Bildschirmfoto 2022 02 25 um 00.42.29Wahre Verbrechen,Teil 3/3

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das nimmt die Rezensentin mit, tagelang über hierzulande stattgefundene schwere Verbrechen zu lesen und dann noch die Nachrichten aus der Ukraine zu verdauen, die man als aufgeklärter Europäer nicht glauben mag, die aber stattfinden. Doch zurück zu diesem Buch, das leider im Gegensatz zu den beiden vorherigen, doch eigenartig lieblos erscheint.

Lieblos? Wenn es um Mord und Totschlag geht? Ja, lieblos in der Zusammenstellung der einzelnen, insgesamt 12 Kapitel sowie Vor- und Nachwort auf 203 Seiten, das Buch „zu den Fällen der zehn beliebtesten Podcast-Folgen zum Nachlesen“. Nun hieß es auch zum vorherigen Buch, es handele sich um den erfolgreichsten Podcast. Das kümmert uns nicht weiter, wohl aber, weil Leserinnen nachfragten, was ein Podcast ist. Früher hätte man gesagt, eine Rundfunksendung, also eine Audiovermittlung, aber es gibt Podcasts auch als Videos, das Entscheidende ist, daß sie über das Internet verbreitet und abonniert, also bezahlt werden. Wir aber haben immer nur die danach herausgekommenen Bücher im Blick.

Im ersten Teil sprach eine Gerichtsreporterin, im zweiten Teil ein Journalist, auch mit Fachleuten im Gespräch, in diesem Buch nun wieder eine Gerichtsreporterin im Gespräch mit dem Ressortleiter der ZEIT. Die Podcast-Folgen sind vom 24. April 2018 bis 18. Juni 2019 erschienen, die Fälle allerdings gehen oft – zu oft! - weit zurück: ab 14. April 1960 und – absolut katastrophal, hauptsächlich Fälle aus dem alten Westdeutschland, nichts aus der alten DDR, wozu nach 1990 aus dem Osten der jedem noch gegenwärtige Fall der von der Mutter nach der Geburt getöteten neun Babys gehört, die diese in Frankfurt//Oder in Blumentöpfen auf dem Balkon ‚beerdigt‘ hatte. Unvorstellbares Grauen, aber so gelebt. Zwei weitere Fälle aus der ehemaligen DDR müssen zu Beginn dafür herhalten, daß es erst einmal nicht um wahre Verbrechen, sondern um vorgetäuschte geht. Da schüttelt man beim Lesen den Kopf, weil man weder von vorgetäuschten Überfällen und nicht in die Haut eingeritzten Hakenkreuzen hören will (es gibt ja die echten Fälle!), noch von den Phantasien, die Eltern, deren Kind beim Schwimmen ertrinkt, entwickeln, um damit fertig zu werden. Daß „NICHTS ALS DIE UNWAHRHEIT“ überhaupt eine Rolle spielt, fand ich unwichtig, daß ausgerechnet die beiden Fälle beide im Osten spielen, ärgerlich, ja peinlich.

Was allerdings auch in diesem Buch vielleicht das Erschreckendste ist, ist nicht mal das absolut Böse, das es in der Welt gibt, sondern die Unfähigkeit staatlicher Behörden, damit umzugehen. Erneut ist es Hamburg, wo ein Behördenversagen unglaublichen Ausmasses festgestellt wird, hier dokumentiert am Fall des Täters Ismael, eine Verbrecher-, ja Mörder‘karriere‘ wie aus dem Bilderbuch. Wenn die anti-autoritäre Erziehung ein inhaltliches privates Ziel hatte, so ist anti-autoritäres Behördenverhalten gemeingefährlich für uns alle.

