yoga.dNicole Konrad macht Mut

Lona Berlin

Berlin (Weltexpresso) - Klar, daß dieses in hellblau-hellgrau licht scheinende Buch von den Fotos lebt! Denn nachdem erst einmal der Rahmen des Yoga, seine historische Herleitung und alles Mögliche geklärt sind, interessieren den Leser, die Leserin vor allem (!), wie die einzelnen Übungen, Haltungen, Stellungen, Asanas genannt, die im einzelnen ihre Sanskrit-Namen tragen, gemacht werden – und – und das ist wirklich fast genauso wichtig – wie sie nicht gemacht werden.

Im Geleitwort stellt Desirée Rumbaugh klar, daß es bei Yoga nicht um gymnastische Höchstleistungen geht: „Die meisten von uns versprechen sich von Yoga eine Verbesserung ihrer Haltung, ihres Verhaltens oder ein besseres Verständnis für das Leben.Das Geheimnis, das dieses Buch aufdeckt, ist die primäre und einzig wahre Voraussetzung für Yoga: die Bereitschaft zu lernen, sich selbst zu lieben und zu akzeptieren, so wie wir sind.“ Diesem Überbau folgt die Praxis, nämlich: „Wie nutze ich als Leser*in dieses Buch?“ Interessant, der Lesbarkeit wegen wird in der Regel die weibliche Form gewählt, mit der natürlich alle Geschlechter gemeint sind.

Von der Ausrichtung her, wird jede Yoga-Übung als eine Abwandlung der Grundform Tadasana (Bergposition) verstanden. „Gelingt es, diese Haltung zu durchdringen, wird sie als Generalschlüssel für alle anderen Asanas dienen.“ Wenn man neu einsteigt, weiß man natürlich nicht, was überhaupt die Grundform, also die Bergposition ist. Schau‘n wir mal, wie lang es dauert, diese zu finden? Kein Problem, denn auf den Anfangsseiten, wo die historischen und theoretischen Texte stehen, suchen wir nicht. Und die Übungen, also die Asanas beginnen auf Seite 38 (!!) und gehen bis Seite 271: „Alles ist Tadasana“, also die Bergposition. Und das ‚alles‘ bedeutet, daß es in dieser Übung um Vorbeugen, Twists(das sind die Schrägbewegungen), Hüftöffner,Rückbeugen, Armbalancen geht. Nur hier und auf der Folgeseite ist die Autorin ganzseitig bei dieser Übung zu sehen. Da gefällt mir von Anfang an, daß die Fotos eben nicht, wie oft, das Buch dominieren, sondern sich einfügen in den jeweiligen Text, in dem sie meist oben auf den Seiten als Fotoband laufen. Man kann wirklich an den Fotos die jeweilige Körperposition sehr gut erkennen.

Wir waren bei der ersten Übung: Tadasana stehen geblieben. Wer Yoga ernsthaft probieren will und das sind ja alle, die dieses Buch kaufen, kann ruhig die wichtigsten Asanas auf Sanskrit lernen. Die Grundhaltung ist breitbeinig, nackte Füße, der Körper sehr nach oben gestreckt, die Arme mit den Handinnenflächen nach außen etwa 45 Grad ausgestreckt und der Kopf einfach gerade, den Blick nach vorne gerichtet, die Lippen geschlossen. Auf der nächsten Seite sehen Sie dies von der Seite. Da fällt einem auf, daß die Brust richtig herausgestreckt wird, wodurch ein Hohlkreuz entsteht. Es fälltt einem aber auch auf, daß die Handinnenflächen bei den seitwärts halbausgebreiteten Armen nicht nur nach außen, also zum Betrachter gerichtet sind, sondern daß die Finger dabei weit auseinandergestreckt werden. Und sofort fällt einem auf und ein, daß es nicht schlecht wäre, wenn mindestens immer zwei dieses Buch als Anleitung nehmen. Denn das Überprüfen der Haltung ist wie gesagt, fast so wichtig, wie die Ausführung. Macht man es falsch, schädigt man sich unter Umständen.

Und da müssen wir jetzt doch noch mal zurück. Wir wollten halt gleich zu den Übungen und hatten die ersten Kapitel nun beim Niederschreiben übergangen, aber zuerst gelesen, was jedem anzuraten ist. In ihrem Vorwort schreibt die Autorin das genauso wichtig der Atem und die Atemübungen sind, die Pranayama. Für die Autorin gehören auch Kontemplation, Meditation und Ethik dazu. Aber sie beschränkt sich mit Absicht auf die Asanas, was wir ja schon gut, weil konkrete Hilfe, fanden.

