NACHTRAG: OPEN BOOKS . Das städtische Lesefest zur Frankfurter Buchmesse 13. - 17. Oktober, Teil 16 am 17.10.
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – So hieß vollmundig die Veranstaltung. Kenner aber wissen, daß der Schweizer Buchpreis vor der Endauswahl aus fünf Büchern besteht, die anders als in Deutschland nicht reine Romane sein müssen, sondern auch Kurzgeschichten oder Essays beinhalten dürfen. Und ehe der neue Jahrgang kommt, müssen wir wirklich das alte Jahr abarbeiten, wie geschehen, denn dies ist der letzte Beitrag.
Wir fanden das Spitze , daß die Schweizer kamenund hatten uns gleich angemeldet und nachgefragt, wo denn die Österreicher blieben. Denn die haben ja auch schon länger einen eigenen Buchpreis, wobei wir jetzt aussparen, worin sich die Preise unterscheiden, sondern nur betonen, daß der Deutsche Buchpreis derjenige ist, der die personelle Vielfalt am stärksten ausdrückt, denn da muß jemand im laufenden Jahr nur eine Erstveröffentlichung auf Deutsch herausgebracht haben – egal wo, egal welcher Nationalität, welcher Verlag in welchem Land. Gut so.
Bei den Schweizern, über deren Buchpreis WELTEXPRESSO genauso regelmäßig berichtet wie über den Deutschen und Österreichischen, gab es auch im Jahr 2020 fünf Auserwählte: Das waren mit Anna Stern („das alles hier, jetzt.“)und Dorothee Elmiger ((„Aus der Zuckerfabrik“) zwei weibliche und mit Tom Kummer („Von schlechten Eltern“), Charles Lewinsky („Der Halbbart“) und Karl Rühmann („Der Held“) drei männliche Autoren. Übrigens hat den 13. Schweizer Buchpreis dann durchaus überraschend Anna Stern gewonnen, die aber nicht in den ehrwürdigen Römerhallen dabei war, auch nicht avisiert war. Dorothee Elmiger war gerade erst in Frankfurt gewesen, weil sie zu den letzten Sechs des Deutschen Buchpreises gehörte und im Frankfurter Literaturhaus an dieser Mammutveranstaltung teilgenommen hatte. Den HALBBART vom Altmeister Charles Lewinsky, der einfach auf Teufel komm raus erzählen kann, hatten wir auch längst besprochen, aber die beiden einzigen von den Fünf, die gekommen waren, waren als Autoren wie auch mit ihren Büchern Neuland für uns.
Tom Kummer: Von schlechten Eltern, Tropen Verlag
Sie haben sich beide prima geschlagen, die Autoren, denn es wurde zunehmend sehr kalt in den Hallen und sie heizten durch die Lesung und das Gespräch mit dem Publikum ein. Ein ganz schön irres Thema. Der Erzähler Tom – so heißt doch auch der Autor und tatsächlich verarbeitet er auch Persönliches, dies aber ohne Larmoyanz oder Aufdringlichkeit – hat in den Vereinigten Staaten lebend, seine Frau Nina verloren und geht mit einem der Söhne zurück nach Europa, in die Schweiz, wo er – für einen Vater angemessen – als VIP-Fahrer nächtliche Autofahrten durch sein Heimatland, dessen Berge und Landschaft er liebt. Das nächtliche Dahingleiten in dem schönen, starken Wagen ist wie eine Meditation für ihn, allerdings unterhält er sich auch mit den Gästen, wenn sie ihm interessant erscheinen und Interesse an ihm zeigen.
Da schluckt man schon erst einmal, wenn man erfährt, daß der Tod seiner Frau Nina in den USA 2016 wirklich geschah, was Kummer übrigens in dem Roman NINA & TOM schon niederschrieb, man fragt sich, wieso der Autor die Klarnamen benutzt, aber so ist die Sachlage eindeutig und Fragen nach dem eigenen Leben können entfallen. Faszinierend an den Gespräche im Auto ist die Intimität, die im geschlossenen Fahrzeug eintreten kann, wenn man über Persönliches spricht, was in dieser Umgebung sogar leichter passiert, als in einem Büro oder beim gemeinsamen Abendessen.
Bewegender als die Gespräch im Auto bleiben die, die er in sich mit seiner toten Gattin führt; sie bleibt für ihn in der Welt, er befragt sie um ihre Meinung. Wenn er morgens nach Hause kommt, schleicht er leise ans Bett seines Sohnes und weiß um dessen Weiterleben, aber auch um die Unwägbarkeiten des Schicksals.
In der Moderation wird der Roman rekapituliert, der Autor liest und wird befragt, wobei das Thema Tod und Trauer natürlich alles bestimmend sind. Über die Holpersteine im beruflichen Leben des Autors Kummer wollen wir hier nicht berichten, es geht nur um das Buch, das gut geschrieben ist.
Karl Rühmann, Der Held, rüffer & rub Sachbuchverlag
Auch dieser Autor und dieses Buch kamen beim Publikum ausgesprochen „an“! Rühmann wählt nicht die persönliche Ebene und trotzdem ist auch dies ein Buch über Trauer, über Tod, über falsches Leben und was das richtige wäre. Und vor allem über Schuld und Unschuld und ob die Schuldigen bestraft werden, die Unschuldigen nicht, oder die Unschuldigen beschwert werden und die Schuldigen davonkommen. Hier ist von allem etwas zu haben. Wir denken an die heutigen Länder des ehemaligen Jugoslawien. Auf jeden Fall tobte ein Bürgerkrieg von 1990 bis 1995 und zehn Jahre später sind zwei der ehemals Verfeindeten als Kriegsverbrecher vor dem Internationalen Tribunal in Den Haag angeklagt, wurden auch ausgeliefert und der Prozeß läuft. Das Irre – und real ja Gewesene – ist, daß sie beide einst in der selben Armee waren, dann aber im Krieg auf zwei Seiten gekämpft haben, und nun wird derjenige, ein General, der im Krieg gewonnen hat, freigesprochen, aber der Oberst der unterlegenen Partei zu massiver Freiheitsstrafe verurteilt. Ungerecht? So ist das Leben, über das sich die beiden nun in einem Briefwechsel austauschen.
So zwischendurch muß man schon etwas zum Autor sagen, denn Karl Rühmann wurde – welch Selbstverständlichkeit nach dem Gesagten – in Jugoslawien geboren, wo er aufwuchs, Germanistik u.a. studierte und Sprachlehrer und Verlagslektor wurde – und nun schon länger in Zürich lebt.
So kann man sich sein Interesse für sein Sujet besser vergegenwärtigen. Es gibt die Rahmenhandlung, die von der 43jährigen Witwe Ana bestimmt wird, die dem General, dem auch ihr Mann diente, den Haushalt führt. Beim Putzen wohl entdeckt sie diesen Briefwechsel ihres Arbeitgebers mit dem ehemaligen Gegner, der zudem verurteilt wurde.
Ana liest die Briefe und ist erschüttert. Denn sie erfährt eine Wahrheit über den Tod ihres Mannes, den sie bisher als einen ‚normalen‘ Soldatentod verstand. Nun aber erschließt sich ihr, was sich hinter diesem netten General verbirgt.
DER HELD heißt dieser Roman deshalb folgerichtig, denn Heldentum hat immer mit Tod, mit Vernichtung, mit Siegen, mit Schuld zu tun. Aber können wir, die wir im warmen Sessel so ein Buch lesen, beurteilen, was Menschen in extremen Situationen tun? Ob es richtig ist oder falsch? Entscheidend bleibt, daß man für seine Taten einsteht.
Fotos:
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