Bildschirmfoto 2021 11 17 um 02.35.15Serie: Der Deutsche Buchpreis  2021, hier die Auswahl der Zwanzig, Teil 26

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Tja, zugegeben, ich tat mich erst einmal schwer mit dem Roman, die bäuerliche Welt ist nicht meine, die auftretenden Personen sind mir fast alle unangenehm, keine Lichtgestalt, an die man sich halten kann. Aber so ist das. Das ist Wirklichkeit, denn schließlich ist dieser Roman gemäß Polt fast wia im richtigen Leben. Die Hofbauern, die Familie Leeb, hat diesen traditionellen Hof über 300 Jahre bewirtschaftet, früher mit größerem Erfolg. Einer der Söhne ist kein Bauer geworden, sondern Schriftsteller, deshalb weiß Henning Ahrens sehr genau wovon er spricht, von seiner eigenen Familie.

Daß es für ihn nötig war, die Namen zu verändern, hier heißen die ältesten Söhne, die den Hofbesitz erben, alle Wilhelm, kann man verstehen, auch deshalb, weil sein eigener Vater Anlaß und tragischer Endpunkt des Hoflebens bedeutete. Denn der brachte sich 1989 um, der Hof wurde 2012 endgültig verkauft. Im Roman findet der Selbstmord 1962 statt, zwei Jahre bevor Sohn Henning geboren wurde, was sinnvoll scheint, weil der Zusammenhang mit dem Weltkrieg und der Nachkriegszeit, den entscheidenden Zeiten, dichter wird. Ich war durch die im vorherigen Artikel geschilderte Lesung und das Gespräch mit dem Autor sehr wohlwollend eingestellt. Und was mich beim Lesen nie verlassen hat, war ein Einverständnis mit den sprachlichen Mitteln, Ahrens ist einfach ein zuverlässiger, auch eleganter Erzähler, der von einem einerseits durchaus verlangt, zu wissen, wo – sprich: in welcher Zeit – das Erzählte spielt, oder, um welchen Wilhelm es sich gerade handelt, aber andererseits durch den Fluß der Erzählung einen durch die oft schreckliche Verhältnisse geleitet.

Aber, ich muß es erneut sagen, ich tat mich schwer, ich konnte einfach kein Gefühl für die handelnden Personen entwickeln. Nicht mal für Gerda, die Totenfrau der Gegend, mit der der Roman beginnt, weil sie, die einst mit Wilhelm senior ein Gspusi hatte, aber für die Landbesitz in die Ehe bringende Käthe, sitzen gelassen wurde, nun diesen vor ihrer Tür stehen hat, weil sich dessen Sohn Wilhelm junior umgebracht hat und er ihre Hilfe dringend braucht. Und der letzte Satz auf Seite 339 lautet: „Manchmal huscht ein Lächeln über sein Gesicht, und dann, eine Ewigkeit, vielleicht auch nur einen Wimpernschlag später, die Stube füllt sich mit silbrigem Licht – dann schießt sich jemand ins Dunkel.“ Der Anfang des Romans ist also die zeitliche Fortsetzung des Schlusses, ein Verfahren, das vor allem in Filmen oft angewandt wird, mit den sogenannten Rückblenden. Aber diese Rückblenden sind im Roman nicht kontinuierlich, daß beispielsweise sich Gerda nun an früher erinnert und von da an der Roman in zeitlicher Kontinuität weiterläuft.

Nein, so simpel läuft es nicht ab, denn Ahrens versucht, mit der Familiengeschichte auch die Geschichte des 20. Jahrhunderts lebendig werden zu lassen. Und dies nicht fortlaufend, sondern wiederum im Hin und Her, also mit häufigen Rückblenden. Wilhelm senior wird nicht nur als der Menschenschinder dargestellt, wie wir den autoritären Charakter seit Heinrich Manns DER UNTERTAN kennen, sondern auch als der Wendehals, der zu Zeiten des Nationalsozialismus ein unterwürfiger Bürger und stolzer Soldat war, der überall seinen Reibach machte, im Osten mit der Wehrmacht wütete, dann auch ein paar Einheimischen Privilegien vergönnte, sie auch mit zurück in die Heimat nahm, was übel ausging, wie überhaupt niemand mehr nach 1945 Wilhelm seinen Einsatz für das Vaterland vergalt. Das verletzte ihn sein Leben lang. Unglaublich, aber wahr, und all diese Passagen beruhen stark auf Briefen und Tagebucheintragungen. Vielleicht hat man auch deshalb den Eindruck, daß hier Charaktere sprechen und von geschichtlichen Verläufen berichten, die schon oft erzählt worden sind.

Mich hat der Roman erst spät gepackt, als die direkte Auseinandersetzung mit dem brutalen Vater dem armen Wilhelm junior nicht recht gelingt. Selbst seine innige Liebe zu Sophia gibt ihm nicht die Kraft, seinen eigenen Weg zu gehen, also auch die Frau zu heiraten, die er liebt. Er bleibt ein schwacher Mensch, ein schwacher Mann, der sich nicht frontal zu wehren weiß, wobei das – zugegeben – sehr schwer ist, wenn man familiär solche Verhältnisse vorfindet, wo der Vater wieder einmal den Sohn abbürstet und der zur Mutter sagt: „Ich arbeite und übernehme Verantwortung, seit ich vierzehn bin, Mutter. Und Vater wischt das einfach so vom Tisch? Verstehst du denn nicht, was das bedeutet?“

„Er ist dein Vater“, meint seine Mutter müde, „du bist dein Sohn, und ich bin seine Frau. Da liegen unsere Pflichten.“ Die Frauen sind in diesem Buch eine einfach Katastrophe, nicht einmal auf die Mütter ist Verlaß, die ja meist den Söhnen Liebe und Stärke geben müssen und es auch tun.

Bleibt die Frage nach dem Titel. Denn so einfach, daß hier MITGIFT nur das meint, was eine Bäuerin in den Hof mitbringt, in den sie einheiratet und was traditionell für jede Braut galt, die in den Truhen bestickte Wäsche hortete etc., so einfach kann das nicht sein. Ich lese MITGIFT stärker als „mit Gift“, also daß überkommene und sich fortsetzende Verhältnisse für nachwachsende Generationen, die diese übernehmen, immer auch potentiell ein Gift enthalten, man als junger Mensch also gut beraten ist, sich über alles seine eigene Meinung zu bilden und sich selbstverantwortlich damit auseinanderzusetzen, woher man kommt, damit man selbst entscheiden kann, wohin man gehen will, also auch, was man mitnehmen und was man lieber lassen will.

Mit scheint, genau das war der innere Konflikt des Autors Henning Ahrens hinsichtlich der Geschichte seiner Familie, weshalb er diesen Roman geschrieben hat.

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Info:
Henning Ahrens, Mitgift, Klett-Cotta, August 2021
ISBN 978 3 608 98414 9