KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio für Januar 2014, Teil 3

 

Elisabeth Römer 



Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Etwas unüblich, daß ein Krimi auf dem siebten Rang es in den Titel schafft! Das liegt aber daran, daß im Januar nur drei neue Krimis dabei sind, weil sieben von der Dezemberliste überlebt haben, aus guten Gründen, denn sie sind weiterhin von der Jury nominiert wurden, wobei jedes Mitglied jeden Kriminalroman dreimal nennen darf.

 

Wir haben gleichzeitig Probleme, die Nominierten so schnell zu lesen, daß wir dann fachkundig kommentieren können. Bei Platz 7 hatten wir das geschafft und TROTZKIS NARR von Ulrich Ritzel, bei btb erschienen, in Teil 2 der Januarartikel besprochen, sehr gut besprochen, denn es ist allerhand, wie Ritzel die völlig unterschiedlichen Ansätze, Interessengruppen und Personen doch in der Geschichte auf ein Ziel hin binden kann, etwas, was in einem anderen Fall, dem doch renommierten Hakan Nesser mit HIMMEL ÜBER LONDON nicht gelang. Aber das kommt noch, denn er steht ja auch aus gutem Grund nicht auf der Liste.

 

Platz 8 nimmt Zoë Beck mit BRIXTON HILL aus dem Heyne Verlag ein. Das kam für uns zu spät, weshalb wir das nächste Mal ausführlicher darüber schreiben, aber gerne die Meinung von Tobias Gohlis, dem Chef der Krimi-Jury weitergeben: „Zoë Beck, deutsche Autorin mit Liebe zu britischen Schauplätzen, knackt eine harte Nuss. Gemeinhin gelten Cyberspace und Social Media horrorlüsternen Autoren als neue Schauplätze phantastisch-abstruser Greueltaten. Beck hingegen erzählt von einer toughen britischen Event-Managerin, für die die Kommunikation im Netz normaler Alltag ist. Als mit einer SMS in einem Hochhaus ein Brand ausgelöst und eine Kollegin in den Tod getrieben wird, zerbricht für Emma Vine das vertraute Umfeld aus Facebook und SMS. Sie muss neue Freunde – und Vertrauen  - im realen Leben finden, sonst ist ihres bald zu Ende.“

 

Auf Platz 9 nun UNRUHE von Jesper Stein, wo der Untertitel nennt: „Der erste Fall für Kommissar Steen“, aha, hier haben wir es also mit einem Debüt zu tun, was den Kommissar angeht.Auf dem 476 Seiten starken Taschenbuch befindet sich oben links in der gelben Signalfarbe von Titel und Leuchte der Aufkleber: Der Bestseller aus Dänemark. Dazu kann man im Inneren nachlesen, daß der Autor ein bekannter dänischer Autor ist, UNRUHE aber tatsächlich auch sein Debüt als Krimiautor ist. Allerdings ist er ein bekannter Kriminalreporter, so daß er sozusagen vom Fach ist. Und das merkt man beim Lesen wohltuend.

 

Tatsächlich merkt man das im Roman an jeder Stelle, denn Stein – also der Autor heißt Stein, sein literarischer Held Steen!! - bringt Authentisches rüber, was sowohl für gesellschaftliche Prozesse wie auch für die Polizeiarbeit gilt. Um so eigentümlicher und schreibstrategisch dann schon genial, daß er mit seinem Kommissar Axel Steen, einen ausgewiesenen Neurastheniker am Wickel hat, der alle möglichen Phobien mit sich herumträgt, wobei seine kaum nachlassende, dann aber immer wieder sogar panisch auftretende Angst, sein Herz höre auf zu schlagen eine Unruhe in sein Leben und unser Lesen treibt, die im Titel gut aufgehoben wäre, der aber wohl den Unruhen um das Jugendzentrum gilt, in deren Umfeld unser Mord passiert. Und dann nicht nur einer.

 

Es geht um den Abriss des Jugendzentrums Ungdomshuset, wo im Jahr 2007 die Stadt Kopenhagen von gewalttätigen Unruhen und Straßenkämpfen zwischen Autonomen aller Länder, betroffenen Jugendlichen und der Polizei erschüttert war. In diese, durch die jüngsten Krawalle um die Hamburger „Rote Flora“ sehr aktuell wirkende, kochende Atmosphäre versetzt Stein seinen hypochondrischen und das Privatleben mit dem Dienst mischenden Vizekommissar Steen. Er steht auf der Abschußliste seiner Vorgesetzten, weil seine Ermittlungsmethoden weder rechtsstaatlich sind noch im Team erfolgen – und sagen wir es gleich: wer anders ist und dann auch noch erfolgreich, der ist dran!