Natürlich haben sich die heutigen Yogaübungen, die man Hatha-Yoga nennt, aus dem Gesamtkomplex YOGA entwickelt, sehr spät dazu. Es gibt kaum gesicherte Erkenntnisse darüber, wann die körperliche Seite sich zu den Asanas entwickelt hat, wobei die Sprache hilft, denn Asana heißt in wortwörtlicher Übersetzung: Sitz. Man hatte also sicher im Sitzen angefangen...

Zum Hintergrund gehört auch die klassische tantrische Philosophie, die in den wesentlichen Prinzipien der Yoga-Praxis münden:

Iccha  –  Wille   -       Absicht
Jnana –  Wissen –    Ausrichtung
Kriya  –  Handlung – Aktion.

Das Buch mit den drei As richtet sich wohl in erster Linie an diejenigen, die Yoga lehren, bzw. will dazu verhelfen, weil dezidiert beschrieben wird, daß der Intimbereich von Menschen bei Übungen niemals durch Zweite berührt wird. Aber das sollen natürlich auch die wissen, die mit jemandem Asanas durchführen.

Im dritten Kapitel geht es um ein Viertes, das eigentliche A, die ANATOMIE, die zum einen philosophisch, zum anderen physisch betrachtet wird. Wir kennen eigentlich nur die physische, oder? Das ist ganz einfach, denn die philosophische Seite betont nur, daß wir auf der einen Seite alles Menschen sind, die, wenn gesund geboren und gesund geblieben, eine gleiche körperliche Ausstattung haben, die aber – und jetzt kommt‘s – im einzelnen völlig unterschiedlich aussehen. Innen und außen. Das wissen wir, wenn man im Strom der Fußgänger sich beispielsweise Menschen anschaut oder in anderen Erdteilen andere Gesichter und Figuren sieht.

Bei den physischen Grundlagen ist es die Wirbelsäule, um die es in vier Abschnitten geht:

sieben Halswirbel (HWS)
zwölf Brustwirbel (BWS)
fünf Lendenwirbeln (LWS) und
das Kreuzbein sowie das Steißbein.

Dies wird alles im großformatigen Foto der ersten Tadasana-Übung gezeigt, aber auch als Zeichnung mit Rückenmark und Bandscheibe, Spinalnerv etc. im Detail gebracht.

Und die Erläuterungen über Bänder und Sehnen machen einem klar, wie ungebildet wir in der Regel über unserem eigenen Körper sind. Wenn es heißt: „merke dir: Ein Dehnungsgefühl in den Gelenken ist nicht erwünscht“, da dies in den Muskeln stattfinden soll, erfährt man erleichtert, daß darauf bei den jeweiligen Übungen eingegangen wird.

Wir waren bei Tadasana, wo ein Strichmännchen uns vier Übungen vormacht, die wir jetzt nicht in Sanskrit benennen wollen: die Grundhaltung wie beschrieben, dann in gleicher Haltung, aber die Arme beide nach oben, dann der Handstand mit ausgebreiteten Beine, dann den Oberkörper 90 Grad nach vorne geneigt, die Arme entsprechend am Kopf nach vorne und ein Bein in gerader Richtung vom Kopf bis zu den Zehen nach hinten gestreckt, so daß sich eine Linie vom Kopf bis Zehen ergibt. Was das Strichmännchen vormacht, sieht man dann noch im Foto am lebendigen Menschen, wo die Haltung der Hände und Zehen dann noch deutlich zu sehen sind.

Das ist die Grundhaltung, aus der sich alles entwickelt, was wir unmöglich wiedergeben können, nur ausdrücken, daß es sehr verständlich wirkt und sehr verantwortlich formuliert ist.

Wichtig auch die Betonung der Fußsohle mit ihren vier Punkten und auch den Gefahren von Überstreckungen, die den Sehnen schaden.

Ein solides Übungsbuch!

Foto:
Cover

Info:
Nicole Konrad, YOGA für jeden Körper. Individuelle Ausrichtungen und Hilfestellungen für die wichtigsten Ananas, O.W. Barth, März 2021
ISBN 978 3 426 29312 6