Der neunte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q bei dtv
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Also echt, Krimischriftsteller haben es schwer. Die populären und diejenigen, die bei jedem Buch SPIEGEL BESTSELLER auf das Cover geklebt bekommen, erst recht. Da versuchen Krimiautoren auf der ganzen Welt entweder neue Ermittler interessant, ja aufregend zu machen und wenn diese eingeschlagen sind, dann müssen immer neue Fälle her, die die Attraktivität der Ermittler stützen und für eine vielteilige Serie taugen. Dem armen Carl Mørck und seinem Sonderdezernat Q hat Adler Olsen diesmal viel, in meinen Augen zuviel zugemutet.
Ach wie gilt die schöne Behauptung von Hermann Hesse „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, doch gerade für diese Krimireihe – die, ich gebe es zu – seit den ersten Filmen mit Nikolaj Lie Kaas als Carl und seinem Assistenten Assad, den Fares Fares so mit Leben erfüllt, beim Lesen immer diese Gesichter vor Augen habe – gerade also für diese Krimireihe gilt das wirklich. Die Schwierigkeiten von Mørck konnte man so im Detail psychsich nachvollziehen, für die hinreißende Rose hatte man alle Sympathien, wie die mit diesen schwierigen Männern zurecht kam, wobei Mørck natürlich erst mal mit seiner Ausgliederung aus dem normalen Dienst in ein vollkommen überflüssiges Sonderdezernat zurecht kommen mußte und seine Abschiebung auf diesen Trostplatz kaum ertrug, bis die drei richtig mit der Krimiarbeit anfingen und aus den sogenannten Cold Cases, also den bisher unaufgeklärten Kriminalfällen, ein aufregendes Krimispektakel machten, das nun im neunten Fall angekommen ist.
Nun hatte ich zwischendurch ausgesetzt und mit diesem neunten Fall mit dem merkwürdigen, ja farblosen Titel Natriumchlorid wieder eingesetzt – und bin in doppeltem Sinn enttäuscht. All diese zwischenmenschlichen interessanten Verhaltensweisen zwischen den Dreien, sind wohl inzwischen abgeschliffen, ihr Miteinander geklärt, sie arbeiten einfach optimal miteinander, so daß keine Notwendigkeit mehr besteht, auf der Psycho- oder menschlichen Ebene miteinander etwas auszuhandeln. Es läuft einfach. Außerdem ist dieser Fall so ungeheuerlich komplex, daß man froh sein kann, daß er in 526 Seiten abzuarbeiten war in einem Zeitraum vom 20.11. bis 26.12. 2020!
Dabei fängt es am 26. Januar 1988 mit einem schrecklichen Ereignis an, das unkommentiert bleibt, aber im Nachhinein durch die Aufklärungs- und Aufräumarbeit des Sonderdezernats zu der dann kaum mehr überschaubaren Anzahl der Morde wird: eine Mehrfachexplosion an einer Tankstelle löscht viele Leben aus, darunter auch einen Knaben, den seine Mutter Maja mit seinem Spielzeugauto dabei hatte, als sie den reparierten Wagen abholen wollte. Sie konnte mit dessen Tod nicht leben und brachte sich später, gerade jetzt am 11. November 2020 um.
Die Wurzel für die Mordserie, die auffälligerweise immer schlimme Finger, so ganz besonders widerwärtige Verbrecher trifft, liegt allerdings früher und basiert auf der ungeheuerlichen Auswirkung eines Blitzschlags, der sieben Menschen tödlich trifft und eine Person mit dem Leben davonkommen läßt, allerdings mit einer körperlichen Entstellung und einer mentalen Auswirkung, die Folgen hat.
So kann man die Ausgangssituation für das Sonderdezernat schildern, die nun damit beginnt, daß für den Selbstmord der Mutter eine Traueranzeige in der Zeitung steht, die mit „Schmerzlich vermißt. Die Familie“ unterschrieben ist, obwohl es gar keine Familie gab. Das war ja gerade das Problem der Mutter. So reihen sich einige Fälle ohne inneren Zusammenhang aneinander, bis eine einzige Anmerkung, alles zum Schwingen bringt und einen inneren Zusammenhang offenlegt. Doch, das darf man schon verraten, denn erst wird deutlich, daß alle zwei Jahre ein Mord geschieht, dann, daß diese Morddaten über‘s Jahr verteilt, immer den Tag der Geburt eines Menschheitsverbrechers betreffen, am 20. April also Adolf Hitler. Das weiß man auswendig, weniger, daß am 28. April der Iraker Saddam Hussein zur Welt kam, was Assad beiträgt und nach systematischer Suche weiß man, daß am 18. Dezember, wo ja gerade die Handlung spielt, Josef Stalin geboren wurde, und so gibt es tatsächlich einen Mord, alle konzentrieren sich nun auf den 26. Dezember, an dem Mao Zedong 1893 geboren wurde und jetzt alle soweit sind, wenigstens diesen Mord zu verhindern und damit die Mordserie zu beenden. Oder nicht?
Das ist natürlich eine interessante Konstellation, aber sie hat einfach so viel Bezüge, so viele Tote, so viele Jahrzehnte, so viele politischen Ereignisse, so viele Geburtstagsdaten, daß es einem dann doch zuviel wird. Denn bei den vielen Fällen geht das eigentliche Motiv des Mörders dann doch leicht unter, was es sein kann, was einen Menschen über Jahrzehnte ausgewählte Menschen umbringen läßt.
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Info:
Jussi Adler-Olsen, Natrium Chlorid, Thriller, aus dem Dänischen von Hannes Thiess, dtv 2021
ISBN 978 3 423 28280 2