treueTREUE von Marco Missiroli, Verlag Klaus Wagenbach

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Schwer tue ich mich mit diesem neuen Roman des oftmals ausgezeichneten und auch häufig übersetzten italienischen Autors Marco Missiroli, der 1981 in Rimini geboren wurde, und diese Stadt auch in einer vitalen Nebenrolle aufscheinen läßt, während die Hauptrolle der leicht dekadenten norditalienischen Metropole Mailand zukommt.

Meine Schwierigkeit, diesen Roman lesen, noch dazu gerne lesen zu wollen, lag zuvörderst darin, daß mir keiner, überhaupt keiner der handelnden Personen Interesse abnötigte, geschweige denn Empathie vermittelte, am ehesten noch die Mutter der Ehefrau Margherita, Schneiderin aus der Mittelschicht, eine ihren toten Mann liebenden Witwe, die versucht, das Beste aus allem zu machen und eine ist, die auch den Schwiegersohn als eigenen Menschen behandelt. Das ist Carlo Pentecoste, derzeit Dozent für literarisches Schreiben, der gerade ein Problem hat. Das nennt sich DAS MIßVERSTÄNDNIS. Und war noch nicht mal eines, aber das wissen wir erst später.

Er ein gutaussehender, weicher und zurückhaltender Mann, ist beliebt bei seinen Studentinnen und als eine, Sofia Casadei aus Rimini, auf der Damentoilette zusammenbrach, was er im gemeinsamen Waschraum mitbekommt, kommt er ihr zu Hilfe, hebt sie auf, was eine hereinkommende Studentin sieht, weitererzählt, was wiederum der Institutsleitung zu Ohren kommt, Carlo sich verantworten muß, aber keine Restriktionen befürchten muß, da Sofia seine Version bestätigt

Seine Ehefrau Margherita, eine taffe Immobilienmaklerin mit eigener Agentur, die sie mit links leitet, weiß auch nicht so recht, was sie will. Ein Kind ist noch nicht dran, erst will sie gesettelt sein, denn meist muß das Paar von ihrem Geld leben, obwohl Carlo aus begütertem Haus stammt. Aber das ist ja gerade der Grund, daß er von seinem Vater, der von ihm nichts hält, kein Geld annehmen will. Genau darum geht es aber, als sie für eine Kundin deren sagenhafte helle, schöne, aber 550 000 Euro teuere Wohnung verkaufen soll, sie aber sich günstiger selber unten den Nagel reißen will: „‘Ich will das nicht, Carlo.‘ Ich will das nicht, mich selbstständig mache. Ich will das nicht, meinen Vater betreuen. Ich will das nicht, heiraten. Ich will das nicht, mit diesen vier Worten sagte sie, daß sie etwas ganz und gar wollte.“

Um die Aufmerksamkeit des Lesers aufrecht zu erhalten – behaupte ich – läßt der Autor seine Erzählung von einer Szene, von einer Person zu einer ganz anderen Handlung übergehen. Man fängt also im Absatz mit den Obsessionen von Carlo an, die sich aus dem Nichtbeischlaf mit seiner Studentin als Phantasie reichlich entwickeln, längst hat man verstanden, daß er das braucht, weil er nichts zuwege bringt, weder im Leben, Im Beruf noch nicht mal bei einer Bettgeschichte, geht dann zur Geschichte von den Phantasien seiner Frau bei der Behandlung mit dem Physiotherapeuten Andrea über, die viel später Wirklichkeit werden, dieser Andrea aber noch viel später schwul wird, dann kommt die nach Rimini zurückgekehrte Sofia dran. Man hat also zu tun, die Zusammenhänge zu verfolgen.

Nur weiß man, ehrlich gesagt, nicht, warum. Den Niedergang einer einst aufstrebenden Gesellschaft junger Leute, die etwas besser machen wollten, die Reste der niedergegangenen Bourgeoisie im reichen Mailand, von denen Carlo die müde Kopie ist, der alles anfängt, nichts weiterführt und schon gar nichts vollendet? Und das ist schon wieder falsch, immer drängt er sich vor, dieser Carlo und läßt zu wenig Erzählraum für seine Familie. seine anglisierte Mutter, zu wenig vor allem für Andrea und die furchtbaren Hundekämpfe, die zwar verboten, aber in Mailand heimlich durchgeführt werden, womit seine Freundin zu tun hat. Einfach schrecklich. Die Funktion erschließt sich nicht, außer der, daß Andrea sich davon entfernt, auch die Freundin verläßt und eben schwul wird. Wenigstens das.

PS.:
Warum der Roman den Titel TREUE trägt, wo es einmal um ausgeführte Untreue, ständig aber um phantasierte Untreue geht, die in der Ehebeziehung der erotischen Aufladung dienen soll, weiß der Himmel. Denn ironisch ist dieser Roman nicht geschrieben. 

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Info:
Marco Missiroli, Treue, Verlag Klaus Wagenbach, Februar 2021
ISBN 978 8031 3330 4