henrige engel ullEine neue Serie im Ullstein Verlag von Henrike Engel, Teil 2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wir waren bei der jungen Helene steckengeblieben, die im Roman diejenige ist, deren menschliche Entwicklung vom dummen Ding zur jungen tatkräftigen Erwachsenen wir miterleben. Ihre Mutter ist die typische gutbürgerliche Ehefrau, die auf die Fassade achtet, von der wir dann aber ebenfalls erfahren, daß auch sie mehr Potential hat, als ihre Tochter ihr zugetraut hätte. Es ist sicherlich ein Plus in diesem Roman, daß sehr unterschiedliche Frauentypen eine Rolle spielen,

was auch für die Mutter von Helenes bester Freundin Pauline gilt, die ein großbürgerliches Haus führt mit einem angesagten Salon, sowohl was die Einrichtung angeht, wie auch die Gäste. Aber auch andere Frauen wie die Wirtin des Kommissars bekommen durch ihre Beschreibung, ihre Worte Kontur, was sicherlich die Häufung direkter Rede verstärkt.

Zwischen dem Pastorenhaus und dem der Freundin klaffen Welten und wir sind dabei, wenn sich beide näherkommen. Denn aus der – man muß schon ein wenig an Wilhelm Busch denken – frommen Helene wird durch die mörderischen Ereignisse und deren Folgen, in die sie hineingerät und die sie reflektiert, eine junge mutige Frau. Helene entdeckt zufällig die erste Frauenleiche nahe dem Grünen Haus, zu dem sie strebte, weil sie in der Zeitung gelesen hatte, daß eine Anne Fitzpatrick dort ein Frauenhaus eröffne, das Frauen Hilfe anbietet. So was wollte sie sich mal anschauen, findet stattdessen die Leiche, der bald eine andere folgt. Außerdem gibt es jemanden, der Anne Fitzpatrick verfolgt und sowohl die eingeschaltete Polizei, angeführt vom wortkarge Berthold Rheydt, der selbst wiederum eine tote Frau und tote Tochter im Gepäck hat, die in den ungünstigsten Momenten vor seine Augen treten, wie alle anderen erkennen, daß der Mörder es auf Anne Fitzpatrick abgesehen hat.

Der Roman handelt nun davon, wie sie dem Mörder entkommt, obwohl sie so viel falsch macht, wie man nur falsch machen kann. Denn hier im Roman handelt fast jeder nicht so, wie er laut Polizei, aber auch gesundem Menschenverstand handeln müßte, sprich: Anne sagt dem Kommissar nicht, worum es geht, Helene verschweigt auch vieles und zeigt nicht einmal Annes Kleiderfetzen, den sie fand, als Anne verschwand. Unsere Sympathie muß einfach beim Kommissar liegen, dem Fußballliebhaber, der trotz des Verschweigens wichtiger Indizien dennoch die erfrierende Anne retten kann und die Morde aufklärt.

Der Mörder, der einen Stundenvorsprung hatte, den er nutzte, um von Rotterdam aus ein Schiff nach Brasilien zu besteigen, ist ein Sohn des schreckliche Nachbarn Baron von Stetten, und zwar der eine Zwilling, Joachim von Stetten, der zudem einem Ableger der glorreichen Kolonialzeit, der Ortsgruppe des Alldeutschen Verbandes angehört, der für die Randale und blutigen Überfälle auf Frauenzentren und den Frauenverein in Hamburg verantwortlich ist.

Wir hatten diesen Vater durch die familiären Ereignisse, die Annes Vater aus Deutschland vertrieben hatten, schon kennengelernt , er taucht dann mehrmals im Roman auf, als er politisch mehr als einflußreich, dafür sorgt, daß die Hafenmorde an den Frauen für die Polizei keine Aufklärungspriorität mehr hatten und Kommissar Rheda abgemeiert wird, sodann durch die Besuche von Polizei und Anne Fitzpatrick in seiner Prunkvilla, wo er sich als geschickter Schachspieler erweist.

