Serie: Leo-Perutz-Preis für Kriminalliteratur 2021, Teil 4
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – „Ein mörderischer Literaturkrimi“ heißt‘s im Untertitel und auf dem Titel sieht man den Bücherstapel: Die Strudelhofstieg, Der Meister des Jüngsten Tages, Es ist was es ist, Schachnovelle, Der Schüler Gerber. Bis auf das letzte Buch alles Lieblingsbücher von Lieblingsautoren: Heimito von Doderer (1896-1966), Leo Perutz (1882-1957), Erich Fried (1921-1988), Stefan Zweig (1881-1942). Nur Friedrich Torberg (1908-1979) nicht. Ganz und gar nicht.
Und im Roman wird auch angesprochen, warum. Friedrich Torberg war der Schlimmste von denen, die mit aller Macht ein Aufführungsverbot der Stücke von Bert Brecht in Österreich durchsetzten. Ein Antikommunist reinsten Wassers und kein bedeutender Schriftsteller. Das vorneweg. Aber das konnte meine Freude auf diesen Krimi, der alle fünf längst gestorbenen Dichter und Schriftsteller zumindest kurzfristig am Leben läßt und sie in einer Wohngemeinschaft versammelt, nicht trüben. Eine tolle Idee, fand ich und fing gespannt an.
Gleich im Prolog ist schon einer tot. „Am 4. April um 5 Uhr 35 bewegte sich die Zeugin von der Boltzmanngasse kommend joggend die Strudlhofstiege hinab.“ Aha, da geht es bestimmt um Doderer. Das weiß man aber noch nicht, nur, daß unten ein Toter in einem Rollstuhl liegt, zerschmettert. Selbstmord, Mord, Unfall? Es geht dann los: „Ein halbes Jahr davor: 10. Oktober“. Da entscheiden nämlich, im Cafe Central sitzend, die fünf Österreicher, davon die meisten geborene Wiener, drei von ihnen ins Exil getrieben, daß sie ab jetzt ein eigenes privates Kaffeehaus aufmachen und dazu eine Wohngemeinschaft gründen, weshalb sie per Anzeige eine Hausbesorgerin suchen, eine möglichst sympathische Frau, die echten Kaffee kochen kann, als Altenpflegerin fungiert, also die täglichen Medikamente vorbereitet, kocht, putzt – und dann auch noch bezahlbar ist. Also nehmen sie mit Kußhand die Polin Ella, denn die ist bereit, sich auf so was einzulassen.
Also, ich fand diese Idee erst einmal ganz toll. Nur wurde mein Gesicht beim Lesen immer länger. Die Idee trägt nicht. Zwar ist es erst einmal amüsant, Gedanken und Aussprüche, die auftauchen, durch Kenntnis der Personen und literarische Kenntnis ihrer Werke dem jeweiligen Autor zuzuordnen, aber die Materie bleibt leblos. Der Autor gibt sich alle Mühe, eine Handlung zu konstruieren, die darin liegt, daß ab irgendwann nach dem besagten halben Jahr, also konkret ab 4. April, einer nach dem anderen tot aufgefunden wird. Wie beim ersten Toten, dem Doderer, weiß man auch bei den nächsten nicht, ob sie ermordet wurden oder Selbstmord verübten. Auf jeden Fall zeigt der zuständige Inspektor Bommer, der weder die Autoren, noch ihre Werke kennt, wenig Interesse, die Todesursachen und -umstände der zunehmend zu Tode kommenden Literaten aufzuklären.
Kurzzeitig wird es interessant, als mit dem Hausbesitzer Zihal und seiner Frau, auf deren Wohnzimmerschemel der Inspektor den Bücherstapel vom Titel findet und die sich fast täglich über den Lärm von unten – der Wohngemeinschaft – beschweren, die potentiellen Täter für Bommer gefunden sind. Doch deren Alibis halten stand. Und auch die von Perutz geäußerte Vermutung, daß die Pensionsversicherungskasse angesichts der überlangen Lebensdauer der Schriftsteller hinter den Morden stünde, hat ja was. Daß die toten Dichter zudem alle ihre Hausangestellte und Pflegerin Ella in ihren Testamenten als Universalerbin bedacht haben, macht diese verdächtig, weshalb sie verhaftet wird und einen Prozeß fürchten muß. Der Leser ahnt, daß diese nette Frau, die den Alten ihren Lebensabend erträglicher macht, nie und nimmer eine Mörderin ist.
Mehr dürfen wir aber nicht verraten, wohl aber äußern, daß die, wie wir fanden, tolle Idee, nicht aufgeht. Das Buch bleibt hölzern und unsinnig dazu. Das fängt schon mit der Auswahl der Fünf an. Warum Reinhard Gnettner sich auf diese fünf kapriziert, begründet er auf der letzten Seite. Die fünf haben alle etwas mit dem IX. Bezirk in Wien zu tun, dem Alsergrund, wo auch der Autor lebte. Ich übrigens auch, in der Reznicekgasse. Aber das ist einfach zu wenig als Gemeinsamkeit. Zu formal. Das Schicksal von Stefan Zweig und seinem Selbstmord in Brasilien 1942 machte mir seine Wiederauferstehung in Wien irgendwie unangenehm, ja peinlich. Da hilft es auch nicht, daß er im Krimi schweigsam bleibt und als Letzter stirbt. Die anderen reden viel und auf den letzten Seiten führt der Autor seine Quellen auf, die oben angesprochenen Zitate werden belegt, was interessant ist, nämlich die eigene, eher intuitive Zuordnung in der Regel bestätigt zu sehen, wie den Hausbesitzer Zihal, eine Figur im Oeuvre von Doderer – aber eben nicht immer. Zusätzlich werden Austriazismen erklärt. Alles sehr respektabel, aber eben diesen Kriminalroman nicht tragend. Was schade ist und sicher nicht am mangelnden Vermögen des Autors liegt, sondern in der Grundkonstellation der Geschichte der Wiederauferstandenen, die in eine Wohngemeinschaft ziehen. Daß mir in der Wohngemeinschaft auch Friedrich Torberg nicht paßte, ist eine persönliche Wertung, die ich aber gut begründen kann.
Foto:
Cover
Info:
Reinhard Gnettner, Nur der Tod ist unsterblich. Ein mörderischer Literaturkrimi, Carl Ueberreuter Verlag 2021
ISBN 978-3-8000-9006-8