Bildschirmfoto 2022 02 24 um 01.06.47Wahre Verbrechen. Die spektakulärsten True-Crime-Fälle aus dem Nr. 1-Pdocast,Teil 2/3

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Hier können Sie das nachlesen, was andere hören und wie man liest, seien es sehr viele, die hören. Es ist interessant, direkt nach der Fallanalyse von Christine Brand eine ganz andere Art des Umgangs mit Verbrechen zu lesen. Fleiter fängt direkt mit den Verbrechen an und bleibt in der Berichterstattung noch stärker als die Gerichtsreporterin allein bei den Tätern, deren Taten und Persönlichkeit in Gesprächen mit Kommissaren, Polizei- oder forensischen Pychologen etc., - überwiegend übrigens Frauen.

Während die Täter, ich habe die fünfzehn Fälle daraufhin gerade noch einmal überprüft, ausschließlich Männer sind. Doch bei diesen Fällen kommen gehäuft Frauen vor, die von den Taten wissen, sie geschehen lassen, in sklavischer Unterordnung/Liebe zu dem jeweiligen Mann/Mörder. Das beunruhigt beim Lesen außerordentlich, vor allem, weil es in den Fällen so häufig auftritt. Und auch von den extrem kalten und gleichzeitig Leistung fordernden Müttern liest man, die in einigen Fällen für die sexuellen mörderischen Taten der Söhne, wenn schon nicht verantwortlich, so doch als erklärender Hinweis angeführt werden. Das machte mir schon Probleme, weil ich das zwar als Defizit eines Kindes verstehe, dann aber nicht, warum nur Söhne dies durch Mord kompensieren sollten und nicht auch Töchter. Ob man mit dem Männerbild von ehemals das alles erklären kann?

Es handelt sich um 15 Fälle, die bis zu den SOLDATEN-MORDEN von LEBACH am 20.1. 1969 zurückreichen. Schaurige Geschichte. Was mir gut gefällt, ist, daß auch Fälle aus der DDR behandelt werden, wobei in dem Fall der BESTIE VON BEELITZ, die vom 24.10. 1989 bis 6.4. 1991 vor sich hin morden konnte, erschreckt, daß die Umgebung und auch die Kriminalpolizei mit der Abwicklung der DDR zu tun hatte und erst spät intensiv ermittelte. .

Aber zuerst noch zum Aufbau des Buches. Auf dem Titel steht: „Mit 10 neuen Fällen...“, da es 15 Fälle sind, hat das sicher mit dem vorherigen Podcast zu tun. Gleich auf der 1. Seite sind die 15 Tatorte auf einer Karte Deutschlands, Österreichs und der Schweiz verzeichnet. Jeder neue Fall wird durch eine schwarze Seite eingeleitet, die einem auch gut hilft, beim Blättern die Fälle wieder zu finden. Auf den schwarzen Seiten stehen die Fallnummern und eine, den Fall kennzeichnende Überschrift, Fallname, Datum und Tatbestand. Da der Fallname stets derselbe ist wie die Fallüberschrift, hätte man sich diese Doppelung sparen können und stattdessen den TATORT verzeichnen können, obwohl – und das finde ich wieder gut – auf der linken Seite eine Landkarte die Region angibt, die dann auch noch mal im größeren Maßstab in Deutschland eingeordnet ist, aber den eigentlichen Tatort – sehr oft kleine Dörfer - muß man dann doch auf den folgenden Seiten erst suchen und kann ihn erst dann auf der vorgeschalteten Karte als Ort auch finden.

Im Unterschied zum Buch der Gerichtsreporterin geht es bei den 15 Fällen nicht immer um Mord, auch wenn es immerhin sieben Fälle sind, Massenmord einbeschlossen und ein zusätzlicher versuchter Totschlag und und eine Nachstellung mit Mord und Bankraub mit Mord. Also doch insgesamt 10 Morde. Dann geht es zweimal um Raub, um eine Entführung, eine räuberische Erpressung und einen Betrug.

Der jüngste Fall ereignete sich am 31. 8. 2018 DER KINDERMORD VON MÖRLENBACH an der hessischen (nicht der badischen) Bergstraße südlich von Darmstadt – und er bleibt einer der erschütterndsten, weil man die Motive von Eltern, die ihre, wie sie sagen und so auch gelebt haben, geliebten Kinder bestialisch töten und selbst in einem dilettantischen Doppelselbstmord überleben – und nur der Vater lebenslang erhält, weil sich der Richter einfach nicht vorstellen kann, wie sie, die Mutter, die Beihilfe leistete, „damit umgehen“ kann, die nach 12 Jahren freikommt. Hintergrund war der finanzielle Zusammenbruch der weit über ihre Verhältnisse lebenden Zahnärzte.

