Denn sie wissen, was du getan hast, Jugendthriller bei ctb
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Also, darüber habe ich mir lange Gedanken gemacht, denn es ist nicht das erste Mal. Dies Phänomen gibt es auch bei Filmen. Um was es geht? Darum, daß die Deutschen besser Englisch können als die Muttersprachler! Denn wie kann man es sonst erklären, daß englische Titel weder übersetzt noch übernommen werden, sondern neue auf Englisch kreiert werden. Hier wird aus dem Original THE GOOD GIRLS eine massive Änderung bei fast gleichen Worten: LIKE A GOOD GIRL.
Dabei ist doch bei DIE GUTEN (BRAVEN) MÄDCHEN schon eine Ironisierung spürbar, die dann bei WIE EIN GUTES (BRAVES) MÄDCHEN mit dem Holzhammer daherkommt. Und erst der Untertitel: DENN SIE WISSEN, WAS DU GETAN HAST. Wer ist dieses SIE? Und was hat dieses Du GETAN? Also viel Brimborium um vier Schülerinnen der Jefferson-Lorne-Highscholl, bei denen wir in aller Ausführlichkeit ihre inneren Beweggründe und äußeren Handlungen über 500 Seiten mitbekommen und uns sagen, ja genauso ist das in der Jugend, die vielen Zweifeln, die Selbstfindungsprozesse, das schnelle Eingehen von Freundschaften, das schnelle Lösen, das alles kommt vor wie auch ihr Gegenteil, die Freundschaft für immer, ja auch bis zum Tod. Tod?
Sagen wir es gleich: akzeptieren können wir diesen geschwätzigen Roman nur, weil er ausdrücklich als Jugendthriller bezeichnet wird, mit der Triggerwarnung: „In diesem Buch werden Themen wie sexualisierte Gewalt und Drogenmissbrauch angesprochen.
Die Rede ist erst einmal von der verschwundenen Schülerin Emma, Tochter des örtlichen Polizisten, von der noch in der gleichen Nacht ein Video durch’s Internet schwirrt, auf dem man sie mitten im Wald auf einer Brücke über eine Schlucht vor einer langen dünnen Männergestalt davon laufen sieht, der sie aber packt und über das Geländer in die Tiefe stürzt. Schaurig. Problem: Das Mädchen ist verschwunden. Ihre Leiche findet man nicht. Stattdessen die einen Mannes, wohl ein Landstreicher. Mit Claude, Gwen und Avery lernen wir dann drei Mädchen kennen, die völlig unterschiedlich die Facetten vom ‚guten Mädchen‘ durchspielen, die deutschen Lesern eines auf jeden Fall zeigen: daß Aufwachsen in den USA, Pubertät in einem kleinen amerikanischen Nest auf jeden Fall anders verläuft als hierzulande, ob Ost, West, Nord oder Süd. Ja, das Drogenproblem der USA, die Evangelikalen, diese Doppelmoral, die unfähigen Eltern, die spießigen Bewohner, die hilflosen Lehrer und die übergriffigen dazu, das alles ist hochprozentiger als hierzulande. Insofern ist dies ein Jugendthriller, der eher soziologisch unterfüttert ist, stärker denn psychologisch, denn das ist alles sehr holzschnittartig, mit Absicht sozusagen, denn die vier Mädchen, ein verschwundenes, tot geglaubtes und drei Teufelsbraten sollen vier Mädchentypen vertreten.
Da ist mit Claude diejenige, vor der sich alle Erwachsenen fürchten, weil sie tut, was sie will. Nicht ganz richtig, denn viel zu oft tut sie das, von dem sie erwartet, daß die Erwachsenen das als Ausgeburt der Verderbtheit bei ihr erwarten. Sie erfüllt also weniger mit Lust, doch mehr mit innerem Zwang deren Erwartungen: das verderbte junge Luder. Sie schläft mit jedem heißt es, was gar nicht stimmt, denn eigentlich ist sie nur mit dem harmlos liebe Jamie zu Gange. Das allerdings intensiv. Sie hat eine zugewandte Mutter, extrem gefordert im Beruf, die glaubt, mit Liebe und Verboten ihre Tochter orientieren zu können. Eigentlich bleibt sie am stärksten im Gedächtnis, die mit ihrem Auto Janine nachts durch die Gegend fährt. Einfach so. Das auch noch.
Gwen mit den furchtbaren Eltern und der ermordeten Schwester Lizzy ist diejenige, auf die wohl das Universitäts-Stipendium hinausläuft, das für alle die einzige Hoffnung ist, die aus diesem Kaff hinauswollen und das ist mindestens auch Avery, die zudem Kapitänin der Cheerleader ist. Wieder eine amerikanische Besonderheit, der wir bei nationalen Baseballspielen und anderen sportlichen Großveranstaltungen doch einigermaßen verblüfft zusehen, weil dort das, was bei uns mit dem Funkenmariechen an Fasnacht harmlos daherkommt, zu einem nationalen Superereignis stilisiert wird, wo von heute her und Metoo das ganze Gehampel doch eher eine anrüchige Note erhält.
Das Verwirrspiel, welches der Mädchen mit dem Verschwinden, dem angenommenen Mord an Emma am meisten zu tun hat, wird mehr als ausführlich erzählt. Dabei schält sich nach und nach ein Lehrer, der beliebteste der Schule, als ein Unhold heraus, der nicht nur seine Stellung als Vertrauenslehrer mißbraucht, sondern nur wenige Mädchen wohl überhaupt in Ruhe gelassen hat und auch deshalb ein fieses Spiel spielt, weil er die Eifersüchteleien unter den Mädchen, zu wem er nämlich netter ist, fördert. Das das Nettsein jedoch bis zur massiven sexuellen Gewalt geht, das ist Hintergrund dieser Schulgeschichte, die wie gesagt, ihre Berechtigung durch ausführliche Schilderungen von vergeblicher Erziehung, gewaltigen Problemen trotz liebevoller Zugewandtheit der Eltern, Zeitdruck oder bösartigen hilflosen Eltern erhält.
Natürlich spielen dabei die Gefühle der vier Mädchen für Jungen und Mädchen eine große Rolle, wie auch das Tagebuchschreiben, der sms-Verkehr und das Weinen im Bett. Jugend ist eine schwierige Phase. Dies Buch zeugt davon.
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Titel
Info:
Claire Eliza Bartlett, Like a good girl – Denn sie wissen, was Du getan hast, Originaltitel The Good Girls, 512 Seiten, ctb, Erscheinungsdatum 14. Juni 2022, Jugendbuch ab 14 Jahren
ISBN 978 3 570 31466 1
10,00 Euro