Auf die Schnelle:miese und sehr gute Sachbuchliteratur, gebraucht, Teil 97
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wir müssen endlich etwas zu den Renate Bergmann Büchern – drei – sagen, von denen ein Band im letzten Mai auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste stand. Die Bücher sind so was von beliebt und in meinen Augen grottenschlecht. Aber gehört zu Rezensionen nicht auch, die Wahrheit zu sagen, die natürlich immer die eigene Wahrheit ist. Und obwohl ich auch gegenüber dem Bestsellerautor Matt Haig etwas voreingenommen war, mußte ich konstatieren, daß sein Buch über seine Depression sehr Sinnvolles mit Humor und Wärme vermittelt.
Das bißchen Hüfte, meine Güte - Wir brauchen viel mehr Schafe - Wer erbt, muß auch gießen von Renate Bergmann
Also, es gibt Leute, denen diese Bücher gefallen, ach was, gefallen, die sie lieben und sehnsüchtig auf das nächste warten. Und diese Leute sind nicht wenige, sondern viele. Und da ich der Meinung bin, daß man wissen muß, was Leute so lesen, wollte ich auch an der Lustigkeit teilhaben. Doch das Gegenteil trat ein. Ich fühlte mich als Leserin dann doch sehr veräppelt und das ist noch harmlos ausgedrückt.
Um was es geht, kommt gleich. Zuvor aber das, was kein Geheimnis mehr ist. Renate Bergmann ist eine literarische Figur, sie ist die Erfindung von Torsten Rohde, Jahrgang 1974, heute Berlin, mit der er viel Geld macht. Das neide ich ihm nicht. Nur kann ich nicht mehr über eine Rentnerin lachen, die bauernschlau und auch nicht, das Beste aus dem Leben einer alten Frau macht. Doch, das sind oft witzige Situationen und wären sie original, so wäre manches originell – aber so, ist es einfach nachgemacht und der Esprit ist weg.
Diese Renate Bergmann ist bei „Das bißchen Hüfte, meine Güte“ 82 Jahre alt, das war 2015. Das weiß ich, weil sie ihre jeweiligen Bücher einleitet mit einer Ansage an die Leser und Leserinnen. Mal mehrere Seiten, mal ganz kurz. Die Oma ist als Rentnerin viermal verwitwet – ihre gestorbenen Männer Otto, Franz, Wilhelm und Walter liegen auf vier verschiedenen Friedhöfen in Berlin (meine sieben Wiener Tanten liegen auf sieben Wiener Friedhöfen!) und wohnt heute alleine in Berlin-Spandau. Dann verweist sie auf ihre Kenntnisse am Rechner, was aber im Schriftbild aufweist, daß sie das nicht richtig kann. Auf dieser Ebene laufen dann die Witze.
Zum Wohlfühlgefühl der Lesergemeinde gehört dann die Kenntnis der Lebensumstände dieser alten Haut, die nicht aufgibt, sondern aus dem Leben das Beste macht, sei es Bruder Fritz in Schwaben, sei es ihre Tochter, die im Rheinland lebt, ziemlich alternativ, sogar esoterisch und erst recht „Weganerin “ - auf dieser Ebene verlaufen dann die ‚Sprachwitze‘. Nein, wir wollen nicht die anderen Personen vorstellen, die Omis Leben begleiten. Es ist zum Jammern.
Ziemlich gute Gründe, am Leben zu bleiben von Matt Haig
Hatten wir eben mit einer erfundenen Alten zu tun, über die man, bzw. über ihre Gedanken und Taten man lachen soll, ist das nun ein lebender Autor, der schon berühmt ist, ein richtiger Bestsellerautor, 1975 in England geboren, der auf diesem Hintergrund über seine Anfänge schreibt, als er mit 24 Jahren depressiv wurde. Das kann leicht schief gehen und angesichts seiner vielen Bestseller so aussehen, als ob er auch darüber noch locker und witzig schreibt. Und obwohl er das tut – leicht, locker, ironisch – schimmert doch der heilige Ernst durch, was es bedeutet, als junger Mensch schon sein Leben zu Ende zu fühlen. Wenn ich so leichtfertig von Ratgeberbüchern sprach, so ist doch ein Sinn dahinter. Natürlich sind weder die Bergmannbücher, noch Haig echte Ratgeber, die Handlungsschritte vorgeben. Aber, sie können Verständnis fördern.
Im Falle von Haig können Menschen, die über Depression nur wissen, daß die Leute traurig sind oder an nichts Freude haben oder Überdruß empfinden, mehr über die Mechanismen der Zwangsläufigkeit erfahren. Denn, was man in Lehrbüchern nachlesen kann, als Diagnose, das wird hier in der Schilderung des eigenen Lebens einfach lebendig und dadurch verständlich. Und auch, wie die Gewißheit, daß man nicht alleine ist, daß Depression gerade ein Problem der Menschen ist, denen es eigentlich gut geht. Dies lesen zu können, dazu gehört aber einfach auch ein sprachliches Niveau, das Matt Haig liefert. Dabei ist das Thema für‘s Schreiben ganz schön gefährlich. Aber nie gleitet Haig in die Sentimentalität, keine Tränenoper, sondern vieles schildert er so komisch, daß es einem ans Herz geht, weil es ja eigentlich todtraurig ist.
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Info:
Renate Bergmann, Das bißchen Hüfte, meine Güte. Die Online-Omi muß in Reha, rororo 27044, Rowohlt Verlag 2015
ISBN 978 3 499 27044 4
Renate Bergmann, Wir brauchen viel mehr Schafe, Die Online-Omi macht Theater, rororo 27289, Rowohlt Verlag 2016,
ISBN 978 3 499 27289 9
Renate Bergmann, Wer erbt, muß auch gießen. Die Online-Omi teilt auf, rororo 27291, Rowohlt Verlag 2016
ISBN 978 3 499 27291 2
Matt Haig, Ziemlich gute Gründe, am Leben zu bleiben, dtv, 2016
ISBN 978 3 423 28071 6
Von der uninteressanten, erfundenen Alten und der echten Lebenskrise, die ans Herz geht
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- Kategorie: Bücher