Hanswerner Kruse
Berlin (Weltexpresso) - Unter dem Titel „In ewiger Freundschaft“ veröffentlicht die erfolgreiche Autorin Nele Neuhaus ihren zehnten Taunuskrimi. Über eine lange Lesezeit hinweg ist dieser dicke Roman mit über 500 Seiten eher Literatur als Krimi, falls diese Unterscheidung überhaupt möglich ist.
Die Schriftstellerin thematisiert diesen vermeintlichen Widerspruch am Beispiel des fiktiven Frankfurter Winterstein-Verlages, dessen streitbare Lektoratsleiterin Heike Wirsch brutal ermordet wurde. Der neue junge Verlagschef Carl Winterstein will das traditionsreiche Bücherhaus aufpeppen und aus den roten Zahlen bringen. Dazu verlegt er ebenfalls populäre Texte, denn die bisher erschienenen literarischen Meisterwerke wurden zwar oft mit Preisen überhäuft, deckten jedoch meist kaum die Druckkosten.
Die hinterhältige und gefürchtete Literaturkritikerin Wirsch wollte sich deshalb vor ihrer Ermordung mit einem eigenem Verlag abspalten und ihre Literaten mitnehmen. Hasserfüllt entlarvt sie einen der Bestsellerautoren als Plagiator, obwohl sie ihn selbst zum Falsifikat anstiftete. Die Streiterei erwischt die ganze Wintersteinfamilie und das Verlagspersonal, bald stirbt auch der neue Programmleiter. Aus der Vergangenheit der Verlegerdynastie werden shakespearische Tragödien mit obskuren Todesfällen wieder aufgewühlt, so dass es bald mehr als genug Mordverdächtige gibt. Das kann sogar komisch sein, etwa wenn der verhaftete Erfolgsautor glaubt, seine akute Schreibhemmung durch den - gar nicht begangenen - Mord überwinden zu können.
Die Ermittlungen leitet ein vielen Neuhaus-Lesern bekanntes Duo, das privat in heiklen Beziehungsdramen verstrickt ist. Hauptkommissarin Pia Sanders Ex-Mann ist Gerichtsmediziner und schreibt Romane, die recht schwach anonymisierte Kriminalgeschichten aus dem Team seiner Ex-Frau kolportieren. Ihr Chef Oliver von Bodenstein lebt mal wieder in einer neuen grässlichen Liaison, will aber zugleich der totkranken Exfrau ein Stück Leber spenden. Während der Ermittlungen laufen die Liebschaften weiter aus dem Ruder, übrigens nicht nur bei der Polizei sondern ebenso bei den Leuten im Verlagswesen...
Es sind also drei Handlungsstränge - der Winterstein-Verlag, die Polizeiarbeit und die Beziehungen der Protagonisten - die in diesem komplexen Roman parallel entwickelt und oft überraschend vermischt werden.
Trotz seiner dramatischen Auswüchse ist das Buch nicht blutrünstig, die Story kommt authentisch und glaubwürdig daher. Erinnerungen an gelegentlich eingestreute alte Fälle des Kripoteams nerven nicht, etwa dass der Zoodirektor, Pia Sanders neuer Mann, mal ein Beschuldigter war. Im Gegenteil, solch kleine Nebengeschichten oder liebevolle Details machen das - natürlich in sich abgeschlossene - Werk so rund.
Neuhaus ist eine außergewöhnliche Beobachterin und hat ein großes Gespür für ihre Figuren, von denen sie mit feiner, angenehmer Sprache erzählt. Das was sie schreibt ist zweifellos Literatur und man tut gut daran, sich durch die forensische Spannung nicht zum schnelleren Lesen drängen zu lassen. Aber dem wirkt auch die Autorin durch ihre abschweifenden Erzählungen mit vielen interessanten Beispielen aus dem Verlagswesen oder der Gerichtsmedizin entgegen. Der Roman ist dadurch nicht schlaumeierisch überladen, sondern wird raffiniert erzählt. Allerdings nimmt die Ermittlungsarbeit im letzten Drittel des Buches viel Raum ein, es wird zum Krimi. Hier hätte ein mutiges Lektorat Kürzungen vorschlagen dürfen. Aber gut, man erfährt rückwirkend noch allerlei über die Intrigen und Lügen in den scheinbar „ewigen Freundschaften“ der Bibliophilen.
Ein gut geschriebenes Buch, das die Gratwanderung zwischen Literatur und Kriminalroman mit Bravour bewältigt!
Fotos:
Cover Ullstein-Verlag
Porträt © Felix Brüggemann
Info:
Nele Neuhaus: „In ewiger Freundschaft“, Ullstein-Verlag, Hardcover, 528 Seiten, 24,99 Euro