dabaSerie: Der Deutsche Buchpreis  2021, hier die Auswahl der Zwanzig, Teil 5

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Alle zwanzig Romane hatte unsere Redaktion bei den Verlagen innerhalb einer Stunde als Rezensionsexemplare angefordert und DIE NICHT STERBEN kam umgehend als erstes an. Ein Lob für den Penguin Verlag. Und es paßte mir gut, gleich mit einer jungen Malerin zu beginnen, die aus Bukarest stammt, in Paris Kunst studiert hatte und beim Zurückkommen direkt zu ihrer geliebten Tante in deren bourgeoise Ferienvilla in der Kleinstadt B. In Transsilvanien fährt und mit ihr und den wechselnden Gästen den Sommer verbringen will.

Transsilvanien, da war doch was, ach ja, Siebenbürgen hieß es auch ein mal. Natürlich liegt das in unser aller kulturellem Gedächtnis GRAF DRACULA mit seinem gotischen Schloß Bran und seinem Blutdurst, eigentlich eine historische Figur, aber spätestens seit dem Roman des irischen Schriftstellers Bram Stoker Ende des 19. Jahrhunderts zum Vampir geworden, den eine Reihe von Filmen noch populärer machten: NOSFERATU von Friedrich Wilhelm Murnau 1922 über Polanskis TANZ DER VAMPIRE 1967 und Coppolas Verfilmung des originalen DRACULA 1992 bis zur heutigen massenhaften Film- und Buchproduktion von menschlichen Blutsaugern, vor allem für Jugendliche, die derart in Millionenhöhe sinnfreien Blödsinn verbreiten, daß Schweigen das Beste ist.

Aber Graf Dracula, das ist beste europäische Tradition. Und richtig, schon auf der Umschlagseite kommt ein langes Dracula-Zitat von Bram Stoker und ab dem Romanbeginn werden wir als Leser einbezogen, sozusagen Komplizen der Ich-Erzählerin, besagter Malerin, die erst einmal die Kleinstadt B. Beschreibt, eher ein Dorf in der Walachei – wie lange habe ich diesen Ausdruck nicht gehört und fühle mich sofort mit dem Roman wohl. Die sommerliche Erholung in der hochherrschaftlichen Villa, die über die Diktatur gerettet wurde und stilecht mit Kronleuchtern, Perserteppichen und einem Ibach-Flügel (wichtig, weil ich ein Ibach-Klavier habe), ausstaffiert ist, verläuft in den Bahnen, die man vom alten Geld und dem neuen erwartet: Essen, Trinken, Nichtstun.

Da es hier um altes Geld geht, ist alles ein bißchen abgewirtschaftet, zudem fällt öfter der Strom aus, bei Kerzenlicht geht es weiter, aber da sind wir schon mitten im Geschehen, denn beim Ankommen wird erst die ganze Villa ausgeräumt, ‚leer geräumt vom unsäglichen Kommunistenkitsch“, wie die Besitzerin, Großtante Margot, genannt Mamargot, anordnet und sodann „im Jubel der Freunde ging Margot mit einem Suppenlöffel herum, in dem Weihrauch schwelend brannte, damit die Geister der Basse-Classerie ausgeräuchert und zumindest für die Dauer unserer Ferien vertrieben würden.“ Aha, Teufelsaustreibungen. Sehr symbolisch. Dekadent oder lächerlich auch.

So wird lange das Innere der Villa und auch das Leben der Bewohner beschrieben. „Sie werden in allem, was ich Ihnen erzähle, böse Anzeichen sehen, Ankündigungen für das, was folgte.“ Da stutzt man, weil man genau das auf den letzten Seiten immer wieder gedacht hatte und sich zwar gerne erst einmal zur Komplizin einer Ich-Erzählerin machen läßt, aber nicht leiden mag, daß sie diese so offen konstruierte Situation dann auch noch als Erzählbegründung nutzt. Das ist zu vordergründig, nicht mehr angenehm. Und so geht es weiter. Es wird geraunt, davon gesprochen, was den Leser noch erwartet. Dazwischen wird weiter von den Gesprächen in der Villa und den Spaziergängen in der Gegend erzählt, die junge Malerin denkt an früher und wie es hier war, wo sie in Kindheit und Jugend die Ferien verbrachte, der erste Freund, alles kommt in Erinnerung. Wirkt heute aber anders.

