und Eva präsentiert wurden.
Die Kapitel gehen nun sowohl auf verschiedene Länder wie auch auf historische Funde (Stichwort: Tontafeln) ein und so liest man sich, da elegant formuliert wird, sich durch viele Seiten mit nicht nachlassendem Interesse durch. Es gab also längst vor der Bibel in den frühen Gesellschaften Erzählungen, die sich in gleicher Art die Entstehung der Welt vorstellten. Aber für die Juden stellt Greenblatt fest: „In den Schriften, die sie nach ihrer Rückkehr aus dem Exil zusammentrugen, wollten die Anhänger Jahwehs bestimmt nicht zugeben, was sie den babylonischen Mythen verdanken.“ Es geht um die Spannung zwischen kollektivem Vergessen und kollektivem Erinnern.
Eine Rolle spielen dann auch die unterschiedlichen sprachlichen und inhaltlichen Änderungen des Mythos. Überhaupt bringt das Durchstreifen des Textes eine solche Fülle von Überlegungen, die mit den eigenen Erfahrungen zu tun hat, mit eigenen Interpretationen, daß man das Buch einfach gerne liest.
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Info:
Stephen Greenblatt, Die Geschichte von Adam und Eva. Der mächtigste Mythos der Menschheit, Siedler Verlag 2018
ISBN 978 3 8275 0041 0