skandalfilmAuf die Schnelle: Gute Filmliteratur, gebraucht, Teil 105

Felicitas Schubert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Höchste Zeit, daß wieder einmal Filmbücher dran sind, erst recht, wo die Kinos geschlossen sind. Daß der Fernsehkonsum sich in Coronazeiten sehr erhöht hat, kann man gut verstehen, denn wahrscheinlich war noch niemand so lange in seiner eigenen Wohnung wie seit dieser Pandemie, die ja für uns die erste von solcher Dimension ist. Es gibt also nach wie vor Filme, nämlich die, die im Fernsehen gezeigt werden. Nicht Fernsehfilme, sondern Filme, die im Fernsehen ausgestrahlt werden. Wir wollen unbedingt diese stärker vorstellen.

Jetzt aber geht es um Bücher, insgesamt um vier, die wir aufteilen.

KINO IN DER STADT. EINE FRANKFURTER CHRONIK hrsg. von Herbert Stettner

Kein Wunder! Man staunt über den 206 Seiten starken DIN A 4 Band, in dem selbstbewußt Kino in der Stadt vorgestellt wird. Von wem? Von Hilmar Hoffmann, dem spiritus rector des Frankfurter Museumsufers und all der Kultureinrichtungen, die er unter dem Tenor KULTUR FÜR ALLE initiierte. Er hatte Regie/Regisseur studiert und 1954 die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen und geleitet, wo 1962 das Oberhausener Manifest den Jungen deutschen Film kreierte. Von 1970 bis 1990 hat er als Kulturdezernent der Stadt Frankfurt diese zur Filmstadt gemacht.

Im Vorwort verweist er auf die enorm angewachsene Filmliteratur (das war 1984!) und die falsche Orientierung der Nachkriegszeit, in der Film rein unter wirtschaftlichen, eben nicht künstlerischen Gesichtspunkten gefördert wurde, was dann 1962, siehe oben, das Wunder den ‚Jungen deutschen Films‘ änderte, das eine Filmkultur konstituierte. Dieser Band soll einen solchen Prozeß begleiten, dokumentieren.

In den Beiträgen von insgesamt 63 Autoren kommt uns die filmkulturelle Entwicklung Frankfurts vor Augen, womit gleichzeitig ein ganzes Jahrhundert Frankfurter Stadtgeschichte lebendig wird. Gerade Frankfurt sei von Anfang an eine Filmstadt gewesen und geblieben. Das zeigt Detlef Hoffmann, der verstorbene Hamburger Kunsthistoriker, der in Frankfurt studiert hatte, in seinem Beitrag: „Die Vorläufer des Kinos in Frankfurt.“ Wenn man diese Schrift für heute aktualisiert, muß man die neueste Meldung mitaufnehmen, daß das Kino, das als SCALA Herz der Frankfurter Kinos war, von Familie Schaefer, die die EKinos an der Hauptwache betreiben und denen das von ihnen ELDORADO genannte interessante Haus in der Schäfergasse gehört, aufgegeben, also geschlossen werden muß. Leider.

Man kann unmöglich, den Inhalt dieses Kompendiums in wenigen Worten wiedergeben. Man fragt sich beim Studieren, warum diese Schrift nicht immer wieder – um Neues erweitert – neu veröffentlicht wird.


SKANDALFILME. Cineastische Aufreger Gestern und heute von Stefan Volk

Eigentlich verliert das Bewußtsein für Skandalfilme seine Bedeutung. Denn früher, als Sittlichkeit noch ein öffentlich vorgetragener Wert war, da konnten Filme noch Skandale hervorrufen. Und heute! Aber damit wollen wir uns jetzt nicht aufhalten, sondern konstatieren, daß es früher anders war. Wenn man im Nachkriegswestdeutschland den Begriff SKANDALFILM genannt hätte, wäre unisono ertönt: DIE SÜNDERIN mit Hildegard Knef. Obwohl ich damals noch nicht gelebt habe, habe ich dies Ereignis als historisches sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen. Das muß wirklich das Ereignis gewesen sein!

