Über die Heftromane der 1950er und 1960er Jahre, Teil 1/2
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Es führen viele Wege zur Literatur. Mein persönlicher Weg begann in den Niederungen der Kolportagegeschichten.
Bei den bunten Comics und Romanheften, die damals als Schundliteratur galten. Immerhin beherrschten die Autoren ihr Handwerk. Grammatik- und Rechtschreibfehler unterliefen ihnen extrem selten. Ihre Sprache war zwar einfach, aber ausdrucksreich und keineswegs primitiv. Mit ihren Texten bauten sie Spannung auf. Das analytische Hinterfragen von Geschehnissen war nicht ihre Sache. Die Leser erwarteten das auch gar nicht. Sie wollten sich unterhalten. Wollten dem vielfach tristen Alltag für zwei bis drei Stunden entrinnen. Wollten, dass das Gute siegt und das Böse unterliegt und zur Rechenschaft gezogen wird. Ganz anders als im wirklichen Leben. Reaktionär waren die Hefte trotzdem. Denn sie stellten die Herrschaft der Wenigen über die Vielen nicht in Frage. Auf eine bestimmte Weise waren sie sozialdemokratisch. Sie empörten sich über das Unrecht, aber auf die Empörung folgten keine Taten.
Mein erster Held, dem ich nacheiferte, war Akim, Titelfigur eines schmalen Comic-Heftchens. Er erinnerte an den legendären Tarzan und streifte wie dieser durch den Dschungel. An seiner Seite eine Blondine namens Rita. Er kleidete sich nur mit einem Lendenschurz, hangelte vor allem von Baum zu Baum oder schwang, an einer Liane hängend, über die Landschaft. Außerdem gab es noch den Schimpansen Zig, der ähnlich wie ein gutgezogener Hund die Gespräche der Menschen verfolgte, sich selbst aber nicht an ihnen beteiligte, wie auch.
Auf Akim folgte „Sigurd“, der dem Siegfried des Nibelungenlieds und den Götterliedern der Edda nachempfunden war und mit seinem Freund Bodo gefährliche Abenteuer überstand. Regelmäßig tauchten auch Drachen und Dinosaurier auf, was Zweifel an der historischen Genauigkeit der Bildergeschichten aufkommen ließ. Denn wir hatten bereits im dritten Schuljahr gelernt, dass sich Dinosaurier und Menschen nie begegnen konnten, weil die Menschen erst nach den Urtieren in die Erdgeschichte traten. Zwischendurch las ich auch „Silberpfeil“, die Abenteuer eines Indianerhäuptlings, der mit dem Kommandeur einer Kavallerieabteilung der US-Armee befreundet war, nämlich mit Hauptmann Bill Gordon. Während Silberpfeil zeichnerisch konturlos blieb, erinnerte mich Bill Gordon an Schauspieler, die in Westernfilmen auftraten. Beispielsweise an Sterling Hayden oder Randolph Scott.
Inhaltlich wenig anfangen konnte ich mit „Nick, dem Weltraumfahrer“.
Das formale Konzept dieser schmalen, querformatigen Hefte stammte aus Italien, dort hießen sie Piccolos. Ein deutscher Werbezeichner, Hansrudi Wäscher, orientierte sich ab 1950 an den italienischen Vorbildern und schuf Figuren wie Akim, Tibor, Sigurd, Falk und Nick. Doch deren Erfolg hielt kaum mehr als ein Jahrzehnt an; bereits ab den frühen 60er Jahren verschwanden sie. Ähnlich wie der Walter Lehning Verlag, Hannover, der sie verlegte. Die einstigen Leser waren erwachsen geworden und legten, falls sie dem Genre treu blieben, mehr Wert auf zeichnerische Details und eine größere Nähe zur (historischen) Realität.
