Serie: Der Deutsche Buchpreis 2021, hier die Auswahl der Zwanzig, Teil 7
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Trostlos. An was soll man sich noch halten? Menschliche Beziehungen, für die menschlich schon mal ein unzutreffendes Attribut ist, die unmenschlich zu bezeichnen auch nicht richtiger wird, weil sie mit Mensch nichts zu tun haben, Beziehungen zwischen Männern und Frauen, die hier dazu dienen, sich gegenseitig fertig zu machen, gleichzeitig sich nicht lösen zu können, also zwischen Skylla und Charybdis zu schippern in der Hoffnung, dann doch bald unterzugehen.
Ach, wenn mich die Leute doch mehr interessieren täten. Heinz Strunk strengt sich bestimmt an und ich finde den ganzen Roman auch richtig gut geschrieben – nur, nur, nur: die Personen erwecken in mir weder Anteilnahme, noch ein Wissenwollen, warum sie sich ständig so beschissen finden, wo sie doch eigentlich andere ganz schön bescheißen. Ich kenne solche Leute nicht, soll ich über sie darum im Roman lesen? Leute, die ohne richtig zu arbeiten – wenigstens kommt das kaum vor – dann doch immer so viel Geld haben, daß sie Nächte – nicht eine, nein, gewohnheitsmäßig, also viele - durchsaufen und sich die folgenden Tage von den schlimmen Nächten erholen können. Aber das ist ein Nebenkriegsschauplatz. Der eigentliche Krieg findet zwischen Männern und Frauen, auch Frauen und Frauen und dann auch noch Männern gegen Männer statt. Wie gut, denkt man, daß Kinder nicht vorkommen!
Wie gesagt, wenn mich der Mann, um den sich hier alles dreht, doch interessieren täte, vielleicht würde ich dann ja mitleiden, denn er leidet ununterbrochen. Er ist kein Icherzähler, aber es ist seine Geschichte, seine Perspektive, aus der heraus über rund ein Jahr uns der Erzähler berichtet. Erst leidet der Mittvierziger an der gleichaltrigen Freundin Julia, dicker und unattraktiv geworden, wie er findet, dann leidet er an der strahlend schönen und jungen Vanessa, die Schauspielerin werden will und sich als Hostess bei Messen durchschlägt. Das muß in Hamburg sein, das liest man heraus, aber auch, daß sie aus Hannover kommt und so sieht ihre Familie auch aus! Doch das kommt erst am Schluß.
Erst einmal muß X – oder wird irgendwo sein Name genannt, dessen Psyche und Alkoholismus wir stattdessen aber genau kennenlernen – sich abnabeln von der Gewohnheit, daß Julia um ihn ist, was ihm lange behagte, jetzt aber auf die Nerven geht, und zwar massiv, dem wir nicht entgehen können, weil der Erzähler uns ständig dessen Gefühle, seine Empfindungen, seine Gedanken, seine Assoziationen weitersagt. Man kann dem überhaupt nicht entgehen, denn er kommentiert alles, er, der Mann und er, der Erzähler. Ein Kommentierungsstrom, dem man einfach nicht entkommen kann, so lange man das Buch aufgeschlagen hat und liest, also nur beenden kann durch Durchzuschlagen. Dann kann man aber keine Rezension verfassen, außerdem, wie gesagt, Heinz Strunk „schreibt immer so schön“, daran liegt es nicht.
Wie das so ist, trennt man sich leichter, wenn die nächste Flamme schon bereit steht. Julia wird also entsorgt. Auf schäbige Art. Das passiert sicherlich häufig, häufig...Weniger häufig kommt es vor, daß so ein recht schlaffer Mitvierziger von einer jungen schönen Frau nicht nur beachtet, sondern durch deren Aufmerksamkeit aus der Masse der Männer herausgehoben wird, sich zumindest so fühlt. Ach, auch hier paßt wieder die Kleinbürgerweisheit: „Nicht so hoch hinaus, es geht übel aus.“
Hätte dieser ehemalige Musiker, der jetzt dubios allein ein Ton-Studio betreibt, sich nicht denken können, daß die junge und selten schöne, aber auch selten dünne Frau – sie ist zudem die Tochter seines Lichttechnikers damals aus Bandzeiten, der nach Wien gegangen, dort gut zurecht kommt – massive Probleme haben muß, sich mit so einem Typen wie ihm zusammenzutun. Zwar wird er immer wieder als gutaussehend bezeichnet, aber wir kennen ja seine Bewußtseinsströme und damit nicht nur, wie er sich fühlt, sondern auch, wie er seine Wirkung auf andere reflektiert, ja bewertet, was nicht zu seinen Gunsten ausgeht.
Er und Julia hatten gemeinsame Freunde, von denen sich erst später herausstellt, daß es in deren Beziehung nicht besser, sondern noch schlimmer, nämlich richtig gewalttätig zugeht, überall nur Schrott. Längst ist er dann doch mit Vanessa zusammengekommen, aber alles ist Krampf. Sie ist ein Psychowrack, er ja nur ein Wrack. So läppert sich das Leben, das gemeinsame, das einsame, dahin. Und als sie dessen sicher ist, sicher zu sein scheint, daß sie an seiner Seite leben will, da wird – was dem Leser schon lange klar ist – ihr und erst recht dem Mister X klar, daß alles auf eine Katastrophe zusteuert, die auch eintritt und der sie sich durch Flucht entzieht. Vanessa ist einfach weg. Der Leser atmet auf. Aber die Chose geht weiter. Die zuvor magersüchtige Vanessa kommt, um 5-6 kg schwerer, also psychisch und physisch angeblich gesund – mit den Kilos hat‘s der Erzähler, als unser Mittvierziger die um 4-5 kg leichtere Julia in Vanessas Abwesenheit wiedersieht, findet er sie äußerst attraktiv und beide schlafen miteinander und auch er fühlt sich nach dem Abnehmen von über 5 kg wie neugeboren – Vanessa kommt also aus Wien, wo sie sich bei ihrem Vater versteckt hatte – zurück, erst geht es gut, doch dann...
Hier ist der Roman zu Ende und wir befürchten, daß es eine Fortsetzung gibt, denn daß dieser Typ die Trennung von Vanessa wirklich durchhält, darf man bezweifeln, wissen wir doch längst und er sowie der Erzähler immer noch nicht, daß es seine Unreife, seine mangelnde Ich-Stabilität, seine Unsicherheit, seine mangelnde Vitalität ist, die seine Probleme ausmachen, die er anderen, hier, wie gerne geübt, den Frauen unterschiebt.
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Info:
Heinz Strunk, Es ist immer so schön mit dir , Rowohlt, Juli 2021
ISBN 978 3 498 00198 8
Dankbar bin ich für das Lesebändchen!