Serie: DIE KRIMIBESTENLISTE im Februar 2022, Teil 6
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Liebe Leute, lieber Mike Nicol, was zuviel ist, ist zuviel. So viele Tote sind viele Tote zuviel. Eigentlich bleibt am Ende nur das eigenartige Ermittlerpärchen Vicki Khan und Fish Picado am Leben, müssen sie auch, denn um sie ranken sich die bisher vier südafrikanischen Kriminalromane, die Kapstadt-Serie, die einen das Fürchten lehren, wie sich dort jeder an die Gurgel geht.
Tatsächlich wird die Familie Amalfi total ausgelöscht, was vom Auftrag her echter Bruder- richtiger: Schwesternmord ist. Von den drei Geschwistern Angela, ihr bipolarer Zwillingsbruder Ferdinand und Rej Ben, seit er Muslim wurde, zuvor Reginald, Muslim aber nicht im Herzen, denn Religion ist im Wurscht, eigentlich wie das meiste, außer Macht, Geld, Alkohol und Weiber. Überleben wird keiner, doch das Gift kommt nicht von außen, sondern von innen.
Ehe wir weiterschreiben: Die Quintessenz dieses Buches ist: Leute, redet miteinander. Liebesleute sowieso. Die Ursache, daß in dieser Geschichte so viele Menschen dranglauben müssen, liegt wirklich daran, daß sie ihre Erkenntnisse, ihre Erfahrungen, ihre Verdächtigungen nicht anderen gegenüber weitersagen, von denen sie eigentlich genau wissen müssen, daß diese gefährdet sind. Auch innerhalb der wenigen Liebespaare im Roman ist das Verschweigen konstitutionell. Das treibt einem beim Lesen den Zorn, ja wohin? Tatsächlich hat meine innere Stimme sich immer erhoben: „Sag‘s doch weiter, ja sag‘s doch endlich“, denn auch diejenigen, die vertierte Krimileser sind, finden das dann doch schön, wenn ein Mord durch die Ansage von einem Kundigen verhindert werden kann.
In diesem Krimi an keiner Stelle. Auf Seite 7 sind die auftretenden Personen verzeichnet. Von den 20 Genannten sind elf am Schluß tot, wobei einer doppelt gezählt wurde, weil er mehr als zwei Herren diente. Und am Leben bleiben außer den beiden Ermittlern auch nur drei von fünf der Geheimdienstmitarbeiter State Security Agency, genannt ‚die Voliere‘, einer von zwei der CIA und drei von vier der Staffage, wie man in der Kunst die Begleitpersonen am Bildrand nennt.
Man liest wie besoffen, was nicht am ständigen Alkoholgenuß der Leute liegt, sondern weil man leicht abgehoben das Ganze verdauen muß, weil man zwar die Namen kennt und damit ja eigentlich auch die Organisationen dieser Leute und wiederum darum deren Interessen, aber da diese Personen alle mitsamt ja Eigeninteressen vertreten, kann man die Handlung nicht logisch verfolgen, sondern muß Mike Nicol auf den verschlungenen Wegen seiner Protagonisten folgen, mit der erwähnten Wut im Bauch, daß sie nicht rechtzeitig sprechen, warnen und dadurch Leben schützen.
Ha, da fehlt noch ein Toter, der bei den auftretenden Personen deshalb wohl nicht dabei ist, weil er schon auf der fünften Seite erschossen wird. In Kapstadt am Strand, Rick, der Ehemann von Angela Amalfi, wobei wir erst einmal auf die Landkarte gucken müssen, denn eigentlich leben die Amalfis alle in Johannesburg, tief im Landesinneren, wo die sehr gewinnbringende Firma für Straßenbau ihren Sitz hat. Wie weit das voneinander entfernt ist, kann man mit deutschen Städten gar nicht kenntlich machen, denn es sind viel mehr Kilometern, als unser Land in der Länge mißt: 1.261,63 km Luftlinie. Fahrstrecke: 1.397,95 km (15h 23min), heißt es. Also fliegt vor allem die Geschäftsführerin Angela ständig hin und her. Es lebt sich in Kapstadt am Meer , wo die Haupthandlung spielt, halt sehr viel angenehmer, denkt man beim Lesen. Allerdings eben nur, wenn man überlebt.
Und so geht es los: Erst der Mord an Rick, den, wie Angela meint, die Polizei nicht richtig aufklärt, weshalb sie Fish Pescado engagiert. Inzwischen wird ihr Bruder Rej von John Webster angesprochen, der zwar auch die CIA vertritt, dies aber in der Figur eines Handelsattachées der amerikanischen Botschaft. Es geht um ein Riesengeschäft, was sich die Amis und Amalfi teilen sollen, in dem die südafrikanische Staatskasse geplündert wird, eindeutig Korruption, weshalb Angela, obwohl sie das alles nicht weiß, instinktiv erst diesem Geschäft mißtraut, dann es verhindern will. Der Nutznießer von allem ist Rej, allerdings nicht lange.
Aber auch Vicki hat mit allem zu tun, nur hat sie andere Auftraggeber. Ihr Gewährsmann wurde ermordet, der sie für den afrikanischen Geheimdienst führte. Nun arbeitet sie als bestallte Anwältin, aber ist für Spezialaufträge durchaus offen. Von diesem John Webster wird sie später sogar entführt, damit man Fish in Angst und Schrecken versetzen kann, der übrigens von Antony Brennan engagiert wurde, der zu der Bank gehört, die gerade den Deal mit den Amis überprüfen soll, und der im Laufe der Handlung Liebhaber der Witwe wird, mit der Absicht zu heiraten.
Blicken Sie noch durch? Der Leser, die Leserin nicht immer. Oder doch, dann immer wieder. Und so hangelt man sich durch ein undurchsichtiges Geschehen, das aber immer wieder so herzhafte menschliche Momente bringt, das eine gewisse Heiterkeit eintritt, so als ob man wirklich den Champagner getrunken hätte, von dessen Besoffensein man schon ausgegangen war.