die amerikansiche nachtAuf die Schnelle: Gute Spannungsliteratur, gebraucht, Teil 104

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Das liegt mir schon lange auf der Seele, endlich von diesem durchaus verstörenden Roman, den ich nicht gerne Kriminalroman nennen möchte, weshalb mir der Begriff Spannung geeigneter erscheint, zu erzählen, durch den ich Marisha Pessl, 1977 geboren, heute New York, erst kennenlernte, weil sie bei uns die Popularität, die sie mit ihrem Debüt DIE ALLTÄGLICHE PHYSIK DES UNGLÜCKS, erschienen bei Fischer 2007, in den USA und der englischsprachigen Welt erzielte, nicht gewann.

Es geht also bei DIE AMERIKANISCHE NACHT um den von ihr länger aufgeschobenen Zweitling, was oft heikel ausgeht. Da wir den Erstling nicht kennen, können wir über eine Fallhöhe oder einen literarischen Sprung nicht sprechen, nur darauf verweisen, daß dieser Roman in ihrer Heimat sehr gelobt wurde. Was wir aber sagen können, ist, daß hier in einem Rundumschlag alle möglichen Genres verknüpft, ineinandergeschoben, geteilt, gekocht, gebraten, gegessen werden und unsere Lebenswirklichkeit auf den Kopf gestellt wird. Schuld daran ist das Kino oder besser: Regisseur Cordova. Meine Güte, wie habe ich mich abgemüht, unter all den besessenen, magischen Filmemachern einen zu finden, der diesem Cordova als Modell gedient haben könnte. Gefunden habe ich keinen. Es ist so, als ob vom surrealitistischen Luis Buñuel– das liegt daran, daß ein Auge, sein Auge in einem der Filme die Hauptrolle spielt – die Rede sein könnte, natürlich von Pedro Almodóvar, weil er so schön verrückt ist, nein, besser: weil die Frauen am Rande des Wahnsinns auftreten und natürlich, wenn es um Besessenheit von der Qualität des Filmemachens die Rede ist, könnte es auch der Großmeister Stanley Kubrick sein, nein das taugt nichts: mein persönlicher Favorit Martin Scorsese zu rational, Ingmar Bergmann zu europäisch, Rainer Maria Fassbinder zu diesseitig, Federico Fellini zu sinnlich, Woody Allen erst rech nicht...es hat keinen Zweck, Cordova ist einzig, was er selbst am besten weiß und nutzt. Aber halt, Roman Polanski hatte ich vergessen, der mit ROSEMARIES BABY und auch Miloš Forman, der mit EINER FLOG ÜBER DAS KUCKUCKSNEST in die Richtung des genialen undurchsichtigen Filmemacher gehen, zwischen Surrealismus, Magie und Wahnsinn.

Es beginnt mit dessen 24jähriger Tochter, die in einem Schacht tot aufgefunden wurde, was nach Selbstmord aussieht, aber unerklärlich scheint, weil sie ein besonders begabtes, auch leicht wunderliches, liebenswertes Kind, schon als Pubertierende eine exzellente Pianistin war. Und nun kommt Scott McGarth ins Spiel. Er ist einer dieser typischen amerikanischen investigativen Journalisten - positiv gemeint - , die ist auch noch als Autoren viel Geld verdienen – negativ gemeint. Zu Hause ist er in Manhattan – wo auch sonst? , aber mit seinen Erfolgen ist es vorbei. Er ist geächtet, seit er vor Jahren in einer Fernsehsendung locker vom Hocker Stanislav Cordova schmähte, was dieser sich als Falschaussage über Schmerzensgeld per Gericht so teuer bezahlen ließ, daß McGarth nie wieder auf einen grünen Zweig kam, seine Ehe scheiterte und ihn nun auch besessen zurückläßt, nämlich von dem Mann, der ihm das angetan hat: Cordova. Da paßt es gut, daß mit dem unerklärten Freitod der sehr sympathische Tochter ein Ansatzpunkt ist, den Berühmten, der sich völlig zurückgezogen hat, vorzuführen, ihm irgendetwas nachweisen zu können, was negativ ist. Ist er Schuld am Tod der Ashley.

