Englischsprachige Autoren mit dem Nachnamen Harris, Teil 2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ernstgenommen sollte ich jetzt gar nicht weiterschreiben, sondern dürfte nur darauf hinweisen, daß Sie sich sofort DER ZWEITE SCHLAF als Buch bei Heyne oder noch besser das Hörspiel vom Hörverlag besorgen sollten, denn jedes Schreiben über Buch und Hörbuch erledigt den entscheidenden Furor, daß man erst mal völlig überrascht ist, was man da hört und sich wundert, wundert und noch mal wundert...
Aber das ist ein produktives Wundern! Ich kann davon reden, denn ich hatte keine Ahnung, nichts über diesen Roman vorher gelesen, wußte nur, daß wir diesen mit Recht Bestsellerautor genannten Schriftsteller Robert Harris unbedingt wieder einmal besprechen müssen.
Wo sind wir beim Hören? Irgendwo im Mittelalter, es geht um die Kirche, die knallharte Herrschaft über Menschen ausübt. Wann war das? Genau, im Mittelalter. Alles ist düster, die Menschen arbeiten schwer und trauen sich wenig. Da hilft einem sein Mittelalterstudium wenig, daß das Mittelalter so dunkel nicht war. Sagen wir mal, für so arme Bauern, wie die, die wir gerade kennenlernen, eben doch. Und die christliche Kirche, von der es damals nur eine gab, die entgegen dem traurigen Erdenlos himmlischen Frieden verspricht für die, die sich an die Vorgaben der Kirche halten, konnte dadurch die Gläubigen unter Kontrolle halten, zwangsbeglücken.
Aber was soll das, was wir da hören, daß einer vom Bischof in eine Pfarrei geschickt wird, weil der dortige Priester gestorben ist. Doch dann kommt auf einmal eine moderne Musik und es reden Menschen von heute, aber nein, später reden welche von von morgen über unser Heute. Aber Vertrauen! Es klärt sich alles. Und ich kann nur noch einmal sagen, daß nicht zu wissen, wo man ist, um was es sich handelt, oft die beste Ausgangsposition ist, genau hinzuhören und dadurch auch die Feinheiten der Geschichte herauszuhören.
Die Kurzfassung: Es gab die Apokalypse, die liegt weit zurück und erschüttert als eine die Menschheit fast ausgelöscht habende Katastrophe die Überlebenden noch heute. Ein noch junger Priester namens Fairfax (Max Mauff) wird in den frühen Apriltagen des Jahres 1468 von seinem Dienstherrn Bischof Richard Pole auf platte Land geschickt, weil der dortige Pfarrer auf mysteriöse Weise umgekommen ist, dort, wo kaum noch Leben ist . Und er soll den Tod klären, aber vor allem den Leichnam nach christlichem Brauch unter die Erde bringen.
Von Anfang an wundert er sich. Eigentlich ging er von einem normalen Tod des Priesters Thomas Lacey (Felix von Manteuffel) aus, aber einige Bewohner sprechen von Mord. Dann ist da die Haushälterin des Toten, Mrs. Agnes Budd (Steffie Kühnert), die das Kind ihrer Schwester großzieht, und Fairfax immer wieder seltsam erscheint in ihrer wechselnden Zuwendung und Ablehnung seiner Untersuchung. Denn zu der kommt es, als er verschiedene Merkwürdigkeiten konstatiert, zu denen auch der Raub der alten Kirchenbücher gehört. Ihm fällt auch auf, daß der Pfarrer seltsame Gegenstände gesammelt hat, die er in der Gegend gefunden habe, Gegenstände, die wir gut kennen, wie Münzen, Scherben, Handys, Plastik erst elektrische Geräte! Wie im Mittelalter?
Nein, der Schreibtrick des Autors ist, daß die genannte, mit rund 800 Jahren weit zurückliegende Apokalypse in unserer Zeit passiert, genau im Jahr 2025, weil die Ausbeutung der Natur und die Übertechnisierung den großen Knall ergab und die Menschheit mit allem um Jahrhunderte zurückwarf. Daß es einmal Elektrizität gegeben hat, wissen die Leute nicht und unser digitales und globales Leben wäre ihnen unheimlich, weil sie von der Kirche, die Staat und Glauben in einem ist, auf der Entwicklungsstufe einer Agrargesellschaft gehalten werden. Dazu gehört, daß die Kirche die vielen Jahrhunderte einfach verschweigt und die Zeit zurückdreht, also die vielen Jahrhunderte verschweigt, damit die Renaissance, die Reformation, den Barock, die Aufklärung, die französische Revolution, die parlamentarische Demokratie. Das Jahr 1468 ist also nach heute!
