Auf die Schnelle: Gute Filmliteratur, gebraucht, Teil 106
Romana Reich
Berlin (Weltexpresso) - Wie man einen Film interpretiert? Da haben wir uns erst einmal gewundert, denn wir sprechen ja von Filmbesprechungen oder auch von Filmrezensionen. Aber interpretieren? Das ist ja die Voraussetzung, daß man einen Film interpretiert, bevor man etwas dazu sagt oder schreibt. Und wenn wir das kleine Reclambüchelchen von rund 200 Seiten aufschlagen, wissen wir auch, warum hier das Interpretieren im Vordergrund steht: Es geht um Literaturwissen für die Sekundarstufe II.
Wie interpretiert man einen Film? Für die Sekundarstufe II von Peter Beicken
Perfekte Gliederung! In der Einleitung fällt das Wort, das wir eher denn Interpretationen nehmen: Analyse. Wir analysieren Filme übrigens schon beim Zusehen, das ist wie mit dem Lesen, auch da läuft das Analysieren unter der Hand von Anfang an mit. Eigentlich hat alles, was wir tun, immer auch mit Analysieren zu tun. Aber das ist eher das Unbewußte, hier geht es um bewußtes Analysieren.
Erst aber kommt der historische Rückblick: ASPEKTE DEUTSCHER FILMGESCHICHTE, wo eine Mischung aus technischen Neuerungen und Filminhalten zu dem führt, was dann im Kino gezeigt wurde: die Filme. Wie stark Deutschland in beide Entwicklungen involviert war, ist interessant nachzulesen, weil es weithin dem Vergessen anheimgefallen ist. Damals war Deutschland ein entwickeltes Filmland, heute nicht. Das gilt nicht für die Filmemacher und die Produkte: ihre Filme. Das gilt aber für den deutschen Kinozuschauer. Wobei, diejenigen, die ins Kino gehen, ja schon mal die Ausnahmen sind. Aber sie gucken sich in der Regel amerikanische Blockbuster an, massenhaft, aber kaum die Autorenfilme etc. Klarer sieht man das, wenn man die Zuschauerzahlen von als hochwertig klassifizierten Filmen in Deutschland und in Frankreich ansieht, wo diese sehr hohe Besucherzahlen erreichen, während sie hierzulande so dahintröpfeln.
Also ist es gut, daß solche Bücher erscheinen und vor allem gut, wenn dies in Schulen unterrichtet wird. Sehr systematisch, was gut ist. Es geht erst einmal um Elemente des Films: Herstellung, Drehbuch, Kino. Was sind filmische Codes? Da geht es um die Semantik der Einstellungen, der Beleuchtungen, des Tons, einschließlich der Musik. Wenn es dunkel wird, ist das Nacht, wenn ein Auto mit grellen Scheinwerfern durch eine dunkle Straße fährt, passiert gleich etwas, aufgerissene Augen zeigen, daß diese etwas Schreckliches sehen, usw. Anschließend werden die Methoden der Filmanalyse differenziert. Das kennt man aus der Germanistik. So gibt es auch hier die biographisch/zeitgeschichtliche Methode, die formale M., die Strukturanalyse, und so viele andere, auch eine feministische und eine postkoloniale Filmanalyse.
Beim nächsten Kapitel, den Filmgenres, kennt sich jeder wieder aus und für sie werden dann Beispiele angeführt: Für den WESTERN natürlich HIGH NOON, für das MELODRAMA werden DER BLAUE ENGEL und CASABLANCA ausgewählt, dann gibt es den ABENTEUERFILM, das ROAD MOVIE und den DETEKTIVFILM. Das war‘s. Das aber ist zu wenig. Auch der LIEBESFILM, die LITERATURVERFILMUNG, der HISTORIENFILM, die BIOGRAPHIE, der KINDERFILM und noch mehr, fallen uns ein?
Was dann gefällt, sind die Filminterpretationen in Einzelbeispielen und dann kommen vier Beispiele für Literaturverfilmungen sowie eine Auswahl der Fachbegriffe. Gut so.
Die fetten Jahre sind vorbei! Von Edgar Rai
Wenn man von Literaturverfilmungen spricht, meint man immer die Verfilmung eines Romans, einer Novelle, eines Theaterstücks, auf jeden Fall, daß erst der Text da war, dem der Film folgt. Inzwischen hat sich auch die Umkehrung als erfolgreich erwiesen. Dabei muß man das ‚inzwischen‘ eigentlich dementieren. Denn es gab diese Folge schon immer. Bestes Beispiel ist der Film DAS MÄDCHEN ROSEMARIE, dessen Drehbuch der Journalist Erich Kuby schrieb, der anschließend daran den Stoff, der ja auf dem wirklichen Mord an Rosemarie Nitribitt beruhte, als Roman niederschrieb.
Hier schreibt Edgar Rai die Filmgeschichte nach dem Drehbuch des Regisseurs Hans Weingärtner nach. Es geht in diesem Film aus dem Jahr 2004 um Jan, Peter und Jule . Sie sind Mitte 20, leben in Berlin und haben einen ganz speziellen Zeitvertreib. Sie rauben die reichen Leute aus, denen sie dann hinterlassen, daß die fetten Jahre vorbei sind. Eine tolle Idee, die dann dramatisch wird, weil sie unfreiwillig zu Entführern werden. Es mußte sein, das versteht jeder Leser. Aber natürlich werden sie verfolgt. Auch im Buch kommt das gut raus. Und als der Countdown kommt, dann ...aber das darf man nicht verraten, gehört aber zu den überraschendsten Schlüssen.
Schluß ist übrigens ein weiteres Stichwort. Denn als der Film in Cannes gefeiert wurde, hatte er noch nicht den vorgesehenen Schluß, der Regisseur war nicht fertig geworden. Später kam er im deutschsprachige Raum dazu, aber später ließ der Regisseur selber die Szene wieder weg. Hier im Buch ist dies auf eineinhalb Seiten eingedickt.
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Info:
Peter Beicken, Wie interpretiert man einen Film? Für die Sekundarstufe II, Reclam Verlag 2004
ISBN 3 15 015227 5
Edgar Rai, Die fetten Jahre sind vorbei!, Roman nach dem Film von Hans Weingärtner, Aufbau Verlag 2004
ISBN 3 7466 2094 5