Schauen wir mal ins Buch rein! Im Vorwort kommt Verfasser Stefan Volk gleich auf die Sexualität zu sprechen, die fast immer die Ursache der Skandale von Filmen ist. Stimmt, er führt LOLITA an, wo Stanley Kubrick 1962 die 14jährige Sue Lyon agieren ließ, woran wir uns erinnern, aber schon nicht mehr „1997, als Adrian Lyne sie in Dominique Swains 15jährigen Körper Jeremy Irons auf den Schoß setzte.“

In der Einleitung wird der Kuß, der zum wohl ersten filmischen Skandal führte, angesprochen. Das war 1896! Das Interessante war, daß es um ein Stück ging, wo auf der Bühne der Kuß niemals zum Skandal wurde, aber als Filmaufnahme schon. Doch, das kann man verstehen, denn auf der Bühne sieht man das nicht so genau. Das ist alles sehr interessant und langsam verstehe ich, daß es um eine Bestandsaufnahme geht, die zeitlich angelegt ist. Schon ab Seite 19 werden diese Filme vorgestellt. Es beginnt mit ANDERS ALS DIE ANDERN, ein Film aus Deutschland 1919. Natürlich war das noch Stummfilmzeit. Und gleich entdecke ich bei den leider ziemlich kleinen Fotos Reinhold Schünzel. Ich kenne ihn als Regisseur, hier aber spielt er mit Conrad Veith. Ah, eine interessante Geschichte. Schünzel ist der Bösewicht, der den Geiger erpreßt, weil dieser eine homosexuelle Beziehung hat, was beim noch gültigen Paragraphen 175 Gefängnis bedeutet. Ist das nicht toll, daß sich 1919 ein Film traut, das so knallhart anzusprechen. Wir heute denken gar nicht mehr daran, wie die Situation der Betroffenen war, aber auch nicht, was Filme, die das Unrechte am Vorgehen der Verfolgung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, an Kritik hervorrufen. Das also sind Ursachen für Skandalfilme, die heute keine mehr wären.

Wir sind gleich hier beim ersten Film hängen geblieben, weil wir nun die gründliche Aufarbeitung schätzen lernen. Da wird nicht nur das Entsprechende zum Film aufgeführt, sondern es wird der Anlaß des Skandals erweitert, in dem andere Aufklärungsfilme genannt werden und die damals wichtigen Personen wie Magnus Hirschfeld vorgestellt werden. Das ist einfach ein richtig gutes Buch! Daß man sogar über Seiten über EKSTASE lesen kann, ist auch erwähnenswert, denn durch die neue Popularität der Schauspielerin, die durch Nacktszenen den Film skandalisierte, Hedy Lamarr, die dann in die USA ging, ist auch der Film von 1933 wieder ins Gespräch gekommen. Wie sorgfältig hier recherchiert wurde, zeigen 12 Seiten Text mitsamt Fotos.

Und dann kommt erst das Eigentliche. Es werden die Skandalfilme nach Jahrzehnten aufgeführt. Daß zwischen 1933 und den Fünfziger Jahren kein Film erfaßt ist, wundert schon. Denn man könnte ja auch die NS-Filme als Skandal ansehen, Jud Süß zum Beispiel. Für die Fünfziger kommen dann, wie vermutet, DIE SÜNDERIN, aber auch DAS MÄDCHEN ROSEMARIE, der Film über Rosemarie Nitribitt. Erich Kuby hatte das Drehbuch geschrieben, Nadja Tiller die Edelprostituierte gespielt und erst nach dem Film schrieb Kuby die Geschichte auch als Roman herunter, der im letzten Jahr das Buch wurde, was FRANKFURT LIEST EIN BUCH zum Anlaß nimmt, dies zwei Wochen lang öffentlich zu tun.

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Foto:
Cover

Info:
Kino in der Stadt. Eine Frankfurter Chronik, hrsg. von Herbert Stettner für das Kulturdezernat der Stadt Frankfurt am Main und das Deutsche Filmmuseum, Eichborn Verlag 1984
ISBN 3 8218 0804 7

Stefan Volk, Skandalfilme. Cineastische Aufreger gestern und heute, unter Mitarbeit von Barbara Scherschlicht, Schüren Verlag 2011
ISBN 978 3 89472 562 4