gesc hke engelsLinus Geschke vollendet mit ENGELSGRUND eine Krimitrilogie bei dtv

Elisabeth Römer

Hamburg (Weltexpresso) – Da packt mich doch der Zorn, daß ich mich so ins Bockshorn habe jagen lassen, bzw. durch Verlagsankündigungen auf den Zug aufspringe, der schon deshalb Fahrt aufnahm, weil die Vollendung einer Trilogie immer gelungen klingt, weshalb ich auch vorhatte, die beiden Vorgängerbände ebenfalls zu lesen, damit ich das Ganze ‚genießen‘ kann.

Pustekuchen. Dabei fing es ansehnlich an. Mit so schrägen, angebrochenen, aber nicht gebrochenen Figuren wie dem Ex-Polizisten Alexander Born und seiner ehemaligen Kollegin Carla Diaz bei der Sitte und dem Sujet deren an die Sekte Cernunnos verlorenen Tochter Malin. Außerdem sind die Tatorte schön unterschiedlich, das eine Mal das gefährliche wilde Berlin, wo die eiskalten oligarchenanalogen Russen einfallen und die arabischstämmigen Verbrecherclans unschädlich machen und auf der anderen Seite das mehr als ländliche, ja einsame, einst luxuriöse Anwesen in der Tannenlandschaft der Ardennen in Belgien, wo sich mit dem aus dem großen Geld- ausgestiegenen Maurice Lampert als Guru eine Sekte angesiedelt hat, die mit ihrem Namen an eine keltische Gottheit anknüpft, „zumeist als großer bärtiger Mann dargestellt, der ein Hirschgeweih trug. Seine Aufgabe war es, die Natur zu schützen, ein Mittler zwischen Leben und Tod zu sein“, weshalb er „unter esoterisch veranlagten Umweltschützern eine Renaissance erlebt.“ Alles klar? Richtig, Greta und Luisa Neuburger kommen auch vor, aber was ist eigentlich ein ‚Mittler‘ zwischen Leben und Tod? Der Mörder?

Dieser Sekte hat sich Tochter Malin angeschlossen, was ihre, für eine Polizistin extrem überspannte und aus der Haut fahrende Mutter unerträglich ist, was man ja versteht, weniger, was passiert ist, daß Malin mit ihrer Mutter keinen Kontakt erträgt, ja es scheint, daß ihre Absonderung geradezu zur Pein der Mutter dient. Die wird mit Recht hysterisch, als im Umkreis des belgischen Anwesens ein besonders abscheulicher Mord an einer jungen Frau geschieht, die zuvor der Sekte angehörte, weshalb Carla Diaz den aus dem Gefängnis entlassenen Born anfleht, dort nach dem Rechten zu sehen, bzw. die Tochter zu beschützen.

Der hatte mit dem Gefängnis seine Zusammenarbeit mit dem russischen Großverbrecher Andrej Wolkow bezahlt, der – es wird keine zeitgemäße Plattitüde ausgelassen – wegen seines Schwulseins mit seinem sanftmütigen Liebhaber Nikita aus guten Gründen Rußland verläßt und sich in Berlin//Potsdam („Tommy Hilfiger, Mercedes und Nutten“) fürstlich niederläßt. Wolkow schuldet Born noch was, weshalb er sich einen seiner jungen russischen Wölfe, sprich den blutjungen, aber verbrechensalten bildschönen Artjom ausleiht, der wie alle Russen perfekt Deutsch sprechen kann und als Sinnsuchender bei der Sekte unterschlüpft und Malin beschützen soll, denn inzwischen ist längst der zweite Mord geschehen und wieder ein Ex-Mitglied der Cernunnos das grässlich zugerichtete Opfer, wobei auffällt, daß das Abschlachten der Menschen in widerwärtiger Weise geschieht und so geschildert wird. Muß das sein?

Mehr kann man jetzt nicht verraten, wobei die Aufklärung schon überraschend und auch harte Kost, weil nicht landläufig ist, obwohl, wenn man da an die Manson-Morde von 1968 denkt... Und das ist das erste, was mir negativ aufstieß, als von der Sekte die Rede war und es auf Seite zehn um Bhagwan, Scientology und Jim Jones ging, verantwortlich für den Mord/Selbstmord von über 900 Menschen 1978, nicht aber die Manson Morde von 1969 benannt sind, die wegen der Junge-Frauen-Leichen viel stimmiger schien. Das hat wohl dramaturgische, also schreibtaktische Hintergründe, denn gegen Ende kommt die Charles Manson Mördersekte groß ins Geschäft, schon deshalb, weil auch dort junge Frauen sowohl die Täterinnen wie auch die Opfer darstellten.

Das alles kann man so holzschnittartig als Krimihandlung schreiben, was man aber nicht machen darf, sind diese pseudo-gesellschaftlichen Analysen, die dahingerotzt werden, wenn es einmal um die arabischen Clans in Berlin geht, die Narrenfreiheit hätten, weil die Polizei, selbst wenn sie sie verhaftet, sofort wieder freilassen müßten und die trotz Gerichtsverfahren dann schuldlos gesprochen würden oder minimale Strafen erhielten. Linus Geschke nimmt grundsätzlich vorhandene Mißstände, bzw. Auffälligkeiten auf und gibt ihnen eine populistische Antwort frühzeitiger und härterer staatlicher Regulierungen, die in ihrer Pauschalierung einfach falsch werden, was auch für die im Roman angesprochene frauenverachtende und frauenbetatschende Silvesternacht von Köln gilt, wo der Autor die massenhafte Übergriffe meiner Erinnerung nach nur sechs Verurteilungen gegenüberstellt. Das ist nachweislich falsch. Es gab 1210 Strafanzeigen, 828 Verfahren gegen unbekannt, 290 Verfahren gegen namentlich Bekannte, 46 Angeklagte und 36 Verurteilungen. Das ist viel zu wenig im Verhältnis zur Anzahl der Strafanzeigen, aber es sind nicht nur 6!!

Es komm hinzu, daß nicht einsichtig ist, welche Funktion eine im Roman absolut widerwärtig dargestellte Gewaltpornographie für die Krimihandlung hat und warum die Frauenmorde so bestialisch ausfallen müssen. Als Born ins Sektengebäude eindringt und Bücher vorfindet: „philosophisch klingendes Zeug. Esoterisch klingendes Zeug“, gilt das in gleicher Linie für dieses Buch. Immer wieder muß man sich über oberflächliches, plattes, philosophisch klingendes Zeug, gesellschaftspolitische Aussagen von schlichter, ja reaktionärer Art ärgern. Das nervt erst und verärgert dann nachhaltig.

Und dann kommt noch etwas Handwerkliches. ICH überschriebe Kapitel liest man als die Aussagen des Mörders. Und da kommt es gegen Schluß zu Aussagen, die auf den am Schluß durch Born überführten Mörder einfach nicht zutreffen.

Daß eine Kollegin zu diesem Machwerk schrieb: „"Ein Thriller, der mit Jo Nesbo und Stig Larsson in einer Liga spielt", macht nicht besser, das dies dem Vorgängerband galt. Ich verzichte.

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Info:
Linus Geschke, Engelsgrund, Thriller, dtv 2021
ISBN 978 3 423 21960 0