 

 

Dieser Alex Steen zieht uns gerade als Person mit seinen individuellen Methoden in diesen, seinen Fall hinein, wo auf einem Friedhof, der von der Polizei umstellt ist, die auch im Inneren Wache schiebt, ein Mord passiert ist, weil die Leiche eines als Autonomer Verkleideten des Morgens an der Friedhofsmauer lehnend gefunden wird. Dabei haben wir schon fast zu viel erraten, denn erst einmal geht die Polizei davon aus, daß dies ein toter Autonomer ist, die auf der anderen Seite der Friedhofsmauer gegen den Abriß des Jugendzentrums protestieren. Ein Toter zu diesem Zeitpunkt und an diesem Ort, das kann nur die Polizei selbst gewesen sein und das wäre das Fanal für die Autonomen für das letzte Gefecht.

 

Den Fall selbst darzustellen, der dann doch mit dem Drogenmilieu und vor allem der Ex-Jugoslawien-Mafia zu tun hat oder doch haben könnte, ist viel zu kompliziert. Aber daß es Stein gelingt, dies bündig zu erzählen und den Leser bei jedem Schritt dabeizulassen, sehen wir nach einigen Flops der letzten Zeit nun auf einmal als etwas Besonderes an. Auf jeden Fall gerät Feuer in die Geschichte, als sich herausstellt, daß ein Hausmeister das Friedhofsgeschehen mit einer Videokamera gefilmt hat, doch als man diese holen will, ist sie verschwunden, geklaut von dem, der nach kurzer Sichtung weiß, daß er eine Bombe in der Hand hat. Leider richtet sie sich dann gegen ihn. Aber der Ausgangspunkt ist gewaltig, denn eindeutig ist auf der Aufnahme der Mörder mit einer Jacke angezogen, auf der hinten dick POLIZEI steht.

 

Das dann doch alles ganz anders ist, aber auf jeden Fall spannend, dafür sorgt dieser Kriminalroman, von dem man ständig den Eindruck hat, hier würde aus dem richtigen Leben berichtet. Sowohl auf Seiten der Autonomen, wie auf Seiten der Journalisten und dann auch noch aus der Polizeiarbeit. Und das ist dann doch eine desillusionierende Geschichte, so man noch Illusionen hatte.

 

 

 

Die KrimiZEIT-Bestenliste Januar 2014

 

 

Lfd.

Nr.

Rang

Vor-monat

Titel

1

1

(3)

John le Carré: Empfindliche Wahrheit

Aus dem Englischen von Sabine Roth

Ullstein, 400 S., 24,99 €

Gibraltar/London/Cornwall. Unverwechselbar der Sound, kristallklar der Blick: Mit 82 schreibt John le Carré tough wie je. Public-private-Partnership in puncto Sicherheit: Die  Unschuldigen enden als Kollateralschäden, die Aufrechten ohne Chance. Der Terror gedeiht.

2

2

(1)

Friedrich Ani: M

Droemer, 366 S., 19,99 €

München. Der Geliebte einer Lokaljournalistin ist verschwunden. Labor Süden und seine Kollegen aus  der Detektei geraten in die Spinnennetze bayerischer Nazis. Ihre Recherche führt in einen Strudel der Vernichtung. Ungeheuer.

3

3

(7)

Dennis Lehane: In der Nacht

Aus dem Englischen von Sky desillusierende

Diogenes, 592 S., 22,90 €

Boston/Ybor, Florida. Joe Coughlin kann keiner was. Denkt er. Dann fickt ihn Emma Gould, er landet im Knast, und wäre er nicht doch recht clever, hätte er es danach nicht zum  Alkoholschmugglerkönig gebracht. Prohibitions-Panorama: Gangster bauten die Nation mit.

4

4

(5)

Martin Cruz Smith: Tatjana

Aus dem Englischen von Susanne Aeckerle

C. Bertelsmann, 320 S., 14,99 €

Kaliningrad/Moskau. Journalistin Tatjana wurde vom Dach gestürzt. Ihre Leiche ist weg. Arkadi Renko, Leitender Ermittler wie schon in Gorki Park, stöbert ganz rücksichtslos in Putins Gier- und Geierparadies Monströses auf.

5

5

(4)

Garry Disher: Dirty Old Town

Aus dem Englischen von Ango Laina u. Angelika Müller

Pulp Master, 332 S., 13,80 €

Melbourne. Erneut hat sich Profi-Verbrecher Wyatt mit Angebern und Gierschlünden eingelassen. Ein simpler Überfall auf einen Juwelier wird zum Kampf um Beute, Rache und eine starke Frau. Der hartgesottene Wyatt verblüfft durch Empfindsamkeit.

