Cover platt 200x200Serie: Der Deutsche Buchpreis  2021, Teil 4

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Hilf Himmel! So ging es mir noch nie bei Kenntnisnahme der Auswahl der zwanzig Autoren und Autorinnen, daß ich mit den Schultern zuckte und mir innerlich sagte: Na denn! Der Grund liegt darin, daß ich zum ersten Mal keinen der ausgewählten Romane schon längst gelesen hatte, sprich: Ich kenne zwar die Mehrzahl der ausgewählten Schriftsteller, aber noch keines der Bücher und noch schlimmer: nicht mal alle Autorinnen. Und daß ich Autorinnen schreibe, hat damit zu tun, daß - so weit ich das überblicke - nur bei den Frauen Autorinnen mit Migrationshintergrund dabei sind, ja, daß ohne diese die Liste eine fast reine Männerangelegenheit geblieben wäre. 

Zusammen mit der 20er Auswahl ist bekanntgeben worden, daß diese zwanzig Titel aus  230 Titeln ausgesucht wurden. So viele Romane waren noch nie eingereicht worden, bzw. von den Juroren zusätzlich angefordert worden. Wie immer ist der mögliche Zeitraum der Teilnahme zwischen dem letzte Quartal 2020 und den ersten drei 2021, also zwischen Oktober 2020 und September 2021. 

Jurysprecher Knut Cordsen, Kulturredakteur beim Bayerischen Rundfunk, äußerte sich zur Auswahl:

„Als Jury hatten wir in diesem Jahr so viele Titel zur Auswahl wie bisher nie beim Deutschen Buchpreis. Ein Viertel davon waren belletristische Debüts, ein breites Bouquet neuer literarischer Stimmen. Die Jury freut sich, mit der Longlist eine Auswahl getroffen zu haben, die das erzählerische Experiment ebenso würdigt wie den realistischen Roman, das Komische wie das Surreale. Diese 20 Bücher nehmen Herkunft und Geschichte ebenso in den Blick wie zentrale Fragen der Gegenwart.“



Zwanzigerliste Deutscher Buchpreis 2021

Die nominierten Romane (in alphabetischer Reihenfolge):


  1. •           Henning Ahrens: Mitgift (Klett-Cotta, August 2021)
  2. •           Shida Bazyar: Drei Kameradinnen (Kiepenheuer & Witsch, April 2021)
  3. •           Dietmar Dath: Gentzen oder: Betrunken aufräumen (Matthes & Seitz Berlin, August 2021)
  4. •           Franzobel: Die Eroberung Amerikas (Paul Zsolnay, Januar 2021)
  5. •           Georges-Arthur Goldschmidt: Der versperrte Weg (Wallstein, Juni 2021)
  6. •           Dana Grigorcea: Die nicht sterben (Penguin, März 2021)
  7. •           Norbert Gstrein: Der zweite Jakob (Carl Hanser, Februar 2021)
  8. •           Dilek Güngör: Vater und ich (Verbrecher, Juli 2021)
  9. •           Monika Helfer: Vati (Carl Hanser, Januar 2021)
  10. •           Felicitas Hoppe: Die Nibelungen (S. Fischer, September 2021)
  11. •           Peter Karoshi: Zu den Elefanten (Leykam, Mai 2021)
  12. •           Christian Kracht: Eurotrash (Kiepenheuer & Witsch, März 2021)
  13. •           Thomas Kunst: Zandschower Klinken (Suhrkamp, Februar 2021)
  14. •           Gert Loschütz: Besichtigung eines Unglücks (Schöffling & Co., Juli 2021)
  15. •           Yulia Marfutova: Der Himmel vor hundert Jahren (Rowohlt, März 2021)
  16. •           Sasha Marianna Salzmann: Im Menschen muss alles herrlich sein (Suhrkamp, September 2021)
  17. •           Mithu Sanyal: Identitti (Carl Hanser, Februar 2021)
  18. •           Ferdinand Schmalz: Mein Lieblingstier heißt Winter (S. Fischer, Juli 2021)
  19. •           Antje Rávik Strubel: Blaue Frau (S. Fischer, August 2021)
  20. •           Heinz Strunk: Es ist immer so schön mit dir (Rowohlt, Juli 2021)



Kommentar: 

Cover platt 200x200Die zwanzig Titel  haben elf Autoren und neun Autorinnen. Was auffällig ist, wie oben schon angedeutet, ist, daß allein bei den Frauen diejenigen, deren Eltern aus dem Ausland nach Deutschland kamen, aber hier geboren sind, wie auch diejenigen, die selbst noch in Rußland oder anderswo zur Welt kamen, insgesamt sechs Autorinnen, einzig Migranten repräsentieren, wobei natürlich das literarische Sujet, also der ausgewählte Roman, nichts damit zu tun haben muß. Aber es ist schon interessant, daß den sechs Autorinnen bei den Männern kein einziges Gegenstück gegenübersteht. Ob dies auch den Buchproduktionen entspricht, müßte an anderer Stelle untersucht werden. 

