Bildschirmfoto 2022 03 01 um 02.29.18Charlotte Roth schreibt vom kurzen Leben der einst berühmten Schauspielerin Renate Müller

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das fällt als erstes auf, warum im Titel der Name nicht auftaucht und es nur heißt: „Roman nach einem wahren Schicksal“. Aber gleich im Vorwort erläutert die Autorin das Problem, daß sie ja keine, allein auf Quellen gestütze Biographie vorlegt, sondern das, was sie weiß vom Leben der Renate Müller und was in ihre Fiktion dieser Frau paßt, zu verbinden mit eigenen Zusätzen wie dem Erfinden zusätzlicher Filme und Rollen für die Schauspielerin, was eine dramaturgische Funktion hat.

Die nämlich, daß dann z.B. Dreharbeiten erfunden werden können, auf denen die Schauspielerin die Personen näher kennenlernen kann, die dann im Leben der Müller tatsächlich eine große Rolle spielten. Es ist also in der Tat nur ein Roman nach einem Leben, das sicher zum frühen Tod der Schauspielerin (1906-1937) für das damalige Publikum sehr viel interessanter zu lesen gewesen wäre, weil ein so früher Tod einer öffentlichen Figur, der zwischen absichtlichem Selbstmord, durch Alkoholismus und Naziterror verursachten Selbstmord oder Unfall für die Mitmenschen sowie Mord durch die Nazis  changiert, immer auch voyeuristische Züge befriedigt.

Die Familie, der sympathisch dargestellt Journalist 'Vati' Müller und seine in Südamerika geborene schöne und holde Frau Mariquita leben in München, wo 1906 Tochter Renate geboren wird, der später die Tochter Gabriele folgt. Es ist ein weltoffenes, kulturgesättigtes Haus, die Töchter auf dem Gymnasium. Der Vater, ein Sozialdemokrat, nimmt die Chefredaktion einer Zeitung in Danzig an, wo sich die Familie einlebt, auch wenn Renate die Münchner Schulclique vermißt, insbesondere Werner, der ihr fast täglich schreibt, aber nicht alles abschickt.

Und in dem Moment, wo wegen des nicht bestandenen Latinums, was sie erst mal verschweigt, ihre Welt zusammenbricht, kommt Werner nach Danzig und will die Jugendfreundschaft in eine Ehe münden lassen. Hier zeigt sich der Grundkonflikt ihres Lebens: etwas geschehen zu lassen, was sie nicht will und wogegen sie sich wehrt, wenn es fast zu spät oder eben auch zu spät ist. Das war 1924 und damit die Tochter eine Schauspielschule besuchen kann, geht die Familie nach Berlin, wo wir unmittelbar im Jahr 1930 landen. Eines der Probleme des Romans ist, daß man nicht immer die politische Zeit mit der individuellen der Renate verbinden kann. Denn für eine Leserin von heute ist das natürlich auch ein Roman über den Nationalsozialismus. Und für eine Filminteressierte natürlich erst einmal einer über einen einst berühmten Filmstar, der mit den Koryphäen der Zeit, Schauspieler, Drehbuchschreiber, Komponisten, Regisseure zusammenarbeite, von denen – das war ja nicht nur die NS-Propaganda, sondern die Wirklichkeit, daß die fähigsten Vertreter all dieser Sparten ‚jüdisch‘ waren und entweder fliehen konnten oder starben. ‚Jüdisch‘ schreiben wir deshalb, weil die Nationalsozialisten ja zu ‚Juden‘ auch die erklärten, die überhaupt nicht jüdischen Glaubens waren und oft selbst nicht wußten, daß sie ‚jüdisch‘ sein sollten.

Charlotte Roth kann weder die Zeit in ihrer politischen Schärfe wiedergeben, noch das aufregende Filmgeschehen unter cineastischen Gesichtspunkten darstellen. Es bleibt alles sehr brav und allgemein. ABER und das meine ich ernst, für jemanden, der erstmals diese Welt im Roman liest, ist mir das Lesen wichtiger als die Kritik, die ich an diesem Buch habe. Denn da könnte ich einiges aufführen, was mit der Ungleichheit anfängt, daß die harmlose Jugend bis 18 Jahre bis Seite 120 von 393 ausgewalzt wird, aber für die eigentliche filmische Lebenszeit der größte Teil ihrer Filme überhaupt nicht vorkommt. Zudem sind die Aussagen der Schauspielerin über ihre Arbeit völlig belanglos,besser: es gibt sie gar nicht. Dabei hat sie mit den Berühmtheiten der Zeit, mit Reinhold Schünzel, mit Ernst Lubitsch, mit Erich Pommer, so vielen anderen gearbeitet. Sie schätzte sich nicht als eine gute Schauspielerin ein, obwohl ihre Rollen des frischen Mädels von nebenan von ihrer Stimme und guten Stimmausbildung leben. Immerhin hat sie bei einigen der berühmtesten Filme der Dreißigerjahre mitgewirkt, die ganz im Sinne ‚Spiele für‘s Volk‘ von den Erniedrigungen und Verbrechen im Nationalsozialismus ablenken sollten: Viktor und Viktoria z.B., wie überhaupt eine Filmographie am Schluß mit ihren 27 (!)Filmen fehlt, stattdessen ein Glossar Begriffe erklärt.

Von Anfang an, also schon als 17jährige, trinkt sie ganze Weinflaschen aus, auch später fließt der Alkohol.Das paßt überhaupt nicht zur sonstigen Lebensbeschreibung, entspricht aber der späteren Abhängigkeit, denn Alkoholismus ist sicher einer der Gründe für ihren körperlichen Verfall, der unabhängig vom Sturz vom Balkon schon vorher eingetreten war. Die Liebesgeschichte mit dem eigentlich, seit der Jugend bekannten und zum Juden erklärten Georg Deutsch wird kitschig dargestellt, bzw. peinlich: "In dieser Nacht liebte er sie, ohne ein Latex-Kondom überzustreifen, und er liebte sie so oft, dass sie aufhörte zu zählen."

Das war schon das Konkreteste im Text,  alles andere bleibt sehr vage, einfach unbestimmt, ja lieblos. Daß die Autorin beispielsweise eine so interessante Figur wie die spätere Magda Goebbels, die zuvor mehrfach verheiratet, u.a. mit dem Milliardär Harald Quandt aus der BRD-Industriellendynastie, links liegen läßt, nur einmal, noch dazu zu früh vom Zeitablauf, als heimliche Geliebte des Goebbels auftauchen läßt, kann man einfach nicht verstehen, denn diese Frau ist für jeden Skandal gut, was einem Roman Hintergrund und Tiefe gibt, die die brave Darstellung des doch eigenartig glücklich-unglücklichen Lebens der Renate Müller nicht einmal anstrebt.

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Info:
Charlotte Roth, Ich bin ja heut so glücklich. Roman nach einem wahren Schicksal, Droemer Verlag, Erscheindungsdatum 1.3.2022
ISBN 978 3 426 28226 7