Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Diese Veranstaltung in der Evangelischen Akademie hatte mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Nachdem die humoristische Bemerkung, an einem Samstag über SONTAG zu reden, könne wirklich nur einem Denis Scheck einfallen, auf offene Ohren und lachende Gesichter stieß, löste die Mitteilung, daß Autor Benjamin Moser coronabedingt nicht habe kommen können, aber per Videoschaltung dabei sein werde, großes Bedauern aus. Das machte natürlich die Moderation für Scheck doch etwas blutleerer, aber er ist ein Alleinunterhalter, der mit so etwas spielend fertig wird.
Susan Sontag, eine Ikone der intellektuellen Streitkultur, ein politisch-essayistischer Kopf und eine rasante Frau dazu, kommt einem heute schon wie ihr eigenes Denkmal vor. Daß ein früher Tod auch gnädig sei, finden wir zwar Mumpitz und immer nur für die anderen, nicht für uns selber dahergesagt. Aber die Vorstellung, sie hätte in den letzten Jahren den Niedergang der USA unter Trump miterlebt, tut schon weh und läßt einen ratlos, wie sie darauf reagiert hätte, wo doch das intellektuelle Florett gegenüber einem solchen gepanzerten Fettwanst nichts ausrichtet.
Aber das sind unsere Gedanken. Technisch wurde nach einigem Wackeln die Verbindugn nach Utrecht hergestellt, von wo US-Autor Benjamin Moser zugeschaltet war, der dort lebt und arbeitet. Einige Zuschreibungen wurden vorneweg geliefert. Susan Sontag läßt niemanden kalt! Entweder haßte man sie oder liebt sie, da geht es ihr wie Norman Mailer, der auch die Leser und Intellektuellen spaltete. Es fing im Präsens an. Aber dieses kann man nicht durchhalten, wenn der Tod schon vor so vielen Jahren eintrat . Eine Tote liebt man nicht mehr so wie eine Lebende und eine Tote hassen ihre Gegner auch nicht mehr so wie die, für diese Leute aufreizende Susann Sontag.
Doch, Mailer kann man gleich vergessen, heißt es, Susan Sonntag ist heute viel wichtiger, deren Besonderheit war, daß sie außerhalb der USA nie so umstritten war wie dort. Für Europas Intellektuelle war sie eine wichtige, wenngleich keine Führungsfigur, so doch eine der Orientierung! Doch, es habe Spaß gemacht, erwiderte Moser, über jemanden, der so umstritten war, zu forschen, wobei er auf Texte oder auch Bilder stieß, die niemand weiter kannte.
Da muß man doch erst etwas zu diesem, auch in Umfang und Schwere gewichtigen Band sagen, der durch die attraktive Schwarzhaarige in schwarzer Kluft als Titel in Weiß-Schwarz ein ästhetischer Hammer ist. Einfach ein sehr schön gestaltetes Buch – oder sollte man vom schwarz-weißen Ziegelstein reden. Über 900 Seiten mit Anmerkungen und Anhang, aber auch über 800 Seiten reiner Text, der in vier Teile und insgesamt 43 Kapitel und einem Epilog gegliedert ist. Und Bilder enthält. Und wie immer, schauen wir diese zuerst an. Wollten wir. Doch dann bleiben wir gleich in den ersten Seiten hängen, wo Moser sehr ansprechend von der Mutter, ja sogar erst von den aus dem russisch besetzten Polen eingewanderten Großeltern berichtet, dann also von der schönen, durchaus exaltierten und Standesunterschiede auch in der Familie – ähnlich dem Sie im Französischen, in dem Kinder ihre Eltern anzusprechen haben – betonenden Mildred, der Mutter von Susan, der die Tochter so ähnlich sah, heißt es da. Schön erzählt und informativ dazu.
Und dann suchen wir doch nach Bildern, finden aber wenige. Auf Seite 180, diese ordentliche junge Frau, mit dem kinnlangen Haar und dem Seidentuch um den Hals sehr sehr hochgeschlossen! Sie hat als Typ auf einmal Ähnlichkeit mit Ingeborg Bachmann, aber das ist Zeitkolorit, so brav sahen Frauen damals aus. Erst vor dem 16. Kapitel auf Seite 289 sind in Schwarzweiß Fotos eingefügt, die sowohl die Familie zeigen wie auch ihre Idole: Thomas Mann und Marie Curie. Letztere blieb es, von Thomas Mann war sie, als sie 16jährig von ihm eingeladen wurde, enttäuscht. Schon früh bekommt man mit – es ist ja eine Biografie – , daß schon das Mädchen Susan ihren Vater fast nur von Fotos kannte, denn er verstarb plötzlich mit 33 Jahren in China an Tuberkulose. Ein Schock für‘s Leben, den ihr Stiefvater Sontag nicht wiedergutmachen konnte.
