Bildschirmfoto 2022 05 08 um 02.41.49Thriller von Rebecca Fleet und Krimi von Christian Buder, Teil 2/3

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die Ausgangssituation von DIE STIEFMUTTER scheint denkbar übersichtlich und führt doch direkt in die Irre. Die Namen sind jetzt wichtig, die immer über den von den jeweiligen Personen erzählten Kapiteln stehen. Wir sind also immer mit der Sicht der jeweiligen Person konfrontiert, die durchaus im nächsten Kapitel konterkariert wird. Man muß also gehörig aufpassen. Jedes Wort ist wichtig.


Ehemann und Vater Alex beginnt im September 2017. Er kommt nachts nach Hause, in ein brennendes Haus, vor dem seine zweite Frau Natalie starr und mit Brandspuren steht, seine Tochter Jade aber noch in den Flammen, wird dann erst von einem Feuerwehrmann gerettet und ins Krankenhaus gebracht. Das Ehepaar besucht die Tochter und die zweite Irritation tritt ein, als Jade von diesem Mann erzählt, der sich öfter ums Haus herumtrieb und der im Haus war, weshalb sie aus Angst vor ihm in den Schrank kletterte, weshalb sie den Brand nicht mitbekam und Natalie sie nicht fand.

Die erste Irritation gegenüber seiner Frau Natalia überkam Alex, als er zum brennenden Haus kam, seine Frau draußen stand, aber seine Tochter noch im brennenden Haus war. Wie kann man draußen sein, wenn das Kind, die Jugendliche noch drinnen im Feuer weilt.

Dann ierzählt Natalie - und das hat durchaus seinen Reiz - ein und dieselbe Situation aus anderer Sicht erzählt zu bekommen. Noch wartet man auf den Thriller, man merkt nur unterschwellig, hier stimmt etwas nicht. Thema ist auch das Verhältnis von Jade zu ihrer Stiefmutter und umgekehrt. Etwas gezwungen muß das sein, empfindet man, aber Natalie gibt sich viele Mühe, dem mutterlosen Mädchen die Mutter zu ersetzen.

Das wiederholt sich, die beiden, die irgendwie kühl miteinander umgehen, kommen in den nächsten Tagen zu Wort. Noch immer weiß man nicht, worum es geht. Aber das ist normalerweise keine schlechte Ausgangssituation für einen Krimi, einen Thriller.

Irritierend wird es, als auf Seite 85 Rachel zu sprechen beginnt und das im Jahr 1999, also 18 Jahre zuvor. Sie setzt sich mit ihrer jüngeren Schwester Sadie auseinander, schneidet der im Schlaf Haare ab. Irgendetwas trägt Rachel hier aus. Und bald erkennen wir die Schwesternbeziehung als eine, in der die ältere Rachel unentwegt für die Schwester sorgt, diese aber mit Undank reagiert, sich entzieht, etc. Aber, wenn Sadie spricht und das tut sie in den nächsten Kapiteln, sieht die Sache ganz anders aus. Es bleibt in den Erzählungen Tatsache, daß Sadie sich mit Drogen vollpumpt, weil sie sich mit Haut und Haar dem schillernden Drogenboß und Barbesitzer Kas verschreibt. Daß der verheiratet ist, schert sie wenig und auch daß Kas sie zwar anmacht, aber nicht anrührt, irritiert sie nicht. Als sie so richtig gefügig ist, bittet er sie um Hilfe. Sie soll einen bestimmten Mann, der die Bar besucht, nach hinten führen, wo aus der Bar ein Bordell wird. Sie tut dies und wird Zeugin, wie Kas diesen Mann umbringt. Doch sie steht so unter seinem Diktat, daß sie das Unrecht zwar erkennt, aber sich bei ihm als untertänige Gespielin andient und ein zweites Mal einen Mann zum Schlachtfeld führt.

Und jetzt erzählt wieder die gute Rachel, die das Abgleiten ihrer Schwester hilflos mitansieht, dann aber vor allem in Dominic den Mann sieht, der die Organisation der Bar und auch die von Kas und seinen Geschäften strukturiert und organisiert. Doch die Welt ist insofern im Schwebestand zwischen Ordnung und Unordnung, als nach und nach das toxische Verhältnis, das Schwester Sadie zu Kas unterhält, nun Sadie zur Mörderin an dessen Frau macht. Doch die Aufnahmen, die die Überwachungskamera in der Underground-Station macht, sind nicht eindeutig. Aber Rachel war dabei und weiß, daß Sadie die Frau ins Gleisbett gestoßen hatte, als sich der Zug näherte.

Jetzt machen wir einen Sprung nach vorne, also zurück ins Jahr 2017. Jetzt verstehen wir das merkwürdig distanzierte Verhalten von Natalie. Sie ist nämlich die Rachel von 1999 und lebt mit einer geschützten neuen Identität und dem Verdikt, sich London zu nähern, in der Provinz, damit ihre Schwester sie nicht findet und auch nicht die Handlanger von Kas. Denn sie hat der Polizei weitergesagt, was ihre Schwester Sadie ihr zu den Morden in der Bar erzwo sie den verwitweten Alex kennen- und lieben lernt. Die beiden sprechen sich aus. Alex kann sich jetzt das oft distanzierte Verhalten seiner Frau erzählt hatte, was reicht, daß Kas wegen Mord lebenslänglich verurteilt wird und Sadie zumindest als Mithelferin auch ein paar Jahre ins Gefängnis kommt.

Problem am Thriller ist, daß man zu keinem der Personen Empathie aufbauen kann, selbst das Mädchen wird widersprüchlich geschildert und neigt zu absurdem Verhalten. Ob sie das vom Vater hat? Denn als der ein Foto seiner Frau von früher findet, besucht er den Mörder Kas im Gefängnis, zeigt ihm das Bild und will mehr über früher von diesem erfahren. Doch der schweigt und grinst nur. Am Schluß wissen wir, warum. Doch so stellt sich doch kein Ehemann an, der mehr über seine Frau wissen will.

Doch dann passiert etwas. Der Dreh- undAngelpunkt der ganzen Geschichte. Doch leider ahnte ich diese Lösung schon sehr früh.

Ein Psychothriller, in dem man beim Lesen den Bösewicht ahnt, ja es ihm auf den Kopf zusagen will, wirkt nicht mehr. Die ganze schrill aufgebaute Geschichte, fällt wie ein Kartenhaus zusammen. Woher ich das wußte? Eigentlich blieb ja für den Verursacher des ganzen Dramas wenig übrig, wenn nur drei Personen die Handlung bestimmen. Und wenn man erfahren ist, im Krimilesen, dann hat man sich längst angewöhnt, die Strategien des jeweiligen Autors, hier die der Autorin, zu hinterfragen.

Fortsetzung folgt

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Info:
Rebecca Fleet, Die Stiefmutter, Goldmann Verlag, Februar 2022
ISBN 978 3 442 49222 0

Christian Buder, Der Dachs, Aufbau Verlag, 2022
ISBN 978 3 352 00963 1