Er hat noch gute Kontakte zur ermittelnden Polizei und sucht vor allem den Ort auf, wo Ashley zu Tode kam. Dort fällt ihm ein junger Mann auf, Hopper, der noch eine Rolle spielen wird. Höchste Zeit von der raffinierten Collage zu sprechen, die die Autorin wählt, um die eigentlich klare Handlung, nämlich die Aufklärung des Todes der Ashley für uns zu verwirren, bis wir oft nicht mehr wissen, ob wir gerade in einem Traum sind, in einem Film, nur in den Filmrequisiten – geträumt?, echt? - in einem Roman, einem Zeitungsartikel, auf einem Bildschirmfoto oder einem echten oder in der Wirklichkeit. Das gelingt der Autorin durch verschiedene Metaebenen mittels verschiedener Medien: Film sowieso, Cordova war Spezialist für sogenannte magische, surreale Filme, Filme in denen Übersinnliches vorherrscht, magische Praktiken wie die aus Haiti u.a., weiterhin durch Blogs, durch Fernsehnachrichten, durch Zeitungen, durch Telefonanrufe, durch unerklärliche Träume, durch Fotos, durch Zeichnungen, durch einzelne Worte, eigentlich gibt es kaum etwas, was hier nicht möglich ist.

Das hält man nur aus, weil man längst in die Aufklärung von Ashleys Tod involviert ist, bei der sich dieser Hopper als ihr zeitweiser Freund herausstellt, den sie in die Wüste schickte, der Ashley nachtrauert und sich deshalb mit McGarth zusammentut, wozu noch Nora Halliday stößt, eine junge Frau, die ihren Weg noch sucht und am Schluß am Broadway als Schauspielerin findet. Sie ist die, die als Letzte Ashley gesehen hatte, als diese an der Garderobe ihren Mantel abgab, ihn aber nicht abholte, sondern ohne ihn fluchtartig das Lokal verließ und durch Sturz starb.

Diese drei wollen jetzt wie „die Drei“ oder „die drei Musketiere“ den Tod aufklären und dabei auch die Umstände des doch sehr seltsamen Lebens von Ashley klären. So zwischendurch fragt man sich, warum dieser Roman nicht längst verfilmt ist, der nämlich wie die Wiedergabe eines raffinierten Films, wie ein Film im Film im Film wirkt. Wie raffiniert er aufgebaut ist, dieser Roman, fällt einem auf, wenn man sich noch mal die Beziehungsebene anschaut. Da geht es um den niedergemachten Journalisten und den berühmten, völlig zurückgezogenen Regisseur, der gerade deshalb, weil er verschwunden scheint, ständig publizistisches Thema bleibt. Eine Liebesgeschichte, die von Hopper und Ashley ist es auch, aber auch die Ehen des Regisseurs spielen eine Rolle, von denen wir Interna hören, und dann erst recht die Vater-Tochter-Beziehung, der wir mit McGarth nachspüren.

Höhepunkt des elegant zubereiteten Durcheinanders ist – ein köstlicher Einfall – wenn die Drei beim Durchsuchen des weitläufigen Anwesens des Regisseurs in all die Filmkulissen fallen, die der Regisseur dort untergebracht hat. Aber wie es weitergeht, darf man einfach nicht verraten. Und Achtung. Beim Hören nicht aufhören, wenn die Aufklärung da ist. Denn dann geht es überhaupt noch einmal los und alles ist ganz anders als gedacht. Gut gemacht, nicht oberflächlich, für Deutschland ein ungewöhnliches Genre, dies einerseits logistische, andererseits irrationale Durcheinander.

Foto:
Cover

Info:
Die amerikanische Nacht von Marisha Pessl, gelesen von Wolfram Koch, 8 CDs, ca. 600 Minuten,
bei Random House Audio, 2013

Genre: Thriller

ISBN 978 3 8371 2052 3