Leider hatte der Kommissar zudem erst einmal den falschen Zwilling, nämlich Johannes festgenommen, den Anne als Verdächtigen erkannt hatte. So ist das bei eineiigen Zwillingen, die aber durchaus geschlechtlich unterschiedlich orientiert sein können, denn Johannes ist schwul, weshalb der Vater ihn Schwächling nennt und den anderen Sohn bevorzugt.

Die Leserin fragt sich länger nach dem Motiv des jungen Mörders Joachim, das unklar bleibt, bis der Kommissar die überlebende Anne aufklärt: „Sein Vater. Wilhelm von Stetten hat einen Feldzug gegen Frauenvereine geführt. Sein Hass ist grenzenlos. Nicht nur gegenüber Frauen, auch gegenüber Sozis, Juden, Homosexuellen. Das färbt auf den Sohn ab. Jeden Tag hört er, wie der Vater über Frauen hetzt. Über die Vereine. Über Sie. Dabei wissen weder der Vater, noch der Sohn, wer Sie in Wirklichkeit sind. Aber durch ihre Flugblätter, Ihr Engagement und Ihre Präsenz in der Zeitung werden Sie zur Zielscheibe.“

Wieso dies aber nur bei dem einen Zwilling als Erklärung dient, bei dem anderen nicht?, wird ungesagt durch dessen Status als Homosexueller erklärt. Das ist ein bißchen dünn.

Zum Schluß war also leider der richtige Mörderzwilling stiften gegangen, zu guter Letzt jedoch verspricht der Kommissar der wütenden Anne. „Ich werde ihn finden“. Und da er sich als zuverlässiger sensibler Ermittler erwiesen hat, glauben wir ihm jedes Wort und warten auf die Fortsetzung, die im Juni erwartet wird: DIE HAFENÄRZTIN. Ein LEBEN für das LACHEN der Kinder.“

Aber dann wollen wir wissen, warum Annes Familie Deutschland verlassen mußte und warum Anne Jahrzehnte später von England nach Deutschland, konkret Hamburg floh und die weiteren Fragen im P.S..

P.S.
Das muß es einfach geben. Es geht um Zweierlei.
1. Wir haben den Pastor Curtius in der Haupthandlung nicht gewürdigt. Er spielt dabei auch keine Rolle, ansonsten eine schlimme. Tochter Helene entdeckt, daß er ein Verhältnis mit seiner blutjungen Bediensteten Julie hat. Dann bekommt diese eine Kind von ihm, Helene will ihr helfen, nicht zu einer Kurpfuscherin zu gehen, bzw. haut mit ihr ab, als sie sieht, wie diese mit der Nadel auf dreckigem Untergrund sich an Julie zu schaffen machen will. Helene baut auf Dr. Anne, die Ärztiin. Doch die fährt aus der Haut...und dann kommt der Mordanschlag an ihr etc. Irgendwie bleibt die schwangere Julie, die aus dem Haus Curtius geflohen ist, auf der Strecke. Das stört, daß man über ihren Verbleib nichts mehr erfährt. Hoffen wir, daß im nächsten Band ein gutes Ende kommt.

2. Auch hier geht es um den Pastor Curtius. Die Familie wird als großbürgerlich bezeichnet und bei Helene auf ihre ihre großbürgerliche Erziehung verwiesen. Wieso aber ein Pastorenhaus großbürgerlich sein soll, erschließt sich nicht. Pastor ist ein gutbürgerlicher Beruf und er ist in dieser Welt auch zu Hause, nicht in der von Baronen und Kapitalisten. Woher hat ein Pastor das Geld, das hier wohl vorhanden ist, denn es gibt mehrere Bedienstete in dieser Villa und die Mutter liegt in der Regel vom Nichtstun geschwächt auf dem Bett und leidet. Pastorenfrauen sind ansonsten am Tun ihrer Männer beteiligt. Das irritiert mehrfach.

Foto:
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Info:
Henrike Engel, Die Hafenärztin. Ein Leben für die Freiheit der Frauen, Hafenärztin-Serie Band 1, Ullstein Verlag 2022
ISBN 978 3 86493 190 1