alba neraGianrico Carofiglio schreibt einen weiteren Fall für Avvocato Guerrieri und Giancarlo de Cataldo einen Thriller, Teil 2/2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Jetzt geht es nicht um ethische Fragen, sondern um knallharte Verhältnisse im Milieu der Straßenprostitution und Ähnlichem und um diejenigen, die dort halbtot oder gänzlich tot auf der Strecke bleiben. Wir sind südlich von Rom, wo in einer Villa, deren glänzende Tage schon lange vorbei sind, ein Mädchen halbtot aufgefunden wird, deren Glieder gefesselt sind nach einer japanischen Methode, die sich Shibari -Tradition schimpft, wozu Mißhandlungen gehören.

Man lernt eine Menge in diesem Thriller, Schmutz und Schund, von dem man eigentlich gar nicht viel wissen will, was aber erhellend für die gesellschaftliche Situation der besseren Gesellschaft ist. Auf den Fall, „das Werk eines vErrückten“ wird Kommissarin Alba Doria angesetzt, „die in ihrer Persönlichkeit gestörte, brillante Hauptkommissarin der Staatspolizei“ schreibt der Verlag. Ihr schwant Schlimmes, denn dieser Fall erinnert sie an die Untaten eines Serienkillers, der aber seit zehn Jahren tot ist. Eigentlich. Ein Nachahmungstäter oder war er gar nicht tot, ist also die Ausgangsfrage für den wachen Leser, die noch wachere Leserin, die aber immer noch einen Schock vom Anfang beim Weiterlesen mit sich trägt. Das war sehr brutal, zu brutal.

Daß die Vergangenheit nicht vergangen ist, erleben die beiden Kommissare, deren eine Alba Doria ist, die mit Dr. Sax das Ermittlerteam ausmachen. Sie sind die dieselben, die vor vielen Jahren schon einmal eine nach dieser Shibarimethode gefesselte junge Frau tot aufgefunden hatten. Die Fesselung soll ursprünglich keine sadistische Angelegenheit sein, sondern auch für die Frau einen erotischen Kitzel bedeuten, was vor allem Männer behaupten. Mir behagt dies nicht. Nun sind Krimis nicht für‘s Behagen und Behaglichkeit zuständig, aber eben auch nicht für abseitige Spielereien, sm-Sexspiele, wobei das Wort Spiel wohl artfremd verwendet wird, die tödlich ausgehen. Was aber ist hier der Fall, wo die rumänische Mafia, die rumänischen Zuhälter mitmischen. Etwas undurchschaubar das Ganze, aber genau das ist es ja, was wir vom Thriller erwarten,d aß sich das Dunkel durch die Aufklärung durch die Kriminalpolizei lichtet und wie es sein soll: die Bösen bestraft werden. Doch die Welt ist nicht so, daß man sie nur in gut und böse und Gute und Verbrecher unterscheiden können.

Je länger man liest, desto mehr gelingt es dem routinierten Erzähler, einen dabei zu behalten und die abscheuliche Ausgangssituation nicht immer vor Augen zu haben. Und dann geht‘s zur Sache, wenn in vermuteter Notwehr Biondo Silvio Di Corrado erschießt, der gerade die Hand in die Tasche gesteckt hatte, um eine Pistole herauszuziehen, befürchtete der Kommissar, obwohl es nur das Handy war. Aber tot ist tot und darum wird Dr. Sax kreativ und holt eine Pistole hervor, mit der der Erschossene angeblich das Feuer eröffnet hat. Interessant zu lesen, wie rechtschaffen der arme Biondo an seinem Fehlverhalten festhält und wie liebevoll seine Kollegen ihn daran hintern wollen, weil sie befürchten,d aß eine Untersuchung gegen Biondo die Aufklärung ihres Falls behindert, aufhält. Das sind so Fragen, die zeigen,d aß es mit dem Lesen eines Thrillers nicht getan ist, daß ein guter Roman auch immer die Leserin zur Stellungnahme zwingt, wo es mit allgemeiner Moral nicht getan ist.

Hier allerdings ist es die schnell entschiedene und gut zielende Alba, die die fremde und nun Di Corrado zugesprochene Pistole nutzt, schießt und Biondo die leichte Verletzung zufügt, die nötig ist, um Notwehr festzustellen. Da atmet man durch. Nun sind die Ermittler nicht die Schurken, sondern tatsächlich die, die nicht locker lassen und einen Sumpf austrocknen wollen, von dem sie aber wissen, daß er sich wieder füllen wird. Nur ist einer der Drei eine faule Nuß, gehört auf die andere Seite, die der Verbrecher, nur wer?

Ach ja, es wird ziemlich viel gegessen und getrunken in diesem Thriller, zu deren Schilderungen De Cataldo neigt. Wahrscheinlich waren es solche Treffen, auf denen der Stoff dieses Thrillers durchdiskutiert wurde vom Verfasser mit seinen Kollegen Massimo Carlotto und Carlo Lucarelli „großartigen Autoren, vor allem aber großartige Menschen“, denen der Verfasser ausdrücklich dankt, was wir gerne weitergeben und noch mal verweisen auf DER SCHWÄRZESTE WINTER von Carlo Lucarelli, derzeit auf der Krimibestenliste und von allen derzeitigen italienischen Kriminalromanen der mit der tiefsten historischen Dimension.

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Info:
Gianrico Carofiglio: Zeit der Schuld – ein Fall für Avvocato Guerrieri, aus dem Italienischen von Verena von Koskull, Goldmann Verlag, 2021, 304 Seiten, 20 Euro
ISBN 978 3 442 31619 9

Giancarlo de Cataldo, Alba Nera, Thriller, Folio Verlag 2021,aus dem italienischen von Karin Fleischanderl, 256 Seiten, 22 Euro
ISBN 978 3 85256 828 7