Fairfax lernt nun die Leute kennen, die mit dem Pfarrer Umgang hatten, die selbstbewußte Lady Sarah Durston (Anna Thalbach), eine junge Witwe, die sich vom gläubigen, aber kirchenkritischen Großgrundbesitzer und Unternehmer Captain John Hancock (Martin Brambach) den Hof machen läßt, die Wissenschaftler Dr. Nicholas Shadwell (Mechthild Großmann) und den Bösewicht Quike (Fritzi Haberlandt...und nach und nach erkennt Fairfax, daß ihn die Kirchenoberen belogen haben und es eine Zivilisation vor ihnen gab, die den Menschen ein besseres Leben möglich machte ohne Hunger, ohne Frieren, ohne Unterwerfung...
Hier wollen wir nicht weitererzählen, auch wenn es dramatisch zugeht! Uns ist etwas anderes wichtig, weshalb man unbedingt dies Hörspiel anhören sollte, das packend und atmosphärisch dicht, mit Stimmen, die man aus Film und Fernsehen kennt, noch ansprechender wird. Der Text ist auf vier CDs verteilt, aber dann gibt es eine fünfte als Bonus und die ist die Sensation, deretwegen ich sofort diese Aufnahme anpreisen will. Wie es neudeutsch heißt, geht es um das Making off. Und da ist auf einmal Corona im Spiel, denn im letzten Jahr ist die Produktion unter Coronabedingungen abgelaufen und hat die Situation der Pandemie gleich in die Geschichte aufgenommen.
Sehr interessant, was die Schauspieler, besser: die Sprecher und Sprecherinnen persönlich zu Corona sagen und mit welchen Argumenten sie davon sprechen, daß das Leben nie wieder so werde, wie es war, daß das aber nicht einseitig bedauernd gesprochen sei, sondern daß dieses alte Leben an einem Punkt der Zivilisation angekommen sei, wo die Ausbeutung der Natur und auch die so unterschiedlichen Lebensbedingungen der Menschen rund um den Erdball an ein Ende kommen müsse, will die gesamte Menschheit weiterleben. Das klingt natürlich pathetisch, aber ist in vielen Beiträgen viel substantieller ausgedrückt. Denn an den Diskussionen über den Stoff sind mehrere, weithin bekannte Wissenschaftler beteiligt. Wirklich erhellend!
Außerdem gibt es wirklich Interessantes über die Produktion zu hören, die wie bei Fritzi Haberland im einsamen Kämmerlein stattfand, was man beim Zuhören nicht bemerkt hatte, was nun in Beispielen noch einmal vorgeführt wird, wie aufeinanderbezogen die Stimmen auf den CDs klingen. Technisch also hervorragend gemacht. Und beim Hören wunderte man sich vielleicht, daß bekannte, aber sehr rauchige Frauenstimmen Männer sprechen. Das vertritt der Regisseur Leonhard Koppelmann mit dem Argument, im Buch seien fast nur Männer vorhanden. Das sei meist so. Deshalb, um auch Frauen zu beteiligen, läßt er diese männliche Rollen sprechen. Noch besser allerdings wäre, die Autoren würden von Anfang an mehr weibliche Rollenträger vorsehen!
Das ist übrigens für mich die erste Bonus CD in einem Hörbuch, was ich sonst nur von den Filmen auf DVDs kenne und auch mag. Denn als Zuhörer und Zuschauer mehr über das Machen, das Herstellen von Filmen und Hörspielen(Hörbüchern) zu erfahren, gibt dem Gehörten noch einen tiefere Hintergrund. Wunsch wäre also, solche BonusCDs öfter zu hören, allerdings wünscht man sich dies auch auf solchem Niveau, wie hier vorgeführt.
Foto:
Cover
Info:
Geschrieben von: Robert Harris
Gesprochen von: Max Mauff, Anna Thalbach, Steffi Kühnert, Martin Brambach, Mechthild Großmann
Spieldauer: 5 Std. und 40 Min.
Kategorien: Science Fiction & Fantasy, Science Fiction
Produktion: Hessischer Rundfunk/Der Hörverlag 2021
ISBN 9 783844 539882