6

6

(2)

Lee Child: 61 Stunden

Aus dem Englischen von Wulf Bergner

Blanvalet, 448 S., 19,99 €

Gefängnisstadt Bolton, South Dakota. Schneesturm, tödliche Kälte. Jack Reacher beschützt eine Kronzeugin. Die lokale Polizei ist durch Ausbrecher abgelenkt. Ziel aller Umtriebe: ein geheimes Lager der Air Force. Bizarr, doppelbödig, hoher Suchtfaktor.

7

7

(-)

Ulrich Ritzel: Trotzkis Narr

btb, 462 S., 19,99 €

Berlin/Crammenow. Ein Bauamtbeamter erschossen, eine Managersgattin bespitzelt, Hauptstadt-Alltäglichkeiten. Privatdetektiv Berndorf gerät beiläufig ins politische Intrigengewirr Berlins: Immobilien und Verbrechen. Subtil erzählt, mit bösem Blick kalt serviert.

8

8

(-)

Zoë Beck: Brixton Hill

Heyne, 382 S., 8,99 €

London. Als Kollegin Kimmy in Panik aus dem Fenster springt, kriegt Emmas stabile Welt aus Facebook-Kontakten und SMS einen Knacks. Das, was ihr sicher schien, wird Instrument der Verfolgung: Social Media. No way out? Wahnsinn bricht durch, offline wie online.

9

9

(-)

Jesper Stein: Unruhe

Aus dem Dänischen von Patrick Zöller

KiWi, 478 S., 12,99 €

Kopenhagen 2007. Der Tote auf dem Friedhof ist als Autonomer drapiert. Er wurde erwürgt, als Straßenschlachten um ein Jugendzentrum tobten. Lokalreporter Jesper Stein schickt  mit Kommissar Steen einen kranken Mann zwischen die Fronten. Interessantes Debüt.

10

10

(8)

 

Jo  Nesbø: Koma

Aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob

Ullstein, 624 S., 22,99 €

Oslo. Im zehnten Band des Harry-Hole-Epos erwacht ein Mann aus dem Koma. Und stirbt doch. Derweil mahnt ein fanatischer Mörder Polizei-Versagen an. Er kopiert ungelöste Mordfälle und killt die Ermittler, die sie verbockt haben. Überbös.

 

 

INFO:

 

Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht.

 

Vorgestellt wird die KrimiZeit-JahresBestenliste

- im NordwestRadio am Donnerstag, den 9. Januar 2014 mit Tobias Gohlis gegen 8.10 Uhr im Nordwestradio Journal sowie später in den Sendungen der Literaturzeit, nachzuhören unter http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html

in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 9. Januar 2014 und unter www.zeit.de/krimizeit-bestenliste

 

Monatlich wählen siebzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt über 1200 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.

 

 

 Die Jury setzt sich zusammen aus: 

 

Tobias Gohlis, Hamburg, Kolumnist DIE ZEIT, Moderator und Jury-Sprecher der KrimiWelt

Volker Albers, Hamburg, Hamburger Abendblatt, Herausgeber „Schwarze Hefte“
Andreas Ammer, „Druckfrisch“, Dlf, BR

Gunter Blank, Sonntagszeitung

Thekla Dannenberg, Perlentaucher
Fritz Göttler, München, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, Heidelberg, SWR
Lore Kleinert, Bremen, Radio Bremen
Kolja Mensing, Berlin, Tagesspiegel
Ulrich Noller, Köln, Deutsche Welle, WDR
Jan Christian Schmidt, Berlin, Kaliber 38
Margarete v. Schwarzkopf, Köln, NDR
Ingeborg Sperl, Wien, Der Standard
Sylvia Staude, Frankfurt/M., Frankfurter Rundschau

Jochen Vogt, Elder Critic, NRZ, WAZ
Hendrik Werner, Bremen, Weser-Kurier
Thomas Wörtche, Berlin, Kolumnist, Plärrer , culturmag, DradioKultur

 



 

In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie in der RUBRIK BÜCHER auf dem Titel oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Das Prozedere der Platzverteilung ist ganz einfach. Dreimal darf ein Kritiker aus der Jury einen Roman benennen. Wenn das gut verteilt ist, kann ein Buch einige Monate überwintern, dann hat es nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die jeweils Ende Dezember herauskommt und die wir für 2013 ebenfalls kommentierten.

 

JahresBestenliste 2013

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/2343-leichendieb-der-brasilianerin-patricia-melo-von-tropen-bei-klett-cotta-auf-platz-1