Wenn man bisher keinen der Romane gelesen hat, kann man auch nichts über diese sagen. Aber man kann einmal auf die Verfasser und Verfasserinnen eingehen und man kann fragen: wer fehlt eigentlich? Wer die Feuilletons verfolgt, wird einige vermissen, über deren Romane dort vielfach und auch zustimmend geschrieben wurde. Es fehlt ganz sicher Eva Menasse mit DUNKELBLUM, aber auch andere, die wir noch heraussuchen werden. Und daß derjenige, der in den Feuilletons, allerdings schon vor Monaten, für Furor sorgte; Christian Kracht mit EUROTRASH, ausgewählt wurde, erstaunt, weil sein Buch eigentlich schon 'durch', eigentlich schon 'gegessen' war. Auffällig auf jeden Fall, es kommt einem wie ein Generationenwechsel oder ein Systemwechsel vor, wieviele neue Namen auf der Liste stehen, wobei wir dabei auch an die oben erwähnten sechs Autorinnen denken.


Es gibt verschiedene Einstiege, die Liste zu kommentieren. Der Auffälligste ist neben dem Frau-Mann-Schema die Frage nach den Verlagen. In der Regel sind Suhrkamp, Hanser u.a. immer dabei. Oft hatte Suhrkamp die meisten Nennungen. Diesmal führt der Hanser Verlag, bzw. die Hanser Verlage das Feld mit vier Nennungen an:
Franzobel: Die Eroberung Amerikas, Norbert Gstrein: Der zweite Jakob, Monika Helfer: Vati, Mithu Sanyal: Identitti.
Die Fischerverlage haben mit drei Nennungen ebenfalls einen großen Erfolg. Aber auch Suhrkamp ist mit zwei Autoren dabei, wie auch Rowohlt und Kiepenheuer&Witsch. Unter den sieben Verlagen, die für je einen Titel stehen, ist mit dem Leykam Verlag ein Verlag, der für die bundesdeutsche Diskussion neu ist. In ihm erscheint mit ZU DEN ELEFANTEN von Peter Karoshi, dessen zweiter Roman. Der in Wien lebende Autor ist auch Historiker und vielleicht ist er ein gutes Beispiel dafür, daß sich neben herkömmliche Autoren ganz neue nach vorne schieben. 

Andererseits sind über zehn Autorinnen und Autoren 'alte Bekannte' und seit Jahren immer wieder für den Buchpreis ausgewählt worden. Auf Anhieb kann ich keinen Favoriten nennen. Auffällig vielleicht noch, daß wieder viele Österreicher dabei sind, wenige Schweizer, aber vor allem kein Schweizer Verlag und gerade mal zwei österreichische Verlage. So viele rein deutsche Verlage gab es noch nie. Daß Jung und Jung aus Salzburg nicht dabei sind, ist ein Kulturbruch!

Bleibt noch, über das oben genannte Auswahlkriterium der Jury zu reflektieren. Eigentlich langte es, die für die Juroren lesenswertesten Romane auszuwählen, denn in der Literatur gibt es keine 'objektiven' Kriterien, so wie 2+2= 4 ist, was zudem auch nur eine Setzung ist. Aber der Jury-Vorsitzende spricht von der Bandbreite, die man ausgewählt habe: "die das erzählerische Experiment ebenso würdigt wie den realistischen Roman, das Komische wie das Surreale."
Das kann man allerdings nur an den Romanen überprüfen, die in der Redaktion nun gelesen und rezensiert werden, bis am 21. Sepember diejenigen von der Jury bekannt gegeben werden, die als letzte Sechs dann den Buchpreis unter sich ausmachen, der wie immer am Vorabend der Buchmesse im Kaisersaal des Frankfurter Römer dem Gewinner, dem Deutschen Buchpreisträger oder der Deutschen Buchpreisträgerin, überreicht werden wird. 

Foto:
©deutscher-buchpreis.de

Info:
https://www.deutscher-buchpreis.de/2021
Blogger*innen-Rezensionen unter www.deutscher-buchpreis-blog.de

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