Ich kannte bisher nur die messerschafte, wirklich tolle Publizistin Sontag , auch ihre Romane, die mir nicht gefielen, und ihre durchaus aufregende Existenz der späteren Jahre, kannte aber nicht ihre Frühzeit. So erfährt man schon aus den Bildern und glaubt es kaum, daß sich die Siebzehnjährige mit einem uninteressant gesichtigen, viel älteren Professor nach einer Woche des Kennenlernens verlobte, ihn heiratete und mit 19 Jahren ihr erstes und einziges Kind David bekam. Vorher und nachher hatte sie, die sich für häßlich hielt, Beziehungen mit Frauen, aber auch Affären mit Männern. Daß sie nach der Geburt die Entwicklung des Kindes und ihre aufschrieb, „ein Meilenstein der Freud-Literatur‘, dies aber unter dem Namen ihres Mannes Philip Rieff veröffentlicht wurde, ist herb.
Eine weitere, jeweils kommentierte Bilderstrecke beginnt nach Seite 640. Es sind ihre Europareisen, die hier ins Bild kommen, wobei einen zuvor gewundert hatte, daß ihre Familie und damit sie – anders als andere Osteuropaeinwanderer – keinerlei familiäre Bindungen mehr nach Europa hatte - dann auch keine zum Holocaust, schließe ich daraus, soll heißen, daß aus ihrer Familie niemand deportiert, niemand ermordet wurde. Zumindestens von der ihr bekannten Familie. . Daß ihr 1975 mit 42 Jahren Brustkrebs diagnostiziert wurde, hatte ich vergessen, was aber sofort wieder erinnerlich ist, hat sie doch ihren überstandenen Krebs 1978 in KRANKHEIT ALS METAPHER ‚abgearbeitet‘. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie uns jungen Frauen dieses Buch einzheizte. Sie war durch die Behandlung vollständig weiß geworden, aber hatte dann mit der Schwarzfärbung und der breiten weißen Strähne ihr Bild von sich selbst gefunden.Hier auf diesem Foto ist sie dann weißhaarig, als sich 25 Jahre später der Krebs zurückmeldet. Und wir haben auch vergessen, daß sie zum 11. September 2001 in Berlin war, wo sie die Schreckensbilder aus ihrem New York lähmten. 2004 kam der Krebs zurück, an dem sie starb.
Das war nun anhand der Bilder ein Parforceritt, ganz unbeabsichtigt, wo wir doch den Worten von Denis Scheck und dem Biographen Moser lauschen. Da geht es nämlich darum, was einem Susan Sonntag heute, 16 Jahre nach ihrem Tod, noch zu sagen habe. Moser antwortet, daß dies ein umgekehrter Prozeß gewesen sei. Als er anfing mit der Recherche, war Susan Sontag leicht vergessen. Aber, als er schrieb, wurde sie durch viele Wiederauflagen ihrer Artikel im Internet wiederbelebt, die alle in den Trump-Jahren die Frage aufwarfen: „Was ist schiefgelaufen an Amerika?“
Da liegt natürlich die Frage auf der Hand, wie hätte Sontag auf Trump reagiert? Er wisse es nicht, antwortet Moser, aber die Fragen, die Trump aufwirft, sind dieselben, die angesichts des Schweigens über Vietnam und den Irak, den Mißbrauch der Toten und ihrer Bilder von ihr angeprangert wurden. Moser sagt sogar, Trump sei nichts Neues, seine Vulgarität sei US-amerikanischer Alltag, nur habe es noch nie einen solcher Popanz zum Präsidenten geschafft.
Ein Schwerpunkt wurde dann in der knappen Stunde eine psychoanalytische Durchleuchtung von Susan Sontag. Der schon erwähnte frühe Tod des Vaters, die schwierige, der Empathie wenig fähige Mutter... sie habe im Wechselstrom der Gefühle je zwei Gesichter gezeigt, eine gute und eine böse Susan. Sie habe sich ihr ganzes Leben lang nach mütterlicher Wärme gesehnt. Das sei der rote Faden in ihrem Leben!
Aber auch, wie sie vom Landei zu der geworden war, die mit Jack Kennedy am Tisch des Edelrestaurant gesessen habe, wird aufgeworfen. Interessant, hier die Unterschiede zu Europa noch einmal herausstellen zu können. Für uns ist Susan Sontag ein intellektueller Kopf, eine intellektuelle Berühmtheit, aber für die USA war sie einfach eine Frau mit Glamour, und dies in jeder Hinsicht.
Daß wir über ihre Filme weniger wissen, gehört hier ins Bild, paßt zur unterschiedlichen Wahrnehmung ihrer Person. Genauso, daß sie nicht mit Sinnlichkeit aufwuchs, sondern dies im Erwachsenenleben als Gegengewicht zum intellektuellen Dasein geradezu instrumentalisierte.
Der Biograf hat für seine Biografie den Pulitzerpreis 2020 erhalten, mit der Begründung der Jury: „Ein richtungsweisendes Werk, erzählt mit Pathos und Anmut, das das Genie und die Menschlichkeit der Schriftstellerin mit all ihren Abhängigkeiten, sexuellen Ambiguitäten und volatilen Leidenschaften einfängt.“ Schöner können in dieser Kürze weder Denis Scheck, noch Benjamin Moser noch ich etwas sagen.
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