Zum Tod der radikalen, freien Dichterin und großen österreichischen Schriftstellerin
Anna von Stillmark
Wien (Weltrexpresso) - Friederike Mayröcker ist gestern gestorben – sie wurde 96 Jahre alt. An ihr konnte man den Begriff HABITAT ganz neu definieren, denn sie nahm ihr Bett als Zentrum für die vielen Zetteln, auf denen sie ihre Sprachblitze notierte, die Manuskripte, die vielen Bücher, von denen sie allein über hundert veröffentlichte, fleißig und kreativ, ihr Leben lang. Und die Kaffeetasse und die Schreibgeräte gehörten auch dazu.
Daß sie so schöpferisch blieb, als ihr Pendant Ernst Jandl 2000 starb, war wie ein Wunder. Denn in dieser dichterischen, intellektuellen Liebes- und Lebensbeziehung in zwei Wohnungen, also mit zwei Habitaten, war die Sprache, die Liebe zur Sprache und ihre Zertrümmerung gleichzeitig, das Amalgam, das beide, auch beider Leben zusammenhielt. Wie tief ihre Beziehung wirklich war, konnte man an ihrer Trauer und kurzzeitigen Sprachlosigkeit nachempfinden. Seit 1966 war sie - damals gleichzeitig mit Jandl - ein literatischer Stat. Sie schrieb TOD DURCH MUSEN und Jandl LAUT UND LUISE. Viele Bücher, viele Gedichte haben sie einander gewidmet. Und dann schrieb sie weiter, Buch und Buch, mal Prosa, meist Lyrik. Als Wunschalter hatte sie 130 Jahre angegeben.
Auch die Österreichische Nationalbibliothek trauert um Friederike Mayröcker: "Diese große Dichterin war in der österreichischen Literatur des 20. Jahrhunderts und weit darüber hinaus eine einzigartige literarische Stimme", sagt Generaldirektorin Johanna Rachinger.
"Die Welt war für Friederike Mayröcker ein Abenteuer aus Sprache, sie lebte auch buchstäblich in ihrem Schreiben", meint Bernhard Fetz, der Direktor des Literaturarchivs der ÖNB. Vor eineinhalb Jahren gelangte ein bedeutender Teil ihres literarischen Nachlasses an das Literaturarchiv der ÖNB. Es sind abertausende Zettel, Briefe, Fotos und Lebensdokumente, die bis in die 1940er Jahre zurückreichen und sich in den legendären Schreibwohnungen im 5. Wiener Bezirk befanden. Schicht für Schicht werden die Papierberge gesichtet und geordnet. Bis noch vor wenigen Monaten begleitete Friederike Mayröcker diese Arbeiten.
Die Österreichische Nationalbibliothek dankt der großen Dichterin für ihr Vertrauen und wird dazu beitragen, dass ihr unvergleichliches Lebenswerk lebendig bleibt.
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Österreichische Nationalbibliothek