Hanswerner Kruse
Berlin (Weltexpresso) - In „Schattentanz“, seinem neuen Roman, schreibt sich Lukas Hartmann einfühlsam in den exzentrischen Schweizer Maler Louis Soutter (1871 - 1942) hinein:
„Er tauchte seinen Zeigefinger ins Tuschfässchen, schüttelte ihn leicht, um ihn abtropfen zu lassen, dann zog er mit ihm eine Linie übers Blatt vor sich, eine zweite, ließ eine gehende Figur entstehen; so folgten der ganze Arm mit Hand und Fingern weit besser seinen Absichten, als er es mit einem Stift oder Pinsel vermochte...“
An diesem Tag trat der entmündigte und meist im Heim eingeschlossene Schweizer Künstler in eine neue Schaffensperiode ein. „Was er nun, in fiebriger Konzentration, Tag für Tag erschuf, waren Menschen, Nackte, erkennbar an ihren Silhouetten als Mann oder Frau, Menschen mit überlangen Armen und Händen, deren Finger sich spreizten, mit aufgerissenen Mündern, mit fliegenden Haaren. Tanzten sie? Verfolgten sie einander begehrend oder im Zorn?“
Der Autor folgt in seinem Roman den verschlungenen Lebenswegen des Malers, dessen Schattenbilder - mit Titeln wie „Echo der Verzweiflung“ oder „Sonne der Angst“ - erst viele Jahre nach seinem Tod bekannt wurden. Zunächst erzählt Hartmann von Soutters Studium der Musik, dann der Kunst, als er schon ein leidlich erfolgreicher Violinist war. Dabei lässt der Schriftsteller Soutters Leben im Schatten der übermächtigen Mutter aufscheinen, die ihn unaufhörlich zu Erfolgen drängt. Wir begegnen der geliebten Schwester Jeanette, nehmen an der überaus wilden aber scheiternden Liebe zur Sängerin Madge teil, mit der er in die USA ging.
Jahre später kehrte er allein und desillusioniert nach Europa zurück. Hier brachten ihn seine Großmannssucht und hemmungslose Verschuldung aufgrund seines aufwendigen Lebensstils, in heftige Konflikte mit der Familie, die ihn schließlich entmündigen ließ. Sein sozialer Abstieg endete mit 52 Jahren im Asylheim in Ballaigues (Jura), wo er sich fast zwei Jahrzehnte lang wie besessen der Kunst widmete. Erstaunlicherweise kümmerte sich Soutters Großcousin, der erfolgreiche Architekt Le Corbusier, gelegentlich um den Maler und organsierte einige kleine Ausstellungen für ihn.
Der Baumeister sympathisierte zeitweilig mit den Faschisten, um seine moderne Architektur für den neuen Menschen realisieren zu können. Darüber entzweite er sich mit Soutter, der durch tägliche Zeitungslektüre den kommenden Krieg erahnte und in seinen Bildern ausdrückte. "Sag doch, dass dich diese Bilder beunruhigen", lässt Hartmann ihn zu Le Corbusier sagen.
„Schattentanz“ ist keine Biografie, sondern eine fiktive, sensible und zugleich spannende Erzählung. Sie bringt uns mit großartiger Sprache den Künstler, aber auch die Menschen in seinem Umfeld, sehr nahe. In 33 kurzen Kapiteln verwebt der Autor wechselnde Erzählweisen und Perspektiven, große Zeitsprünge und Interpretationen wahrer Begebenheiten. Dabei verschont er uns Lesende mit psychologischen Deutungen Soutters - stattdessen breitet er einfach literarisch dessen exzentrisches aber einsames Leben und sein Oeuvre vor uns aus.
Im Buch zum 150. Geburtstag des Künstlers erfahren wir nichts über seine posthume Pathologisierung. Obwohl keinerlei Dokumente dafür vorlagen, konstruierten Psychopathologen wie Alfred Bader post mortem, allein aus Soutters bedrohlichen Bildern, eine manifeste Geisteskrankheit. Kunsthistoriker ordneten ihn zwar auch der Art Brut und Outsider-Kunst zu, machten ihn jedoch keinesfalls zu einem psychisch kranken, naiven und weltentrückten Maler. Im Gegenteil, sie erkannten gerade in seiner „sozialen Vogelfreiheit eine hierzulande kaum bekannte künstlerische Freiheit.“ Und sie begriffen, dass sich das Grauen des 2. Weltkrieges und des Holocausts in seinen Bildern zeigte: Er war „nicht nur ein echter Zeitgenosse, sondern geradezu eine Antenne von erschreckender Sensibilität“ (Paul Nizon).
Info: Lukas Hartmann: Schattentanz (Die Wege des Louis Soutter), Diogenes-Verlag, gebunden, 254 Seiten, 24 Euro
Fotos:
Louis Soutter „Potentats de imfirmit" (1942) © gemeinfrei von Wikipedia
Cover „Schattentanz“ Diogenes-Verlag
Zitat:
Auch Hermann Hesse schrieb sich mit seinem langen empathischen Gedicht "Louis Soutter" in den Maler hinein: „...Nicht korrekt, nicht schön, sondern richtig.
Mal ich mit Tinte und Blut, male wahr. Wahrheit ist schrecklich...“