Ein anderer Erzählstrang erläutert die Charaktere der Gäste, ihre Verhaltensweisen und ob die Ich-Erzählerin sie leiden kann oder nicht. Eine Kopie des berühmten Bildnis des Fürsten Vlad des Pfählers, „den Sie als als Dracula kennen“, nutzt sie zu einem geschichtlichen Exkurs über mehrere Seiten, was immer spannend ist, aber nicht so unbekannt, wie die Erzählerin andeutet, „meinen Vorfahren Vlad den Pfähler, dessen Blut in meinen Adern fließt“. Aha, das ist nun neu. Und das geht seinen vielseitigen Gang. Erst historisch, Dann aber muß ja Blut fließen. Gemach. Noch ist es nicht soweit.Dazu muß erst auf Seite 83 Madame Didinas sterben, wo bei deren Beerdigungsmesse der jungen Frau viele farbliche Varianten von Blau im Kirchenrund auffallen. Paßt, sie ist ja Malerin.

Die Tote hat in Höhe der gefalteten Hände „eine Ikone mit Mariä Himmelfahrt. Wie auch der Pope bemerkte, hatten wir Madame Didina just die gleiche Ikone gegeben, die auch die Weihnachtsikone der Kirche war und über dem Eingang aufgemalt worden war. ‚Die gleiche Ikone‘, sagte Margot mehrfach in unserem Geleit, ‚es ist die gleiche Ikone.‘

‚Es ist auch meine Lieblingsikone', sage ich ihr, und sie drückte mir die Hand zum Dank.

Es ist meine Lieblingsikone von der Gottesmutter, die ausgestreckt vor den weinenden Aposteln liegt, während, unbemerkt von allen, der Sohn herangetreten ist und ihre Seele, als Kind in weißen Tüchern, feierlich in den Arm nimmt.“

Erst fiel mir auf, wie seltsam das ist, daß diese Ikone nicht mit ihrem Namen KOIMESIS benannt wird und daß hier nicht weitererzählt wird, denn es folgt ja die Himmelfahrt, wenn Christus das bandagierte Kind nach oben streckt...Und dann kam der Schock. Was erzählt die Autorin hier für falsche Sachen, die sie noch dazu einer jungen Malerin, die Kunst studiert hat, in die Schuhe schiebt. Die KOIMESIS die Weihnachtsikone? Was für ein Blödsinn. Die Weihnachtsikone ist die Geburt Christi und hängt mitnichten an der Westwand von Ostkirchen.

Dort allerdings hing traditionell die KOIMESIS, da Maria seit dem Beschluß des Konzils von Ephesus 431 als Gottesgebärerin (theotókos) höchste Würden besaß, was mit dem Fest „Mariä Aufnahme in den Himmel“ am 15. August seit damals in Ost und West gefeiert wird. (Sehr interessant die Passage darüber in Graham Greenes „Vom Paradox des Christentums“).

Jeder kann Fehler machen, aber einer jungen rumänischen Malerin, die mit Ikonen groß geworden ist, dann auch noch Kunst studiert, eine derartige Unbildung zuzuschreiben, ist eine Gemeinheit! Wie soll man der Frau auch nur noch ein Wort glauben? Und zunehmend fällt auf, daß hier gar kein Fleisch und Blut erzählt, kein lebendiger Mensch, sondern eine Abziehpuppe, weshalb ihre Verwandtschaft mit Vlad und zunehmende Dracularisierung noch unglaubwürdiger wird. Die Autorin hat ihrer Ich-Erzählerin einfach nicht ausreichend Lebendigkeit gegeben, als daß ihr Blutdurst von Interesse wäre.

Dabei beginnt jetzt mit der Beerdigung doch erst die eigentliche Geschichte, als man im vorgesehenen Grab schon einen gepfählten Toten vorfindet...und jetzt setzt sich eine moderne Geschichte von Untoten und dann doch Toten in Gang, die sehr kompliziert zu beschreiben ist und in 24 Kapiteln bis Seite 260 dauert.

Foto:
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Info:
Dana Grigorcea, Die nicht sterben, Penguin, März 2021
ISBN 978 3 328 60153 1

Dankbar bin ich für das Lesebändchen!