Um 1957 herum entdeckte ich die Romanhefte. Vor allem Billy Jenkins und Tom Prox, gelegentlich fiel meine Wahl auch auf Pete. Sie erschienen im selben Verlag, dem Uta Verlag in Bad Godesberg. Nicht nur die äußere Aufmachung der Hefte glich wie ein Ei dem anderen. Auch die Inhalte waren von der Struktur her deckungsgleich.
Eine Ausnahme bildete Billy Jenkins, der tatsächlich gelebt hatte und Parallelen zu Buffalo Bill aufwies, der Wildwest-Shows inszeniert und sich als Held der US-amerikanischen Pionierzeit ausgegeben hatte. Mit bürgerlichem Namen hieß er Erich Rudolf Otto Rosenthal, nahm aber 1933 den Familiennamen seiner Mutter Elfriede Fischer, an. Sein Vater war der Artist und Wanderschausteller Georg Rosenthal-Süßmilch. Geboren wurde er 1885 in Magdeburg. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg trat er in Varietés und im Zirkus auf, u.a. bei Sarrasani. Unter dem Künstlernamen Billy Jenkins war in den 1920er und 1930er Jahren ein auch im Ausland bekannter Kunstreiter, Schütze, Lassowerfer und Greifvogeldresseur. Um sich zu schützen, trat er in die NSDAP ein; denn gemäß der NS-Rassenideologie drohte ihm als „Halbjuden“ Verfolgung und Ermordung. Jenkins Bekanntheit nutzte der Werner-Dietsch-Verlag, Leipzig, als Titel einer Wildwest-Roman-Reihe. Diese Erzählungen, geschrieben „nach Berichten des Westmannes Billy Jenkins“ (so die Verlagswerbung), sollten den Lesern durch Originalfotos des Autors suggerieren, dass der Titelheld die Abenteuer selbst erlebt habe. Das erste Heft erschien im August 1934, kurz vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde die Nummer 264 ausgeliefert. Nach dem Krieg wurde ein Teil der alten Hefte neu aufgelegt, aber auch neue verfasst. Zu den Autoren zählten bekannte Heftroman-Schriftsteller wie Gert Fritz Unger und Rolf Randall.
Auf jedem Heft prangte oben links Jenkins‘ Konterfei. Es konnte, so meine Überzeugung, folglich nicht alles nur ausgedacht sein, was von ihm erzählt wurde. In den Romanen wurde er als Chef einer kleinen Spezialeinheit der Polizei vorgestellt, war aber auch als Cowboy und Artist tätig. Etliche der Geschichten waren eindeutig im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts angesiedelt. Andere hingegen warteten mit Autos und kleinen Flugzeugen auf. Vermutlich fiel das nur analytischen Lesern wie mir auf und ich machte mir tatsächlich ernsthafte Gedanken über diese Widersprüche. Billy Jenkins‘ Pendant war Tom Prox, eine erkennbar synthetische und unhistorische Figur. Er war Captain bei den Texas-Rangers. Seine rechte Hand trug den Namen Snuffy Patterson und verhielt sich auch wie einer, der sich häufig selbst im Wege steht. Die Hefte erschienen im Uta-Verlag, Sinzig/Rhein, der später nach Bad Godesberg umzog und 1961 vom Erich Papel Verlag, Rastatt, übernehmen wurde, einem Unternehmen der Bauer-Gruppe.
Die Überschrift dieses Artikels ist einem einst populären Stegreif-Gedicht entnommen, das Peter Rühmkorf in seine Sammlung „Über das Volksvermögen“, (erschienen 1969 bei Rowohlt) als typisch für den literarischen Untergrund der 1950er und 1960er Jahre aufnahm. Es lautet vollständig:
Ein Schuss erkrachte,
Billy Jenkins erwachte.
Er trat ans Fenster
und sah Gespenster.
Er nahm sein Gewehr,
der Lauf war leer.
Er nahm sein Messer,
war auch nicht besser.
Er nahm seinen Colt -
Fortsetzung folgt.
FORTSETZUNG FOLGT WIRKLICH
Foto:
Billy Jenkins, Band Nr. 317
© Uta - Verlag