Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Diese Nivedita ist auf Twitter und ihrem Blog im Internet mit ihrem Kampfnamen IDENTITII unterwegs, wo sie unverhohlen eine differenzierte und differenzierende Identitätspolitik sowie die Durchsetzung feministischer Positionen fordert. Das ist das eine und die weite Welt. Das andere ist ihr Zuhause in Düsseldorf-Oberbilk, klein und fein und überschaubar auch. In dieser Spannung zwischen regional und international, zwischen behäbig und aufgeregt, zwischen Mann und Frau und den Schattierungen dazwischen, zwischen Wissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität im Masterstudiengang Intercultural Studies/Postkoloniale Theorie und eben in der Spannung zwischen der in ihre Professorin verliebten, eifrigen Studentin und der Nivedita, die ininnerer Zwiesprache mit Göttin Kali zu ganz anderen Einsichten gelangt.
Eine Schelmin, nein, nicht Nivedita, die ist eher die nach außen durcheinandere, nach innen ganz schön durchtriebene junge Frau, die sich und andere ausprobiert, erotisch auch, eine Schelmin ist aber auf jeden Fall die Autorin. Denn sie führt in die, nach der Entlarvung der angeblich schwarzen Professorin als eine urdeutsche weiße Frau, eigentlich Sarah Vera Thielmann aus einer Karlsruher Zahnarztfamilie auftretenden öffentlichen und privaten Turbulenzen, eine komödiantische Variante ein, die ehrlich gesagt, auch dringend nötig ist und das Buch lesenswert macht. Der Leser, die Leserin weiß eben nicht immer genau, was los ist, wem er/sie glauben darf und wem auf keinen Fall.
Hier bringen Scherz, Satire und Ironie auch tiefere Bedeutung!, um mal mit Grabbe zu sprechen. Die tiefere Bedeutung ist das Gefühl solcher Deutschen mit teils ausländischen Wurzeln, nicht wirklich zu den Deutschen zu gehören, andererseits aber auch nicht richtig zu Herkunftsländern. Das ist nicht neu und wird hier aufgeladen mit Fragen der sexuellen Identität, die derzeit, nein, nicht in aller Munde, aber in den Feuilletons fröhlich Urständ feiern. Wir wollen hier nicht auf das Pendel verweisen, das solche Entdifferenzierungen und auch Entsolidarisierungen in die andere Richtung: nämlich das Herausstellen von Gemeinsamkeiten nötig macht, sondern auf einen ganz anderen Punkt, der im Roman keine Rolle spielt, auch nicht spielen muß. Aber in unserem Bewußtsein schon. Es hat immer Menschen in Deutschland gegeben, die sich nicht als zugehörig gefühlt haben, obwohl sie hier geboren und aufgewachsen sind und zwei Deutsche als Eltern haben. Der Grund dafür liegt in dem, was soziale Frage genannt wird. Wer als Kind nicht über eigenes Geld verfügt, keine angesagten Klamotten und Turnschuhe sowie Handys oder Spiele oder oder hatte, ist in eine reiche Gesellschaft hineingewachsen, die nie die seine wurde, in der er nie dazugehörte. Er konnte sich auch nicht durch kulturelle Aktivitäten in seinem Land heimischer fühlen, weil er weder durch zu Hause an Bücher, Musik, Kunst gewöhnt wurde, weil es sie einfach nicht gab, und auch in der Schule diese Defizite nicht aufholen konnte, weil Schule zwar Kulturtechniken, aber nicht Kultur vermittelt. Schluß, denn das gehört nicht in die Buchbesprechung, gehört aber zur hysterischen Debatte um Identitätsfragen, die sich jemand auch erst einmal finanziell leisten können muß.
Den Shitstorm, den die weiße Hautfarbe von Saraswati auslöst, den kennt man und immer wieder fallen alle von neuem darauf herein, wenn eine neue Sau durchs Dorf gejagt wird. Politisch wach sollte man bei den richtigen Skandalen reagieren. Doch, doch, so eine anmaßung wie die der Professorin gehört dazu. Aber die spielt das Spiel nicht mit, ist weder reumütig, noch entschuldigt sie sich, sondern trumpft auf, daß auf diese Weise eine noch stärkere öffentliche Aufmerksamkeit für ihr Fach und ihr Anliegen eingetreten sei.
Der Roman steht auf Internetbeinen, soll sagen, daß das Netz mit seiner Schnelligkeit, Brutalität, mit Haß und Internationalität die Handlung mitschreibt und kann auf einige echte Geschehen anderswo zurückgreifen.
Wichtig für Nivedita, für den Roman dann zunehmend weniger, ist ihre Cousine Priti aus Birmingham, die selbstbewußter auch Nivedita zu mehr innerer Kraft rät. Auch das kommt ins Schwimmen, wer gerade deutsch und englisch – es wird viel sehr Englisch geredet – parliert, und wo man ist, in England oder Düsseldorf. Das wäre nicht schlimm, wenn einem nicht auf einmal dämmert, wie wir seit vielen Jahren eigentlich bewußtlos, also ohne das weiter zu registrieren, zu analysieren und zu kommentieren, alles mitmachen: alles übernehmen, was an Diskussionen in den USA aufkommt und nach Rezeption hierzulande, uns diese Diskussionen überstülpen, auf daß sie zu unseren eigenen werden.
Wenn es schon um Identitätsfragen geht, dann sollte doch dringend der Prozeß eine Rolle spielen, daß wir längst alle zu Amerikanern geworden sind, ob wir wollen oder nicht.
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©swr.de
Info:
Mithu Sanyal, Identitti, Carl Hanser Verlag 2021
ISBN 978 3 446 26921 7
Mithu Sanyal, Identitti, Carl Hanser Verlag 2021
ISBN 978 3 446 26921 7