Was Christine Brand noch interessierte, das Strafmaß der Gerichte, wird von Philipp Fleiter eigentlich nicht in Frage gestellt, bis auf einen Fall, der einen beim schlichten Lesen ebenfalls seltsam erscheint: Fall 14 DER PARKHAUSMORD VON MÜNCHEN vom 16.5.2006. Ein Fall, der von der Polizei so stümperhaft behandelt wird, ohne Messen der Körpertemperatur der Leiche und des Raumes, was im Bereich Frankfurt seit dem Mord an Rosemarie Nitribitt, die am 1. November 1957 tot aufgefunden wurde, immerhin schon vor 65 Jahren, und inzwischen vielen TV- Tatorten doch längst Allgemeinwissen ist. Hier geht es um den Neffen der Ermordeten, die steinreich war, zu deren Wohnung er jederzeit Zugang hatte und deren Erbe er dereinst sein sollte, zusammen mit seinem Bruder. Alle Unzulänglichkeiten der Ermittlung aufzuzählen, ist hier unsinnig, aber die Irritation des Autors Fleiter teilt der Leser sofort und ist auch irritiert darüber, daß die vielen Revisionsanträge allesamt abschlägig beschieden worden, obwohl anerkannte Kriminologen auf Widersprüche des angenommenen Tathergangs, der zur Verurteilung führte, verwiesen hatten. So spricht auch beispielsweise eine Tatsache für den Neffen und damit gegen die Verurteilung, die nicht einmal Fleiter auffällt, bzw. anspricht: In der verwüsteten Wohnung der Toten lagen drei Testamente, die zweimal auf die beiden Neffen und einmal auf die Neffen plus einen weiteren Mann, der nicht identifiziert wird, lauten. Wenn der Neffe die Tante umgebracht hätte, hätte er doch sofort dieses, die Erbmasse minderndes Testament vernichtet? So bringen einen dann doch die Fälle dazu, mitzuermitteln.

Und natürlich leidet man mit, mit den Opfern. So paßt es gut, daß an einer Stelle auch deutlich gefragt wird, warum überhaupt die Leute über solche WAHREN VERBRECHEN lesen wollen, was das Anziehende, das Motivierende ist, über das so viel Blut, Mord, was auch hier meist ein brutaler Abschlachten von Menschen ist, zu lesen. Was mich angeht, ist das eindeutig. Da ich viele Krimis bespreche, auch die der monatlich wechselnden Krimibestenliste, aber auch weitere, und zu denen gehöre, die mit vielen in Deutschland den aus Westdeutschland stammenden Sonntags-ARD-Tatort, natürlich genauso den aus der DDR überkommenen Polizeiruf 110, anschaue, fand ich, ich müsse mich auch mal mit den wahren Verbrechen beschäftigen. Erst recht, weil ich die Sendung von AKTENZEICHEN XY...UNGELÖST einfach nicht ansehen kann, weil die ungelösten Fälle mir Angst machen, ich nicht schlafen kann etc., ich gleichzeitig aber diese Sendung wichtig und verdienstvoll finde.

Was in der Beschreibung der Fälle quasi nie vorkommt, aber für mich Lebenswirklichkeit ist, ist die Aufmerksamkeit und notwendige Reaktion in der Öffentlichkeit. Früher gab es das viel öfter, fällt mir dabei auf, daß Eltern ihre Kinder laut ausschimpften oder sogar schlugen und auch Männer ihre Frauen; da kommentiere ich dies laut, nur dann hören die Aggressoren auf, selbst wenn sie einem dann selbst Prügel androhen. Sie trauen sich in der Öffentlichkeit nicht. . Das ist zumindest eine Möglichkeit, die allerdings auf diese Öffentlichkeit beschränkt ist. Aber auch in Familien oder bei Freunden sollte man ansprechen, wenn etwas nicht in Ordnung scheint. Daß die späteren Mörder schon vorher auffällig waren, zeigen die Mehrzahl der Fälle, wobei ich persönlich sehr viel anrührender diejenigen finde, die, wie der Titel sagt, von Nebenan sind, als die, wo jemand sich sowieso im Verbrechermilieu aufhält und viele von seinen Verbrechen wissen oder solche Massenmorde wie der Tod der Sonnentempler, der als kollektiver Selbstmord inszeniert war, was nicht stimmt .

Daß es verrückte, kranke und eiskalte Mörder gibt, dagegen können wir wenig ausrichten, aber diejenigen, die neben uns leben, die sollte man in ihren Konflikten stärker wahrnehmen, reflektieren und Abhängige schützen.

P.S.
Unbedingt sollte man die kanadische Krimischriftstellerin Louise Penny auf das Unwesen der Sonnentempler in Quebec hinweisen, so wie es hier im Schweizer Fall deutlich wird. Da sie ihren Kommissar ständig in Quebec ermitteln läßt, müßte dieser auch auf diese stoßen. So verschränken sich Literatur und Wirklichkeit.

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Info:
Philipp Fleiter, Verbrechen von Nebenan. Die spektakulärsten True-Crime-Fälle aus dem Nr. 1-Podcast, Goldmann Verlag 2021