KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio für Februar 2014

 

Elisabeth Römer 



Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wir ahnten es ja. Endlich hatten wir das verschwundene Buch von Lee Child, 61 STUNDEN-Ein Jack-Reacher-Roman, erschienen bei Blanvalet, in den Händen und schnurstracks gelesen - und schon ist dieser Krimi von der Liste verschwunden. Was völlig in Ordnung ist, denn er war sehr lange plaziert, seine Zeit ist um. Schließlich haben drei neue Krimis Platz gefunden.

 

Dazu gleich. Aber erst kommt die versprochene Besprechung der 61 STUNDEN-Ein Jack-Reacher-Roman von Blanvalet, die verläßlich auch die andren Childs herausgebracht haben, die wir immer, immer gerne lesen. So auch diesen, wenngleich mit leichten Abstrichen. Die Geschichte selbst ist wieder so ungewöhnlich wie einleuchtend ausgedacht. Ausgedacht? Gab es so etwas? Das würde für das Welteroberersyndrom der US-Amerikaner sprechen. Dabei sind nicht nur die kriminellen Inhalte das Besondere, was Lee Child auf Lager hat, sondern wir lernen mit ihm immer auch einen neuen Teil des ländlichen Amerikas kennen. Hier die Kleinstadt Bolton, ein Sündenbabel, wie wir noch merken werden. Aber dieses Nest in South Dakota ist ja nur das eine, das andere ist, daß uns Jack Reacher – er ist ständig unterwegs, hat weder Wohnung, noch alles das, was wir Menschen, seit wir seßhaft wurden, besitzen – auch in alle Klimazonen Nordamerikas scheucht.

 

So was von Kälte, die nicht nachläßt, darüber konnte man lange nichts lesen. Es friert einen selbst. Ein mittleres Busunglück war die Ursache, daß Jack hier aufgehalten wurde, weil auf den verschneiten Straßen der nächste fahrbereite Bus Tage braucht und die Reisenden im Hotel und bei Leuten untergebracht werden. Jack Reacher gerät sogleich in eine ungewöhnliche Situation. Im beschaulichen Bolton wird nämlich ein Superverbrecher erwartet, der – das weiß man gewiß – die Zeugin ausschalten will, die man endlich gefunden hatte, um diesem Rauschgiftdealer das Handwerk zu legen. Noch schlimmer, nicht der Verbrecher selbst wird erwartet - das ist ein winziger Mann mit großer Kraft, der allen die Gliedmaße amputieren läßt, wenn sie ihn als Zwerg bezeichnen – , sondern irgendein Mittelsmann, der diese wirklich sehr sympathische ältere Bibliotheksdame umlegen soll, was Jack Reacher gerne verhindern möchte. Und auch, als der Ersatzbus gekommen ist und er endlich weiterfahren könnte, bleibt er hier, um diese Dame zu schützen und das dahinterliegende richtig große Unternehmen, was unter Boltons Erde lagert, aufzudecken. Was ihm gelingt, aber nur zum Teil.

 

Doch, doch, Lee Child erzählt beherzt und nicht drumherum. Die Schwachstelle? Wir wissen nicht, wie es anderen ging, aber der eigentliche Mittelsmann, der erwartet wird, um die alte Dame auszuschalten und noch anderes Schlimmes anzustellen, den serviert einem der Autor schon früh auf dem Silbertablett. Finden wir auf jeden Fall, so daß wir am Schluß enttäuscht waren, daß wir Recht behielten.

 

Zoe Beck ist mit Brixton Hill aus dem Heyne Verlag vom erstmaligen 8. Platz im Januar nun auf den 6. Rang vorgerückt. Die deutsche Autorin fällt erst einmal dadurch auf, daß ihre Geschichte in London spielt, unter deutscher Beteiligung in Form des Onkels der Heldin, des undurchsichtigen und sehr angepaßten Frank Everett, dessen Geheimnis wir hier nicht enthüllen wollen, der aber eines hat, das einem am Schluß dann doch eher das Gähnen abzwingt. Interessanter ist da die englische Ehefrau, die angeblich brave Tochter Katharine der tyrannischen Mutter Patricia, die zwar wirklich unausstehliche Anwandlungen hat, aber dann doch nur den Menschen achtet, der sich dem – und damit ihr - entgegenstellt, wie ihre Enkelin Emma, genannt Em.

 

Diese wird, ohne zu wissen warum, zum Mittelpunkt eines mörderischen Treibens, dessen Ausgangspunkt- wie man später erfährt – in der Einflußnahme auf zwei Gebäude liegt, deren System der Steuerung der Gebäudetechnik außer Kraft gesetzt wird, damit einmal Rauch, ein andermal Feuer Em töten sollte. Doch jedesmal erwischt es andere, einmal eine Freundin, ein andermal den braven, angepaßten, aber lieben Zwillingsbruder der Em. Die beiden Gebäude gehören einer Gesellschaft, die in London brutal ihre Häuser errichtet, dazu die Mieter bisheriger Häuser vertreibt, zudem auf verseuchtem Grund die Häuser hochzieht.