Das betrifft auch Anwaltsverhalten, das – aller Ehren – dem Mandanten schützen soll, aber konterkariert wird, wenn – wieder in Hamburg – sich ein Anwalt als Schützer von Kapitalverbrechen versteht. Er bleibt nicht der einzige, über den man den Kopf schüttelt. In diesen Fällen sind auch oft die Eltern angesprochen, Eltern von Tätern, die ihre Kinder emotional und faktisch verwahrlosen ließen, ohne Orientierung und schon gar nicht Rückmeldungen auf kindliches Verhalten, das ungehindert in eine verbrecherische Jugend überging.

Neben solchen Fällen sind es oft ausgeflippte, gewalttätige Männer, die ihre Frauen umbringen...Aber – und da schüttelt man erneut den Kopf – auf einmal kommt Beate Klarsfeld ins Interview, diese mutige junge Frau, die einer ganzen nachfaschistischen deutschen Generation zeigt, was eine Harke ist, als sie am 7. November 1968 dem damaligen deutschen Bundeskanzler auf seinem CDU-Parteitag unter dem Ausruf: „Nazi, Nazi!“ eine Ohrfeige gab. Er war es. Und in Folge der Bundestagswahl 1969 wurde nicht der CDU-Nazi Kiesinger, sondern der SPD-Exilant Willy Brandt zum Bundeskanzler gewählt. So eine wichtige Erinnerung gehört an andere Stelle, aber nicht in ein Buch, das VERBRECHEN. ECHTE KRIMINALFÄLLE AUS DEUTSCHLAND heißt.

Auch in diesem Buch geht es überwiegend um Männer. Männer als Täter, Frauen als Opfer. Aber hier dürfen auch die Frauen als Täter agieren, neben dem Fall Vera Brühne, heute völlig irrelevant, sind es Frauen, die Kinder verhungern lassen oder als lieblose Mutter zur eigentlich Schuldigen erklärt werden. Das alles ist eine schlechte Mischung, wie gesagt, lieblos, einfach zusammengetückelt, ohne jegliche Orientierung für den Leser. Bis auf eines, was zu einem zweiseitigen Exkurs führt: DEM TÄTER AUF DER GENSPUR, wo deutlich wird, warum wir derzeit so oft, wie gerade in Frankfurt nach 28 Jahren, Mörder überführen können. Es werden systematisch die noch vorhandenen Gegenstände von ungeklärten Fällen auf DNA hin untersucht. Hier wird detailliert beschrieben, wie es überhaupt gelang, die DNA zu extrahieren und wie man sie zur Bestimmung der Täter nutzt.

Abschließend nur ein Wort, das für alle drei Bücher gilt: Bei allen steht der Täter im Vorder- und Hintergrund, um die Opfer geht es wenig. Das ist jetzt nicht moralisch gemeint, sondern im Sinne der Verbrechensforschung. Es gibt doch längst die Viktimologie als eigene Wissenschaft, eine Untersuchungsmethode die eben auch erforschen will, wie und ob man verhindern kann, Opfer zu werden. Das wäre doch wichtig, kommt aber nirgends vor.

Und noch etwas: Mord und Totschlag, Verbrechen anderer Art haben hier immer nur einen privat motivierten Täter. Daß es sowas wie Wirtschaftsverbrechen gibt oder auch die Schnittstelle zwischen Politik und Wirtschaft berührt wäre, wird in allen drei Büchern ausgeblendet. Das sagt unbedingt etwas aus über unsere Gesellschaft, die so tut, als ob Verbrechen nur individuell geschehen, als ob eine Fabrik auf verseuchtem Boden mit dem Resultat von toten Arbeitern oder die Herstellung von 3-Euro T-Shirts durch Kinderarbeit in Asien, auch die private Bereicherung von Politikern durch überteuerte Maskenbestellungen keine Verbrechen wären. Da stimmt etwas in unserem Bewußtsein nicht.

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Info:
Sabine Rückert, hrsg. DIE ZEIT. Echte Kriminalfälle aus Deutschland, Das Buch zum Podcast, Eichborn Verlag 2020
ISBN 9778 3 84779 0063 4