Serie: Der Deutsche Buchpreis 2021, hier die Auswahl der Zwanzig, Teil 22
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Nach dem Lesen dieses schrägen Romans wollen Sie nie wieder Rehragout essen, falls sie überhaupt Fleisch essen, und dieser Roman könnte genau den Kick geben, falls Sie in der Überlegungsphase sind, Vegetarier zu werden. Und noch was. Das Rehragout hat es wohl in sich, denn die Erfolgsschriftstellerin Rita Falk, die sicher nie beim Deutschen Buchpreis landen wird, hat gerade ihren elften Eberhoferkrimi vorgelegt: Rehragout-Rendezvous. Und Schmalz hat auch einen Krimi geschrieben. Eigentlich.
So grob gesagt, sind Falk und Schmalz die größten literarischen Gegensätze, was sich allerdings nur auf die Form, auf die Sprache bezieht, denn die österreichischen Helden und zwei Heldinnen spielen durchaus in ihrer Schrägheit und Skurrilität in der gleichen Ballart: Fußball, allerdings so, daß die Bayern in der Amateurliga kicken und die Wiener in der Bundesliga spielen.
Kurzfassung der Handlung. So was aber auch: Da sagt Franz Schlicht, tatsächlich schlichten Gemüts und ein Tiefkühlkostvertreter, der seinem Stammkunden Doktor Schauer, bei dem schauert‘s einen wirklich, bei der Lieferung des tiefgekühlten Rehragouts verspricht, diesem bei seinem beabsichtigten Selbstmord zu helfen. Schauer ist krank, sterbenskrank, will das Sterben abkürzen und mit Schlaftabletten vollgefüllt in seiner leergeräumten Tiefkühltruhe für immer einschlafen. Von Schlicht erwartet Schauer nun für ein Aufgeld, daß dieser seine tiefgekühlte Leiche in der Natur entsorgt, damit er sich mit dieser vereinige.
Doch, als Schlicht etwas verspätet nach einer Woche nachschaut – den Hausschlüssel hatte ihm Schauer vorsorglich übergeben – findet er zwar die aufgetauten und vor sich hingammelnden Rehragouts der letzten Jahre am Boden zerlaufen, aber keine Leiche. Die ganze Handlung dreht sich nun um das Auffinden der Leiche. Dabei gerät Schlicht in die schlimmsten Bredouillen, weil an die irrsinnigsten Figuren, die alle etwas mit Schauer zu tun haben. Bei Astrid, der Tochter, ist das offensichtlich, aber die Tatortreinigerin Schimmelteufel, die eigentlich Teufel heißt, aber eben den Schimmel verteufelt, aber – wir sprechen es offen aus – durchaus mit Recht Teufel heißt, weil teuflischen Gemüts, die kommt Schlicht besonders schräg und betrügt ihn um das große Geld, daß sie zusammen unsittlich dem Ministerialrat Kerninger, der unsympathischsten Figur, ein richtiger Büchern (österreichisch: auch Pülcher, Pücher) , aus der Tasche ziehen, indem sie seiner Leidenschaft nach Nazi-Weihnachtsschmuck Nahrung geben, eine große Ladung ankündigen, aber keinen liefern. Und mit dessen Geld betrügt die Schimmelteufel gleich beide, den Kerninger, der nichts dafür bekommt, und den Schlicht, dem die Hälfte zustand. War zudem seine Idee.
Nein, so ausführlich können wir die Typen, auf die Schlicht bei seiner Suche nach der Leiche trifft, nicht vorstellen, denn wir müssen noch auf den wichtigsten Typ, die Type, die Typisierung, die Sprache von Ferdinand Schmalz zu sprechen kommen, die er den Romanfiguren in den Mund legt und in der er auch selbst schreibt. Gleich.
Es tritt noch der Ingenieur Huber auf, das Ehepaar Bitter sowie Harald und Norbert, die Adjutanten der Schimmelteufel und weitere Nebenfiguren. Das Prinzip der Auftritte der Personen verläuft nach: "Der Herr, der schickt den Jockel aus...", nur umgekehrt. Bei der Suche nach dem Doktor Schauer kommt dem Schlicht immer "ein weiterer dazu, der dessen Aufenthalt, dessen Sein, besser wissen müßte." Übrigens findet am Schluß der schlichte Schlicht tatsächlich den schaurigen Schauer. Aber...
„So wird es einem dann gedankt, wenn man einmal sich hilfsbereit, die Hand, die helfende ausstreckt, wer greift danach, der lange Arm einer Behördlichkeit.“ Oder: „Und bringt der Schlicht sein Glas in Sicherheit, in dem noch ein Schluck schales Bier drin vor sich hin tümpelt. Da schweift...“ Das sind nur zwei Beispiele, beliebige, man könnte fast jeden Satz nehmen, um den spezifischen Schmalzschen Sprachfluß zu kennzeichnen, der ja eher einem Ritt über den Bodensee gleicht, oder einer Quelle, die von Stein zu Stein bergab fließt, hüpft, springt. Und gleichzeitig ist dieser Besonderheit, mit der das Verb/Prädikat nach vorne genommen wird, im landestypischen Dialekt verankert. Die Substantive/Subjekte werden nachgereicht und gleichzeitig verdoppelt wie: „Und fühlt die Schimmelteufel sich, als er, der Schlicht, schon längst wieder gegangen, da fühlt sie sich...“
Um diese sprachliche Eigentümlichkeit zu erkennen, muß man kein Germanistikstudium hinter sich haben, man muß einfach die Sätze laut vor sich hinlesen und erkennt den Rhythmus. Aber jetzt kommt‘s. Ich konnte gar nicht anders, als von Anfang an in einem inneren Lesen den Hexameter anzuwenden. Das „Sechs-Maß“, klassisches Versmaß epischer Dichtung, besteht aus sechs Daktylen, wobei die Zäsur an verschiedenen Stellen erfolgt. Beispiel von oben:
„Und fühlt die Schimmelteufel sich,
als er, der Schlicht,
schon längst wieder gegangen,
da fühlt sie sich...“
Von diesem Schmalz werden wir noch hören. Der 1985 geborene Grazer ist ja seit seinem ersten Theaterstück 2013 preisgewürdigt (+Nachwuchsdramatiker des Jahres). 2017 erhielt er den Ingeborg-Bachmann-Preis für das Kapitel dieses Romans, in dem Doktor Schauer den Schlicht als Leichentransporteur verpflichtet.
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Info:
Ferdinand Schmalz, Mein Lieblingstier heißt WINTER, S. Fischer Verlag 2021
ISBN 978 3 10 397400 3