 

Dies ist die Grundgeschichte, über die man am Schluß erfährt, wem die erfolgreiche und kriminelle Immobilienfirma gehört und warum Em dem Ganzen im Wege steht. Eigentlich aber geht es um die Welt derer, die als Hacker in der Lage sind, jedes System zu knacken, was die Sympathie derer bringt, die etwas aufdecken wollen. Zoe Beck dreht aber den Spieß auch um, denn auch die Täter verfügen über dieses digitales Herrschaftswissen. Einerseits gefällt einem das Thema, weil es frisch und von heute scheint, andererseits ist die eigentliche Struktur der Handlung doch etwas dünn. Auch fallen sprachliche Mängel auf, die vielleicht mit der so erfolgreichen Eventagentin Em eine Jugendsprache produzieren will, die sich aber in häufigem 'Scheiße' erschöpft. Wie man hört, sind wir nicht so begeistert. Doch eines kann Zoe Beck hervorragend. Sie kann Londongefühle hervorrufen, weil sie Authentisches berichtet. Die Szenen über die öffentliche Beerdigung der Margaret Thatcher ist ein einsamer Höhepunkt im Buch. Einfach hervorragend dargestellt und pfiffig in die eigentliche Handlung integriert.

 

Es führt die Liste nach wie vor John le Carré mit EMPFINDLICHE WAHRHEIT an, über den wir in den vergangenen Monaten und in einer Einzelbesprechung nur Gutes weitergaben. Auch die nächst Plazierten sind in den Besprechungen ausführlich gewürdigt worden. Sie haben unter sich eine kleine Rochade gemacht, aber das ist nicht all zu wichtig.Bitte lesen Sie in den letzten Monaten nach.

 

Von den drei neuen – ungewöhnlicher Weise zwei deutsche und ein haitianischer - liegt auf Platz 7 Jan Costin Wagners TAGE DES LETZTEN SCHNEES, erschienen bei Galiani, von dem wir bisher nur wissen, daß erneut sein finnischer Kommissar Kimmo Joentaa ermittelt, der immer noch an den Menschen allgemein und am so frühen Krebstod seiner jungen Ehefrau im besonderen leidet. Auf Platz 8 folgt einmal ganz etwas anderes. SCHWEINEZEITEN. EIN VOODOO-KRIMI von Gary Victor, herausgegeben vom uns zuvor unbekannten Litra Dukt (www.litradukt.de). Da sind wir sehr gespannt und berichten das nächste Mal über das im Augenschein schmale Buch.

 

Auch Uta-Maria Heims WEM SONST ALS DIR klingt ausgesprochen interessant. Das Buch ist herausgegeben vom Verlag Klöpfer & Meyer und hat den zehnten Platz auf Anhieb. Wie bei den beiden anderen erfolgt eine Kommentierung das nächste Mal. Wobei wir jetzt schon wissen, daß auch dann sicher ein Schwung neuer Krimis auf die Liste kommt. Denn Friedrich Ani, Garry Disher sind beide das vierte Mal dabei und John le Carré dreimal.

 

 

 

 

Die KrimiZEIT-Bestenliste Februar 2014

 

 

Lfd.

Nr.

Rang

Vor-monat

Titel

1

1

(1)

John le Carré: Empfindliche Wahrheit

Aus dem Englischen von Sabine Roth

Ullstein, 400 S., 24,99 €

Gibraltar/London/Cornwall. Unverwechselbar der Sound, kristallklar der Blick: Mit 82 schreibt John le Carré tough wie je. Public-private-Partnership in puncto Sicherheit: Die Unschuldigen enden als Kollateralschäden,

die Aufrechten ohne Chance. Der Terror gedeiht.

2

2

(3)

Dennis Lehane: In der Nacht

Aus dem Englischen von Sky Nonhoff

Diogenes, 592 S., 22,90 €

Boston/Ybor, Florida. Joe Coughlin kann keiner was. Denkt er. Dann fickt ihn Emma Gould, er landet im Knast, und wäre er nicht doch recht clever, hätte er es danach nicht zum Alkoholschmugglerkönig gebracht. Prohibitions-Panorama: Gangster bauten die Nation mit.

3

3

(9)

Jesper Stein: Unruhe

Aus dem Dänischen von Patrick Zöller

KiWi, 478 S., 12,99 €

Kopenhagen 2007. Der Tote auf dem Friedhof ist als Autonomer drapiert. Er wurde erwürgt, als Straßenschlachten um ein Jugendzentrum tobten. Lokalreporter Jesper Stein schickt mit Kommissar Steen einen kranken Mann zwischen die Fronten. Interessantes Debüt.

4

4

(2)

Friedrich Ani: M

Droemer, 366 S., 19,99 €

München. Der Geliebte einer Lokaljournalistin ist verschwunden. Tabor Süden und seine Kollegen aus der Detektei geraten in die Spinnennetze bayerischer Nazis. Ihre Recherche führt in einen Strudel der Vernichtung. Ungeheuer.

