Hanswerner Kruse
Fulda / Dirlos (Weltexpresso) - Vor drei Jahren würdigte das Fuldaer Vonderau-Museum mit einer Ausstellung den 100. Geburtstag der Frauensiedlung Loheland. Damals begannen Frauen in diesem Ortsteil von Dirlos ihre Visionen der Lebensreform zu verwirklichen. Über „Das Dorf der Frauen“, so der Titel, hat die TV-Journalistin Dörte Schipper soeben einen Roman veröffentlicht, aus dem sie am 2. Juni lesen wird.
„Hanna fasste sich unter ihren Brüsten an den Bauch. Da war kein Korsett mehr, das sie einengte.“ Für die Kaufmannstochter Hanna war das ein körperlich befreiender und nicht nur symbolischer Akt, „als sie das Mieder mit Schwung über den Wandhaken warf, wo es wie ein ausgemusterter Putzlappen nutzlos vor sich hin baumelte.“ So begann ihre Ankunft in Loheland, zuhause in Hamburg durfte sie die Schule nicht beenden und studieren. „Eine Frau braucht keinen Abschluss, schon gar keinen Universitätsabschluss“, war die unerbittliche Haltung ihres Vaters. „Sie hat nicht der Wissenschaft zu dienen, sondern ihrem Mann.“
Heftig rebellierte sie gegen diese konservative Zurichtung als schickliches damenhaftes Wesen. Zufällig begegnete sie in der Eisenbahn einer Gruppe unkonventioneller Tänzerinnen aus Dirlos und erlebte danach deren sinnlich lasziven Ausdruckstanz auf der Bühne. Gegen den Willen ihrer Familie beschloss sie, bei ihnen eine zweijährige Ausbildung als Gymnastiklehrerin zu machen.
Die jungen Schülerinnen mussten dort noch viel lernen, „um beherzter zu sein und freigeistiger zu leben als ihre Mütter.“ Das hatte seinen Preis, sie waren zu einem ungewohnt kargen Leben gezwungen, halfen in der Landwirtschaft und sollten ihre Körper (neu) entdecken. „Bisher hatten sie ihm weniger Beachtung geschenkt als den Kleidern, die ihn umhüllten.“ Eine Herausforderung war das gelegentliche unbekleidete Tanzen im Training. Doch Hanna stellte sich vor, „die Nacktheit wäre ein aufregendes Kostüm, in dem ich gleich die Bühne betrete.“
Die Protagonistin ist eine erfundene Figur - jedoch alles was sie erlebt, von ihrer Flucht über die Aufnahme in der Siedlung bis zu den Erfolgen als Tänzerin, könnte wirklich so gewesen sein. Der Autorin gelingt es mit einer spannenden Erzählung, in die auch eine unglückliche Liebe, weibliche Rivalität und wechselnde Emotionen einfließen, die authentische Geschichte des frühen Loheland-Projektes anschaulich zu machen.
Deutlich wird auch, wie die freizügigen und provozierenden Frauen von den katholischen Bauern anfangs in der Rhön aufgenommen wurden: Sie galten als Hexen, die man anspuckte und beschimpfte. Aber die armen Landwirte brauchten Geld und die Lohländerinnen (zunächst) externe Unterkünfte - so fand man zusammen.
Deutschlandweit gingen einige Tänzerinnen mit ihrem gewagten Ausdruckstanz auf erfolgreiche Tourneen. Zugleich kreierten die Frauen - in ausrangierten Bahnwaggons als Ateliers - kunsthandwerkliche Holzarbeiten, Töpfer- und Webwaren, die sie auf Messen verkauften. Der künstlerische und politische Anspruch der Lohländerinnen ähnelte dem des Weimarer Bauhauses, wo Weiber allerdings unerwünscht waren und allenfalls weben durften.
„Nicht alle Zuschauer begreifen, was wir mit unseren Tänzen auf der Bühne ausdrücken wollen, dabei ist die Botschaft ganz einfach“, sprach Eva. „Wir Frauen müssen uns aus alten Zwängen lösen, ehe wir aus eigener Initiative Neues entdecken können. Kaum eine Kunst kann diesen Prozess der Veränderung besser darstellen als der Ausdruckstanz.“
Die Tänzerin Eva gab es wirklich, ihr Kleid (Foto links) galt seinerzeit als "skandalös".
Foto:
(c) Hanswerner Kruse
Info:
Dörte Schipper: Das Dorf der Frauen, Piper-Verlag, 416 Seiten, Klappenbroschur 17 Euro
Eine wunderbare Vertiefung bietet der Katalog „Loheland 100“ des Vonderau-Museums für 19,95 Euro
Die Autorin liest am 2. Juni um 19 Uhr in Loheland auf der „Terrasse Café und Laden“