5

5

(4)

Martin Cruz Smith: Tatjana

Aus dem Englischen von Susanne Aeckerle

C. Bertelsmann, 320 S., 14,99 €

Kaliningrad/Moskau. Journalistin Tatjana wurde vom Dach gestürzt. Ihre Leiche ist weg. Arkadi Renko, Leitender Ermittler wie schon in Gorki Park, stöbert ganz rücksichtslos in Putins Gier- und Geierparadies Monströses auf.

6

6

(8)

Zoë Beck: Brixton Hill

Heyne, 382 S., 8,99 €

London. Als Kollegin Kimmy in Panik aus dem Fenster springt, bekommt Emmas stabile Welt aus Facebook-Kontakten und SMS einen Knacks. Das, was ihr sicher schien, wird Instrument der Verfolgung: Social Media. No way out? Wahnsinn bricht durch, offline wie online.

7

7

(-)

Jan Costin Wagner: Tage des letzten Schnees

Galiani, 320 S., 19,99 €

Turku/Helsinki/Ostende. Die Welt ist aus den Fugen geraten. Ein Kind stirbt bei einem Autounfall. Ein Banker macht sich zum Liebeskasper. Eine rumänisch-ungarische Prostituierte tut, was sie tun muss. Ein Junge will Massenmörder sein. Kommissar Kimmo Joentaa wird vielleicht glücklich.

8

8

(-)

Gary Victor: Schweinezeiten

Aus dem Französischen von Peter Trier

Litradukt, 136 S., 11,90 €

Haiti vor dem Erdbeben. Massengräber, in denen Hunde und Schweine wühlen: "Dieses Land war eine Guillotine, die jedem seinen klaren Kopf abschlug". Nur mit Tranpe, Zuckerschnaps, zu ertragen. Inspektor Azémar kämpft um sein Kind. Gegen Korruption, evangelikale US-Sekten, Schweine.

9

9

(5)

Garry Disher: Dirty Old Town

Aus dem Englischen von Ango Laina u. Angelika Müller

Pulp Master, 332 S., 13,80 €

Melbourne. Erneut hat sich Profi-Verbrecher Wyatt mit Angebern und Gierschlünden eingelassen. Ein simpler Überfall auf einen Juwelier wird zum Kampf um Beute, Rache und eine starke Frau. Der hartgesottene Wyatt verblüfft durch Empfindsamkeit.

10

10

(-)

 

Uta-Maria Heim: Wem sonst als Dir.

Klöpfer & Meyer, 264 S., 20,00 €

Stuttgart/Kitzingen/Tübingen. „Wem sonst als Dir.“ - Hölderlins Widmung an Diotima leitet die Selbstbefragung des irrenden Richters K. Muttermord, Totschweigen, Bruderliebe - Tricks, sein Leben zu verfehlen? Grantig, liebevoll, atemlos bis zum letzten Zug.

 

 

 INFO:

Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht.

 

Vorgestellt wird die KrimiZeit-JahresBestenliste

- im NordwestRadio am Donnerstag, den 6. Februar 2014 mit Tobias Gohlis gegen 8.10 Uhr im Nordwestradio Journal sowie später in den Sendungen der Literaturzeit, nachzuhören unter http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html

in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 6. Februar 2014 und unter www.zeit.de/krimizeit-bestenliste

 

Monatlich wählen siebzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt über 1200 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.

 

 

 Die Jury setzt sich zusammen aus: 

 

Tobias Gohlis, Hamburg, Kolumnist DIE ZEIT, Moderator und Jury-Sprecher der KrimiZEIT

Volker Albers, Hamburg, Hamburger Abendblatt, Herausgeber „Schwarze Hefte“
Andreas Ammer, „Druckfrisch“, Dlf, BR

Gunter Blank, Sonntagszeitung

Thekla Dannenberg, Perlentaucher
Fritz Göttler, München, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, Heidelberg, SWR
Lore Kleinert, Bremen, Radio Bremen
Kolja Mensing, Berlin, Tagesspiegel
Ulrich Noller, Köln, Deutsche Welle, WDR
Jan Christian Schmidt, Berlin, Kaliber 38
Margarete v. Schwarzkopf, Köln, NDR
Ingeborg Sperl, Wien, Der Standard
Sylvia Staude, Frankfurt/M., Frankfurter Rundschau

Jochen Vogt, Elder Critic, NRZ, WAZ
Hendrik Werner, Bremen, Weser-Kurier
Thomas Wörtche, Berlin, Kolumnist, Plärrer , culturmag, DradioKultur

 



 

In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie in der RUBRIK BÜCHER auf dem Titel oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Das Prozedere der Platzverteilung ist ganz einfach. Dreimal darf ein Kritiker aus der Jury einen Roman benennen. Wenn das gut verteilt ist, kann ein Buch einige Monate überwintern, dann hat es nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die jeweils Ende Dezember herauskommt und die wir für 2013 ebenfalls kommentierten.

 

JahresBestenliste 2013

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/2343-leichendieb-der-brasilianerin-patricia-melo-von-tropen-bei-klett-cotta-auf-platz-1